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Hippe Branche, gefragte Produkte, Mitglied im ATX Prime – eigentlich müsste alles rund laufen bei der Marinomed Biotech AG aus dem niederösterreichischen Korneuburg. Doch wie viele Unternehmen kämpft auch sie nach mehr als zwei Jahren Kapitalmarktpräsenz um Aufmerksamkeit. Ein Gespräch über Forschungs- und Börsenzyklen, die besondere Zurückhaltung von Investoren in Europa und die Hoffnung auf freundlichere Zeiten.

GoingPublic: Marinomed ist seit 2019 an der Wiener Börse notiert. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Schmidt: Die Wiener Börse ist ein kleiner, feiner Börsenplatz verglichen mit den Börsen in London, Frankfurt oder auch der Euronext u.a. in Paris und Amsterdam. Im Vergleich mit unseren Peers an anderen Börsen haben wir in Wien vor allem Vorteile. Der Handelsplatz ist österreich­typisch eher familiär, sowohl im Kontakt mit der Börse selbst als auch mit den ­Investoren und Interessenverbänden. Das ist ­gerade für Neulinge vorteilhaft. Der oft ­genannte Nachteil der Liquidität würde uns auch an jeder anderen Börse treffen.

Was würden Sie wieder genau so und was anders machen rund um den ­Börsengang – und warum?

Schmidt: Retrospektiv hätten wir uns natür­lich lieber einen Bullenmarkt ausgesucht – das lässt sich aber nicht vorhersagen, und dass wir selbst in dieser schwierigen Marktphase Ende 2018/Anfang 2019 reüssiert haben, hängt sicher auch mit dem Börsenplatz Wien zusammen. In Summe sind wir aber mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Entsprechend fallen uns jetzt gar keine elementaren Dinge ein, die wir anders machen würden.

Haben Sie je über ein Dual Listing ­nachgedacht?

Schmidt: Natürlich. Nicht zur Zeit des Börsengangs, aber danach. Ein Dual Listing ist allerdings auch mit vielerlei Nebenwirkungen verbunden, auf die wir bislang gut verzichten konnten und wollten. Bevor so ein Schritt Sinn ergibt, muss man sich aber die Frage stellen, ob man die Inves­toren am zweiten Börsenplatz auch gut ­genug erreichen und informiert halten kann. Diesen Aufwand werden wir nicht unterschätzen. Die Aktien werden an einigen deutschen Börsen gehandelt, aber das ist kein Listing, sondern eine „Spiegelung“ des Wiener Listings.

Mit Ihrem Nasenspray gegen COVID-19 haben Sie vergangenes Jahr auch an der Börse kurzfristig für einen starken Kursanstieg gesorgt; die Pandemie ist immer noch da, das Nasenspray auch, aber die Aktie liegt im Minus. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Dr. Grassauer: Der Vorteil an unserem ­Nasenspray ist, dass es breit gegen zahl­reiche Viren wirksam ist – nicht nur gegen Corona –, und diese Viren kommen jetzt auch wieder zurück. Das heißt, die Menschen haben weiterhin Erkältungen und können unser Spray gut brauchen. Die ­aktuelle geopolitische Situation macht ­natürlich vielen Unternehmen und auch den Investoren zu schaffen und sie werden vorsichtiger. Investitionen in Biotechs erfordern viel Geduld und Vertrauen; das ist ­aktuell schwierig zu bekommen. Aber wir machen uns momentan keine Sorgen, da wir zumindest bis Ende 2024 über genügend Zahlungsmittel verfügen und mit unseren Carragelose-Produkten einen beständigen Einkommenspolster aufgebaut haben.

Nach den drei bis vier Impfwellen in Europa gibt es inzwischen mehrere Ansätze zur Behandlung von COVID-19. Der Wettbewerb um die Blockbuster ist schon länger entbrannt. Ist Marinomed hier im Rennen?

Dr. Grassauer: Das Rennen um die Notfallzulassungen ist bereits beendet. Nun gelten wieder Pharmaregeln; da sind die Entwicklungshorizonte länger. Mit unserer Carragelose-Plattform haben wir ­bereits Produkte, die virale Infektionen abschwächen oder verhindern. Wir ­haben aber auch die ­Marinosolv-Technologie, mit der wir sehr spannende eigene Produkte mit hohem kommerziellem Poten­zial entwickeln, die wir aber auch in Technologiepartnerschaften bereits in unserem Geschäfts­bereich „Solv4U“ erfolgreich vermarkten.

Gibt es eventuell auf einem anderen Gebiet neue Produkte, die ähnlich ­vielversprechend sind wie das Carragelose-Spray?

