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Dr. med. Frank Antwerpes, Vorstandsvorsitzender, DocCheck AG

 

Kostendämpfung hin oder her – die Möglichkeiten der Medizin entwickeln sich sprunghaft weiter. Angetrieben wird diese Entwicklung aus vielen Richtungen – aus der Informationstechnologie ebenso wie aus der Biotechnologie, der Genomik oder der Nanotechnologie. Das bemerkenswerte Vorankommen in den letzten Jahren wird ganz gerne unter dem Buzzword „Health 2.0“ subsummiert. Möglicherweise ist dieser Begriff aber zu harmlos – denn in vielen Bereichen steht die Medizin nicht nur vor einem Versionsupdate, sondern vor einer vollständig veränderten Zukunft.

IT: Wirksamstes Elixier für den medizinischen Fortschritt

Die Informationstechnologie ist die wichtigste Wurzel, die die Zukunft der Medizin nährt. In ihrer populärsten Form, dem Internet, hat sie bereits heute den Spielplan der Gesundheitsversorgung sichtbar verändert: Ärzte- und Klinikratings à la Jameda oder Docinsider sorgen für mehr Qualitätsdruck bei der Versorgung, Patientencommunites wie Patientslikeme für schnelleren Informationsaustausch unter den Betroffenen. Wikipedia hat das gute alte Gesundheitslexikon ersetzt und sorgt dafür, dass Patienten mit aktuellem medizinischen Wissen und einer gesunden Portion Skepsis in den Praxen aufschlagen. Die Dienstleister rüsten parallel auf: Kaum ein Land, in dem Ärzte über Dienste wie Sermo, DocCheck oder Coliquio sich nicht online über schwierige Patientenfälle austauschen. Der Trend geht zum aufgeklärten Patienten und zur besseren Kollaboration unter den Anbietern.

Das Internet führt auch zu mehr ökonomischer Effizienz: Denn trotz aller bürokratischen Bemühungen ist die Preisgestaltung im Gesundheitsmarkt ebenso intransparent und vielgestaltig wie das Pricing von Damenhandtaschen. Preisvergleichsportale wie 2te-Zahnarztmeinung, Medizinfuchs oder Medikompass, mit denen man die Kosten für Zahnersatz oder Medikamente bei verschiedenen Anbietern benchmarken kann, können eine wichtige Orientierung bieten. Zwar fliegen diese Ansätze – bedingt durch den Vollkasko-Anspruch der Krankenversicherungen – noch unter dem volkswirtschaftlichen Radar, sie werden aber mit steigender Notwendigkeit zur Selbstbeteiligung an Bedeutung gewinnen.

Kaum ein Land, in dem Ärzte über Dienste wie Sermo, DocCheck oder Coliquio sich nicht online über schwierige Patientenfälle austauschen.

 

Telemedizin: Erweckt aus dem Dornröschenschlaf

Ein Quantensprung steht einem lange geschmähten Stiefkind, der Telemedizin, bevor. Durch die weite Verbreitung von Smartphone und Tablets steht endlich kostengünstige Hardware zur Verfügung, die den diskreten Stasi-Charme der frühen Telemedizin, z.B. EKG-Übertragungen über langsame Modems, vergessen macht. Firmen wie Withings oder Medisana bieten leistungsfähige medizinische Wi-Fi-Geräte für das iPad wie Blutdruckmesser, Waagen oder Blutzuckermessgeräte zu erschwinglichen Kosten an. Die Übertragung der Befunde an den Arzt per E-Mail ist heute nur noch Formsache. Und das ist erst der Anfang. Die Ultraschallsonde und das EKG-Gerät für den Heimgebrauch am iPhone (z.B. AliveCor) werden schon bald für jeden ambitionierten Hobby-Arzt erhältlich sein.

Die Informationstechnologie wird aber noch wesentlich weiter gehen und dabei auch am Sockel derer kratzen, die ihr Wissen bislang für unantastbar hielten. IBM beispielsweise will sich nicht damit zufrieden geben, dass ihr vielgerühmter Supercomputer WATSON seine menschlichen Gegner in der Game-Show Jeopardy blamierte. Im nächsten Schritt soll das System systematisch Patientendaten auswerten können und dem behandelnden Arzt fundierte Vorschläge zur Diagnose oder Therapie machen. Möglich wird dies durch die semantische Analyse von Publikationen und wissenschaftlichen Texten, an denen sich WATSON aus dem Internet bedient. Mit anderen Worten: Die Expertensysteme von morgen benötigen keinen komplizierten Dateninput mehr, sondern „erlesen“ sich ihr Wissen einfach.

DNA-Sequencing: Sinkende Kosten treiben den Fortschritt

Spektakulär entwickeln sich auch die medizinischen Bereiche, in denen Computer und Software den Wissenszuwachs dramatisch beschleunigt haben. Während die erste vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms etwa 13 Jahre in Anspruch nahm und ca. 3 Mrd. USD kostete, ist die Komplettsequenzierung einer Human-DNA heute für knapp 1.000 USD zu haben. Und die Preise fallen weiter. Vor Kurzem wurde von Oxford Nanopore der erste DNA-Sequencer auf einem USB-Stick für 700 USD angekündigt. Wer Geld sparen möchte und sich mit Hobbythek-Charme zufrieden gibt, kauft sich im Web für 499 USD bei OpenPCR ein Gerät für den Eigenbau.

Kostengünstige Sequenzierung wird vor allem in der Onkologie maßgebliche Veränderungen bringen. Die systematische Bestimmung der Tumor-DNA, mit der sich die Tumorgenomik befasst, eröffnet bei der Behandlung von Krebserkrankungen neue Möglichkeiten. Die klassische Pathologie beurteilte Tumoren primär nach ihrem optischen Aspekt – mit einer guten, aber keineswegs exzellenten Vorhersagequalität. Durch die Entschlüsselung der Tumor-DNA kann man hingegen differenzierte Aussagen über das Wachstumsverhalten des Tumors, sein Metastasierungsrisiko und das Ansprechen auf verschiedene Therapieverfahren treffen. Die Chancen stehen gut, dass zytostatische Therapien dadurch in Zukunft gezielter und weniger nach dem „Trial-and-Error“-Prinzip eingesetzt werden.

 

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