Zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und des exponentiellen ­Bevölkerungswachstums braucht es eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Neuausrichtung. Die Bioökonomie bietet ­dafür mögliche Lösungen ­an. Damit sie jedoch an Fahrt aufnehmen kann, muss mehr in sie investiert werden. Wie das ­gelingen kann, fragten wir Dr. Michael Nettersheim vom European Circular Bioeconomy Fund (ECBF).

 

Plattform Life Sciences: Herr Dr. Nettersheim, warum sollte man in die Bioökonomie investieren?

Dr. Nettersheim: Die Vielfalt der Bioökonomie bietet ein großes Spektrum an Geschäftsmöglichkeiten. In den Bioökonomiebereichen Landwirtschaft, Blue Economy, biobasierte Materialien und alternative Proteinquellen liegt ein enormes Potenzial für eine erfolgreiche Transformation hin zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Wirtschaft. Hier werden langfristig deutliche Wett­bewerbsvorteile gegenüber fossilbasierten Erzeugnissen erzielt und Investments werden eine hohe Rentabilität haben. Darüber hinaus suchen Unternehmen gezielt nach Möglichkeiten, ihre Produkte nachhaltiger zu gestalten, und stoßen so auf Bioökonomie­innovationen. Ein großer Treiber ist dabei auch eine sich zugunsten von Nachhaltigkeit ändernde Gesetzeslage. Es sind vor ­allem etablierte, große Konzerne mit einem großen Fußabdruck, die angesichts stärke­rer Regulierungen und eines wachsenden Bewusstseins der Verbraucher sehr motiviert sind, ihre Geschäfte nachhaltiger zu gestalten. So arbeitet beispielsweise Nestlé derzeit an Alternativen für seine bisherigen papierbasierten Verpackungen, BASF entwickelt biobasierte Kunststoffe und LanzaTech nutzt Abfallgase der Industrie und wandelt sie mithilfe von Mikroorganismen in biobasierte Produkte um.

Unsere Mission beim ECBF ist es, die Transformation von einer fossilbasierten hin zu einer biobasierten Wirtschaft voranzutreiben.“ Dr. Michael Nettersheim. Copyright: ECBF

Sind denn für Investoren alle Sektoren der Bioökonomie gleichrangig interessant oder lassen sich Trends erkennen?

Grundsätzlich lässt sich ein Markttrend in Richtung Nachhaltigkeit erkennen, besonders in den Bereichen Ernährung und Kleidung. Die Bioökonomie ist jedoch wesentlich umfassender als diese Bereiche aufgestellt – und hier lassen sich keine eindeutigen Trends feststellen. Eher rufen einzelne Sektoren bei Investoren unterschiedlich starkes Interesse hervor. So ziehen vor ­allem Landwirtschaft und Ernährung viele Investoren an. Dabei handelt es sich häufig um Generalisten, also Investoren mit breiter, aber nicht unbedingt fachspezifischer Expertise. Technische Detailfragen dagegen stellen für alle Investoren eine Herausforderung dar. Sowohl Family Offices als auch Generalisten haben uns häufig mitgeteilt, dass sie insbesondere im Bereich der biobasierten Materialien Schwierigkeiten haben, Produktionsprozesse, Wertschöpfungsket­ten, technische Fragen sowie B2B-Kanäle zu bewerten. Deshalb meiden Investoren solche technologielastigen und oftmals auch kapitalintensiven Themen.

So fallen natürlich etliche potenziell passende Investoren weg.

Ja, das ist bedauerlich, denn im Allgemeinen sind Bioökonomieunternehmen, welchem Sektor man sie auch zurechnet, hochinteres­sant, sehr dynamisch und definitiv der ­zukünftige Wachstumsmarkt. Selbstverständlich sind sie „komplex“, aber meist gar nicht im technologischen Sinne. Es sind die Märkte selbst, die bei diesen Sektoren komplex sind. Sie unterscheiden sich darin nicht von den Sektoren Landwirtschaft und Ernährung, die oft als vermeintlich einfacher bewertet und deren Komplexität oft unterschätzt wird. Die ­eigentliche Komplexität aller Bioökonomiesektoren liegt dabei oft nicht nur in der technischen Umsetzung, sondern auch in der Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessengruppen. Um beispielsweise ein neues Material entlang der Wertschöpfungsketten in den Markt zu bringen, muss der Markeninhaber überzeugt werden, aber auch alle beteiligten Unternehmen auf dem Weg dahin. Ein neues Material sollte auch bisherige Produktionsprozesse nicht zu stark verändern oder gar verlangsamen. Gleichzeitig sollten die Leistungsmerkmale erhalten bleiben und sich Formulierungen äquivalent zu fossilbasierten Stoffen verhalten. Der entscheidende ­Unterschied bei Bioökonomieprodukten ist: Sie sollen biobasiert, ergo erneuerbar, nachhaltiger und kreislaufgeführt sein. Das bedeutet aber, dass die dahinterstehenden Prozesse meist komplett neu gedacht und geschaffen werden müssen. Damit sind zwar große Herausforderungen verbunden, aber diese werden gerade in allen Wirtschaftsbereichen angegangen.

Unsere Mission beim ECBF ist es, die Transformation von einer fossilbasierten hin zu einer biobasierten Wirtschaft voranzutreiben.

Auf welche Art von Unternehmen und deren Investmenttätigkeit zielt der ECBF?