Dr. Grassauer: Wir arbeiten momentan an einer Augentropfenformulierung von Tacrolimus, einem Immunsuppressivum, das u.a. zur Behandlung von Augenentzündungen verwendet wird. Mit unserer erwähnten Marinosolv-Technologie ist es uns gelungen, den Wirkstoff deutlich besser zu lösen und somit die Bioverfügbarkeit zu verbessern sowie die Menge an erforderlichem Medikament zu verringern. All das bedeutet für Patienten eine potenzielle Steigerung der Lebensqualität und könnte bestehende Therapien substanziell verbessern oder ganz neue Therapien ermöglichen.

Das Börsengeschäft ist generell ­schnelllebig, die Forschungs- und ­Produktzyklen sind langwierig. Kritiker der Finanzmärkte finden teilweise, dass deshalb Biotech und Börse grundsätzlich schwer zusammengingen. Was entgegnen Sie diesen?

Dr. Grassauer: Wer schon einmal mit Forschung zu tun gehabt hat, wird verstehen, dass hinter Erfolgen sehr viel Zeit, Arbeit und auch viele Misserfolge stehen. Dafür sind aber die Erkenntnisse meistens umso lohnender und bringen echten Fortschritt und langfristige Werte. Wir glauben, dass in Zukunft auch mehr Augenmerk auf langfristige und nachhaltige Investments gelegt wird. Umso wichtiger ist es auch, dass solche Werte auch auf den Börsen vertreten sind.

Schmidt: Generell ist es ein sehr sinnvoller Ansatz, Technologie über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Das funktioniert aber eben leider in Europa nur bedingt. Das Risikoprofil von Wachstumsunternehmen passt vielleicht nur für einen Teil der Investoren, aber dafür sind die Chancen umso größer. Gerade für diese Investoren sollte das Marinomed-Geschäftsmodell mit einer bereits profitabel arbeitenden Geschäftseinheit ein guter Kompromiss sein.

Unternehmen mit Aktien jenseits der großen europaweiten Indizes tun sich oft schwerer bei Investor Relations als die Vertreter von Standardwerten. Was ist Ihre Strategie, um im Markt gehört/gelesen/gesehen zu werden?

Dr. Grassauer: Wir sind ja im ATX Prime vertreten. Dennoch ist es als kleines Unter­nehmen und in der aktuellen Situation ­natürlich schwierig, mit guten Nachrichten zu punkten. Wir versuchen, möglichst präsent zu sein auf Investor- und Industriekonferenzen und den Kontakt mit unseren Investoren zu pflegen. Im Sommer ­haben wir auch einige JournalistInnen zum persönlichen Austausch zu uns nach Korneuburg eingeladen. Das ist in Zeiten von virtuellen Meetings als tolle Abwechslung wahrgenommen worden.

Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Wie gehen Sie mit den ESG-­Anforderungen um? Haben Sie Anpassungen bei Investor Relations oder auch in der Struktur des Unternehmens ­durchführen müssen oder ist das für so ein junges Unternehmen gar nicht nötig?

Schmidt: Wir haben im Geschäftsbericht 2021 erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt und haben dazu auch viel positive Resonanz erhalten, was uns natür­lich sehr freut. In erster Linie ist natürlich wichtig, als Unternehmen auf nachhaltiges Wirtschaften zu achten. Das ist uns bisher ganz gut gelungen, denke ich. In den nächsten Jahren werden die EU-­Regeln schlagend werden; dann werden wir evaluieren, ob Anpassungen notwendig sind.

Das Interview führte Simone Boehringer.

Zu den Interviewpartnern

Dr. Andreas Grassauer ist Vorstandsvorsitzender und Chief Executive Officer. Er war 2006 einer der Mitbegründer von Marinomed und ist seither CEO des Unternehmens. Dr. Grassauer hält einen Doktortitel in Virologie des Departments für Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien. Pascal Schmidt ist Chief Financial Officer. Er trat seinen Posten als CFO des Unternehmens im August 2018 an. Schmidt verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Corporate Finance, Unternehmensentwicklung sowie M&A. Schmidt ist Diplomkaufmann mit Abschluss an der Universität Bayreuth.
Dr. Andreas Grassauer ist Vorstandsvorsitzender und Chief Executive Officer. Er war 2006 einer der Mitbegründer von Marinomed und ist seither CEO des Unternehmens.
Dr. Grassauer hält einen Doktortitel in
Virologie des Departments für Biotechnologie
der Universität für Bodenkultur Wien.
Pascal Schmidt ist Chief Financial Officer. Er
trat seinen Posten als CFO des Unternehmens
im August 2018 an. Schmidt verfügt über
mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich
Corporate Finance, Unternehmensentwicklung sowie M&A. Schmidt ist Diplomkaufmann mit Abschluss an der Universität Bayreuth.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.