Bildnachweis: © Börse München.

GoingPublic: Sehr geehrter Herr Dr. Feiler, Gratulation zum 72. Listing eines Unternehmens im Segment m:access! Ich würde sagen: Läuft, oder?

Dr. Feiler: Ja, wir haben aktuell die historisch größte Anzahl an gelisteten m:access-Unternehmen erreicht und der Trend ist weiterhin stabil. Nach dem schwierigen Jahr 2022, in dem sich Abgänge, die es an der Börse natürlich auch gibt, und Zugänge die Waage gehalten haben, können wir in diesem Jahr wieder deutlich zulegen und haben die Marke von 70 Emittenten übertroffen.

Dennoch nicht ganz einfach, in diesen Zeiten, wo wir kaum echte IPOs verzeichnen, Unternehmen für einen Segmentwechsel zu begeistern. Was sind die Gründe dafür, dass es die Unternehmen dennoch tun?

Weil sie bei uns finden, was sie benötigen. Zum einen kommen Unternehmen aus dem regulierten Markt, die den bürokratischen Aufwand und die hohen Kosten auf ein mittelstandsgerechtes Niveau zurückfahren wollen, da sie dort keine Vorteile (mehr) erkennen. Zum anderen steigen Unternehmen aus dem allgemeinen Freiverkehr in unser Qualitäts­segment auf, um die Transparenz zu ­erhöhen und damit die Sichtbarkeit und Handelbarkeit ihrer Aktie. Besonders freuen wir uns über ­Börsengänge mit einem öffentlichen ­Angebot neuer Aktien. Hierfür sind wir mit unserer Zeichnungs­funktionalität
und den Marketingaktivitäten bestens ­gerüstet.

Wir haben die historisch größte Anzahl an gelis­teten m:access-Unternehmen erreicht.

Neben der allgemein schwierigen konjunkturellen Lage – technisch haben wir in Deutschland ja momentan sogar eine Rezession – gibt es ein weiteres Problem­feld, welches praktisch alle Unternehmen betrifft: die Nachhaltigkeit. Gemäß der europäischen CSR-Richtlinie betreffen die entsprechenden ESG-Nachweispflichten ab 2025 sukzessive 15.000 Unternehmen im Land. Wie geht die Börse München damit um bzw. welche Hilfestellungen können Sie als Marktplatz hier leisten?

Generell sind sämtliche Unternehmen gut beraten, sich auf alle ESG-Anforderungen rechtzeitig und umfassend einzustellen. Wir haben in m:access ganz unterschied­liche Unternehmen hinsichtlich Größe, Branche und Geschäftsmodell, einen ­echten Querschnitt durch den deutschen Mittelstand. Das heißt, es gibt Gesellschaften, die bereits bewusst nachhaltig ausgerichtet sind, und andere, die hier noch am Anfang stehen. Als Marktplatz stehen wir allen Unternehmen offen und überprüfen ausschließlich die Kriterien, die m:access erfordert. Letzten Endes entscheiden die Investoren und Anleger, in welche Unternehmen und Geschäfts­modelle sie investieren.

In einer unlängst veröffentlichten Studie der GBC AG unter den Indexmitgliedern in DAX, MDAX und SDAX gaben die meisten Unternehmen an, dass das Thema Nachhaltigkeit ­inzwischen ein wichtiger Teil ihrer strategischen Firmenpolitik ist. Vor allem kleinere mittelständische Unternehmen, die ja das Gros des m:access-Markts ausmachen, haben erfahrungsgemäß in Sachen ESG noch Nachholbedarf und auch kapazitätsmäßig zu kämpfen. Gibt es Beispiele in m:access, bei denen die Implementierung von Nachhaltigkeit, auch in der Lieferkette und/oder im Reporting, erfolgreich umgesetzt wurde?

*Aktiennotierungen, Stand: 10. August 2023,
Quelle: Angaben/Webseiten der Börsen

In m:access sind einige Unternehmen vertreten, die schon kraft ihrer Branchen­zugehörigkeit wie etwa der Solar- oder Windenergie oder ihrer Ausrichtung per se nachhaltig sind. Der Dämmstoffspezialist STEICO SE ist beispielsweise eines der wenigen deutschen Mitglieder im NAI, dem sehr streng ökologisch ausgerichteten Natur-Aktien-Index. Dem gehört mit der UmweltBank AG aus Nürnberg ein ­weiteres m:access-Unternehmen an. Aber das sind Gesellschaften, die Nachhaltigkeit nicht erst implementieren mussten, sondern die per se darauf ausgerichtet ­waren.

Ein interessantes Beispiel ist auch die Wolftank-Adisa AG aus Österreich. Das Unternehmen reinigt Tanks und Pipelines, bietet außerdem Umweltdienstleistungen und den Geschäftsbereich Wasserstoff. Es definiert sich als nachhaltig ausgerichtet mit Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft, emissionsfreier Mobilität als Stichworte, und selbstverständlich erstellt das Unternehmen bereits eigene Sustainability ­Reports.

Das ist interessant, gerade bei Unter­nehmen, die man nicht auf den ersten (Laien-)Blick mit dem Thema Nachhaltigkeit in Verbindung bringt.

Das ist aber oft so. Ich erwähne hier gerne noch das IPO der International School Augsburg gAG – kurz: ISA –, die als erste Schule und Bildungseinrichtung überhaupt in Deutschland und Europa an die Börse ging und in m:access als gemein­nützige Aktiengesellschaft firmiert. Sie ist klar an den SDGs, den Sustainable Development Goals der UN orientiert – mit dem Schwerpunkt Bildung. Zurzeit etwa konzipiert sie ein neues, ökologisches Schul­gelände.

Auch die Erlebnis Akademie AG, ein weiteres IPO bei uns, kann als nachhaltig bezeichnet werden. Das Unternehmen ­errichtet und betreibt Baumwipfelpfade in Deutschland, Europa und Nordamerika. Es arbeitet mit den örtlichen Naturschutzbehörden eng zusammen, die Pfade bestehen überwiegend aus Holz. Das Unternehmen aus dem Bayerischen Wald bietet nachhaltigen Tourismus und Naturschutzbildung gleichermaßen an.

Wie sieht es mit der Börse München selbst aus – was können Sie tun, um gleichfalls ESG-konform zu wirtschaften?

Als elektronischer Handelsplatz für Wertpapiere haben wir per se einen anderen CO2-Abdruck als z.B. ein Stahlwerk oder eine Airline. Wettbewerb und Innovationen wie Netting und Aggregierung in der Abwicklung von Wertpapiertransaktionen bringen deutliche Effizienzsteigerungen. Die Vermeidung unnötiger Prozesse ist auch ein Aspekt von Nachhaltigkeit, da hier ganz konkret der Energieverbrauch reduziert werden kann. Im Kleinen haben wir wie natürlich viele Unternehmen zahlreiche buchhalterische Tätigkeiten digitalisiert, unsere Geschäftsreisen finden fast ausschließlich per Bahn statt.

Herr Dr. Feiler, herzlichen Dank für diese Einblicke und das Gespräch.

Das Interview führte Simone Boehringer.


Zum Interviewpartner

Dr. Marc Feiler ist Geschäftsführer und Justiziar der Börse München. Er ist für den gesamten Primärmarkt (also etwa die Zulassung von Emittenten), die Betreuung von Handelsteilnehmern und Emittenten, die börslichen Regelwerke und die Compliance sowie das Mittelstandssegment m:access zuständig.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.