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Der Start ins Börsenjahr 2024 war fulminant: Der DAX eilte von Rekord zu Rekord und knackte erstmals die 18.000-Punkte-­Marke. Das nährt die Hoffnung, dass in diesem freundlichen Marktumfeld auch die IPO-Aktivitäten wieder Fahrt aufnehmen. Eine Auswertung der Ad-hoc-Meldungen, die im vergangenen Jahr von den Emittenten aus dem Prime Standard ­veröffentlicht wurden, zeigt einen deutlichen Rückgang. Dies spricht einerseits für wieder größere Planungssicherheit. Bei genauerem Hinsehen lässt sich jedoch noch eine andere Erklärung finden: Der Prime Standard beschleunigte seine Ent­wicklung der letzten Jahre und schrumpft 2023 so deutlich wie nie zuvor. Kann dieser Negativtrend 2024 gestoppt werden?

Ein Anfang ist gemacht: Mit dem Augsburger Rüstungszulieferer RENK und dem Pumpen- und Armaturenhersteller KSB verzeichnete der streng regulierte Prime Standard (dazu gehören unter anderem DAX, MDAX und SDAX) die ersten ­Zugänge im laufenden Jahr. Weitere sollen folgen, denn nachdem die IPO-Aktivitäten in den vergangenen beiden Jahren fast zum Erliegen gekommen waren, ist die Pipeline mit Börsenkandidaten gut gefüllt. In den Start­löchern stehen unter anderem namhafte Unternehmen wie der Fernbus- und Bahnanbieter Flix oder DKV Mobility.

Nur drei Börsengänge im Jahr 2023

Der DAX startete seine Börsenrally bereits Ende letzten Jahres. Dennoch wagten aufgrund des lange Zeit wechselhaften Börsenumfelds mit der IONOS Group, SCHOTT Pharma sowie thyssenkrupp ­nucera gerade­ einmal drei Gesellschaften im Prime Standard den Schritt aufs Parkett. Zur Einordnung: Dies waren zwar zwei IPOs mehr als 2022, als die Porsche AG die traurige Bilanz rettete; jedoch lag die durchschnittliche Zahl der Börsengänge im Prime Standard seit 2010 bei sieben und damit deutlich ­höher.

25 Emittenten verließen dagegen im vergangenen Jahr das Marktsegment. Gründe hierfür waren unter anderem Wechsel in den weniger stark regulierten General Standard (z.B. PAION AG, Pfeiffer Vacuum), ­widerrufene Zulassungen (z.B. Gigaset, The Social Chain AG) oder die Übernahmen von Aareal Bank, GK SOFTWARE, SUSE, Vantage Towers und va-Q-tec. Zudem ist das ehemalige DAX-Schwergewicht Linde nach der ­Fusion mit der amerikanischen Praxair mittlerweile nur noch in den USA notiert.

Die Zahl der Emittenten in dem Segment ging damit um 22 (7,3%) auf 277 (ohne Mehrfachlistings und doppelte Aktiengattungen) zurück – so deutlich wie nie zuvor.

Stimmungsumschwung bei den Unternehmen

Einen Stimmungsumschwung bei den Unternehmen im letzten Jahr lässt sich auch aus einer Auswertung der EQS Group AG ablesen, deren weltweites Newswire über 90% der Emittenten aus dem Prime Standard für die Erfüllung ihrer Meldepflichten nutzen. Insgesamt wurden 2023 im Prime Standard 770 Ad-hoc-Meldungen mit potenziell kursbeeinflussenden Tatsachen distribuiert. Das sind 77 weniger als im Vorjahr, angesichts der geringeren Anzahl an Emittenten bewegten sich die durchschnitt­lichen Veröffentlichungen pro Unternehmen jedoch fast auf dem gleichen Niveau: im DAX 2,25 statt 2,23, im MDAX 2,02 statt 2,22, im SDAX 2,64 statt 2,67 sowie im sonstigen Prime Standard 3,18 statt 3,17 Meldungen.

Im Gegensatz zu 2022, als die Prognoseänderungen in der Mehrzahl für Enttäuschungen sorgten, überwogen im DAX im vergangenen Jahr allerdings die positiven Inhalte. Von den 19 veröffentlichten Anpassungen beinhalteten elf die Anhebung der Planzahlen. Gleich zweimal setzte der Sportartikelhersteller adidas die Messlatte nach oben. Außerdem erhöhten Beiersdorf, Daimler Truck Holding, E.ON, Heidelberg Materials, Mercedes-Benz Group, Munich Re, RWE und Symrise ihre Jahresziele. Die Siemens Energy AG, die gleich zu Jahresbeginn mit ihrem Ausblick geglänzt hatte, musste später wieder zurückrudern und die Zahlen nach unten anpassen. Negativ stach im Leitindex der Pharma- und Laborzulieferer Sartorius AG hervor, der zweimal die Prognose senkte. Im MDAX war das Bild mit 15 Prognoseanhebungen bei insgesamt 24 Anpassungen ebenfalls erfreulich.

*) In der Auswertung sind auch folgende sieben Unternehmen enthalten, die im General Standard gelistet sind, zugleich aber einem Auswahlindex angehören: Porsche Automobil Holding SE (DAX), Deutsche Wohnen SE (MDAX), Adtran Networks SE, Energiekontor AG, KSB SE & Co. KGaA, Pfeiffer Vacuum Technology AG und Sto SE & Co. KGaA (alle SDAX).

57 Meldungen: Unternehmen setzen verstärkt auf Aktienrückkäufe

Ein ebenfalls häufig genutztes Schlagwort beim Versand von Insiderinformationen war „Aktienrückkäufe“. Trotz der geringeren Zahl an Emittenten stieg die Anzahl der Meldungen im vergangenen Jahr auf 57 (2022: 47). Offensichtlich sahen viele Vorstände eine Unterbewertung ihrer Gesellschaften an der Börse und nutzten die günstigen Preise zum Rückkauf eigener Aktien, der häufig mit steigenden Kursen einhergeht.

Stimmungsumschwung: Nach vielen Enttäuschungen waren Prognose­anhebungen 2023 in der Mehrzahl

Emittentenrückgang aufzuhalten durch IPOs?

Die Vorzeichen für das angelaufene Börsenjahr 2024 sind insgesamt günstig. Nach nur vier Börsengängen im Prime Standard in den vergangenen beiden Jahren deutet sich eine deutliche Belebung der IPO-Aktivitäten an. Ob diese ausreicht, um den Rückgang der Emittenten im Prime Standard zu stoppen, bleibt allerdings abzuwarten: Denn es sind bereits zahlreiche Abgänge vom Kurszettel abzusehen, die zunächst einmal aufgefangen und ausge­glichen werden müssen. In diesem Jahr wurden mit der Software AG und CropEnergies bereits zwei Unternehmen vom Kurszettel gestrichen, mit USU Software und ­Telefónica Deutschland haben zwei weitere ihren Börsenrückzug angekündigt. Und auch beim Raumfahrtunternehmen OHB bestehen Pläne, sich aus dem regulierten Börsenhandel zurückzuziehen. Vitesco hat einen Verschmelzungsvertrag mit Schaeffler geschlossen und KATEK wurde von Kontron übernommen; zudem liegen unter anderem für Encavis und MorphoSys Übernahmeangebote vor.

Autor/Autorin

Knut Wichering

Knut Wichering unterstützt als Leiter der Niederlassung Hamburg die IR-Kunden der EQS Group AG bei der Erfüllung ihrer Publi­kationspflichten.