Unsere Mission beim ECBF ist es, die Transformation von einer fossilbasierten hin zu einer biobasierten Wirtschaft voranzutreiben. Dabei können uns Investoren unterschiedlicher Größe unterstützen, ­indem sie gemeinsam mit uns in Bioöko­nomieunternehmen mit hohem Erfolgs­potenzial investieren. Der Grundstein des ECBF wurde 2018 gelegt, nachdem die ­Europäische Investitionsbank (EIB) eine Finanzierungslücke in der Wachstums­phase von Bioökonomieunternehmen erkannt hatte. Daraufhin sagte die EIB 100 Mio. EUR für die Initiierung des Fonds zu. Mit unserem Team konnten wir weitere 24 private Investoren davon überzeugen, diese Heraus­forderung gemeinsam mit uns anzunehmen, um diesen Kapitalbedarf zu bedienen. ­Anfang 2022 konnte der Fonds schließlich mit einem Gesamtvolumen von 300 Mio. EUR geschlossen werden und investiert seitdem aktiv. Seither liegt unser Ziel ­darin, Syndikate mit anderen Investoren zu bilden, um vielversprechende Investmentmöglichkeiten zu finden und Syndikate mit anderen Investoren zu formen. An dieser Stelle finden wir es wichtig, zu unterstreichen, dass wir trotz der Beteiligung der EIB kein Förderinstrument sind. Wir agieren wie ein üblicher privater Venture Capital Investor.

Das jetzige Fondsvolumen beträgt ins­gesamt ca. 300 Mio. EUR. Ist das für das erklärte Ziel, eine komplette Wirtschaft umzubauen, nicht viel zu wenig?

Nun, ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt – und diesen geht der ECBF, indem er weiteres Kapital für nachhaltige Investitionen z.B. in Syndikaten mobilisiert. Mit der Technologieexpertise unseres ­Investmentteams und unserer Industrieexpertise sehen wir uns als ideale Ergänzung des Boards und als Unterstützung der generalistischen Investoren. Der europäische Gesetzgeber hat aber auch schon weitere Maßnahmen für weitere Schritte beschlossen. So soll vor allem durch die EU-Taxonomie weiteres Kapital für nachhaltige Investitionen mobilisiert werden. Ziel ist, Kapitalströme in nachhaltige ­Investitionen zu lenken. Das betrifft nicht nur den Aktienmarkt, sondern auch Private Equity und Venture Capital. Natürlich müsste deutlich mehr Geld in die Transformation der Wirtschaft fließen. Deutschland ist zwar weit vorn, wenn es um Forschung und Technologietransfer geht; wenn wir aber auf unser bisheriges Port­folio schauen, ist Deutschland bei Inno­vationen in der Bioökonomie nicht führend – insbesondere die skandinavischen Länder und die Niederlande sind da schon viel weiter.

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Eine weitere mögliche Kapital­allokation sehe ich in der Umlenkung nicht-nachhaltiger Subventionen in bio­basierte Produkte: Das würde ermöglichen, Unternehmen in der kapitalintensiven Wachstumsphase besser auszustatten, um Produkte und Technologie zu skalieren. Wie oft haben wir bereits Diskussionen darüber geführt, dass wir uns bei der ­Einführung neuer Produkte zurückhalten müssen, weil die notwendigen Finanz­mittel nicht vorhanden sind? Wenn die Länder hier mehr Unterstützung leisten könnten, wäre das sicherlich von Vorteil. Wenn Wachstumsfirmen ein neues Produkt auf den Markt bringen, produzieren sie normalerweise im kleineren Maßstab, was jedoch kostenseitig nicht vorteilhaft ist. Sie müssen in der Anlaufphase oft noch Geld drauflegen, um jedes Kilo des Produkts zu verkaufen. Wenn das Produkt jedoch im Markt erfolgreich ist, kann es skaliert werden, um mehr Profit zu generieren. Hier besteht allerdings eine Finan­zierungslücke in der Wachstumsphase, da die notwendigen Gelder in der Firma ­fehlen.

Welche Länder in Europa haben aus Sicht des ECBF die am weitesten fort­geschrittene Bioökonomie?

Wir überwachen regelmäßig die Investments in den Sektor der Bioökonomie. Die größten Volkswirtschaften in Europa sind Deutschland, Frankreich, Italien und ­Spanien. Deutschland und Frankreich sind auf jeden Fall in den Top Ten, wenn man die Anzahl der Investments und das Finanzvolumen betrachtet. Aber auch kleinere Länder wie Skandinavien haben überproportional viel in nachhaltige Technologien investiert. Finnland hat aus ­unserer Sicht beispielsweise genauso ­viele Investmentopportunitäten wie Italien, obwohl es nur fünf Millionen Einwohner zählt. Die Niederlande haben noch mehr in nachhaltige Technologien investiert und haben die meisten Investments in ­unserem Portfolio. Der Campus der Universität Wageningen ist beispielsweise weltführend in diesem Bereich. Deutschland ist auch schon gut unterwegs, aber es ist schwierig, akademische Exzellenz zu fördern und zu benennen, da es oft in ­einer Neiddebatte mündet. Wir brauchen jedoch akademische Exzellenz und Unternehmertum, um erfolgreich zu sein.

Herr Dr. Nettersheim, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe Finanzieren & Investieren 2_23 erschienen, die Sie hier herunterladen können.

Zum Interviewpartner:

Dr. Michael Nettersheim ist Managing Partner des European Circular Bioeconomy Fund (ECBF). Der ECBF orientiert sich bei seinen Investments an Umwelt- und Sozialstandards sowie Prinzipien verantwortungsvoller Unternehmensführung – den ESG-Kriterien.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.