Dr. Wolfgang Schnorr, Brakow Consulting
Dr. Wolfgang Schnorr, Barkow Consulting

Gemessen an der durchschnittlichen Präsenz im DAX 30 war die HV-Saison 2015 ziemlich unspektakulär. Die Aktien-Präsenz der 30 deutschen Blue Chips in der HV ging  gegenüber 2014 um 0,6 %pp auf 56,4% zurück. Noch 2012 stand dieser Wert bei 60,6% – von weiter zurückliegenden Jahren ganz abgesehen. Auch aus Gründen einer verbesserten Corporate Governance (CG) wäre eine steigende Beteiligung der Eigentümer an den grundlegenden Unternehmensentscheidungen positiv gewesen.

Außerdem kam es bei etlichen AGs angesichts schlagzeilenträchtiger Differenzen zu bisweilen recht hitzigen HV-Diskussionen, die akute CG-Defizite offenlegten. Vor diesem Hintergrund ist die sinkende HV-Präsenz 2015 durchaus bemerkenswert.

Verschiebungen der Aktionärsstruktur von außen kaum ersichtlich

Die je nach Gesellschaft positiven wie negativen Veränderungen in der Aktienpräsenz haben sich unter dem Strich weitgehend kompensiert. Verschiebungen in der Aktionärszusammensetzung der DAX 30-AGs sind völlig normal. Sie sind für Außenstehende kaum erkennbar, können sich aber in der HV-Präsenz spürbar auswirken. Der größte „Ausreißer“ war 2015 die Deutsche Lufthansa mit einem Minus von 9,9%pp. Hier hat sich vermutlich die Frustration über endlose Pilotenstreiks und strategische Kurswechsel bis hin zur Dividendenstreichung durch Abstinenz bemerkbar gemacht.

Namensaktien verlieren wieder

Deutlich geschrumpft ist im Vergleich mit der HV-Saison 2014 die Diskrepanz in der Präsenzentwicklung von Namensaktien (2015/2014: -1,6%pp nach +9,3%pp 2014/2013) und  Inhaberaktien (2015/2014: +0,4 %pp nach +0,9%pp 2014/2013). Der Rückgang 2015 bei den AGs mit Namensaktien liegt offensichtlich daran, dass es hier zu einer gewissen Normalisierung nach der erfolgreichen Steigerung im Jahr 2014 kam.

Deutsche Bank: Niedrige Entlastung zeigt Wirkung

Die medial zuletzt nahezu omnipräsente Deutsche Bank konnte ihre chronisch niedrige HV-Präsenz um 3,5%pp gegenüber 2014 steigern. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn bereinigt um den neuen Ankeraktionär Qatar (5,8% Anteil), waren bei der HV 2015 2,3%pp weniger Aktien als im Vorjahr vertreten. Heraus ragte jedoch die blamable Nichtentlastung des Vorstands durch rund 39% der anwesenden Aktien. Addiert man noch die auffällig hohen Enthaltungen (nur) bei diesem Tagesordnungspunkt als verkappte Nein-Stimmen, steigt die Ablehnungsquote sogar auf rund 44%. Das dürfte im DAX 30 ein langjähriger Rekordwert sein. Und dieses eindeutige Urteil der Aktionäre blieb tatsächlich nicht ohne Folgen. Am 7. Juni 2015, also zweieinhalb Wochen nach der HV, teilte der Aufsichtsrat mit, dass die Co-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank ihre Funktionen binnen eines Monats bzw. Jahres beenden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Durchschnittliche HV Präsenz des DAX 30
Durchschnittliche HV Präsenz des DAX 30

 Commerzbank: Defizite in der Corporate Governance

Zu einem fast bizarren Verhalten kam es bei der Commerzbank-HV. Hier lehnte der Großaktionär Bund (Soffin)  immerhin zweifaches Aufsichtsratsmitglied  mit seinem Stimmenpaket den Punkt 9 seiner „eigenen“ Tagesordnung ab. Inhaltlich ging es um eine  Ausnahmeregelung, mit der die variable Vergütung bestimmter Mitarbeiter auf das Zweifache des Festgehalts hätte steigen können. Die prompte Reaktion des Vorstandsvorsitzenden verblüfft: Er stellte stattdessen einen Ausgleich beim fixen Grundgehalt in Aussicht. Was für ein eigenwilliges Verständnis der treuhänderischen Wahrnehmung von Eigentümerinteressen! Für eine offene, vertrauensvolle Kommunikation sowohl im Aufsichtsrat selbst als auch zwischen ihm und dem Vorstand, die im Interesse guter Corporate Governance unverzichtbar ist, spricht das alles jedenfalls nicht. Zur Vollständigkeit sei noch vermerkt, dass die 2015 um 5,5%pp gesunkene HV-Präsenz der Commerzbank fast ausschließlich auf die Verwässerung durch die unmittelbar zuvor durchgeführte Kapitalerhöhung  zurückgeht. Ohne diesen Effekt hätte der Rückgang rund 1%pp ausgemacht.

Volkswagen: Ich bin dann mal weg

Bei der Volkswagen AG, Deutschlands größtem Familienunternehmen im DAX 30, blieb der erwartete HV-Eklat trotz bühnenreifer Irrungen und Wirrungen im Vorfeld aus. Weniger als zwei Wochen zuvor hatten der Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch und seine Frau mit einem Paukenschlag alle Mandate im VW-Konzern niedergelegt. Ob er sich auf den Jakobsweg begeben hat, ist nicht bekannt. Tatsache ist: Weder der Alt-Patriarch noch seine Gattin wurden auf der HV 2015 gesichtet. Aber was soll’s? Wenn der knorrige Porsche-Enkel auch persönlich nicht anwesend war, seine Aktienstimmrechte waren es jedenfalls. Denn nur so konnte die HV-Präsenz 2015 um lediglich 0,6%pp hinter dem Vorjahr zurückbleiben.

BMW: Alles (l)egal

Eine harmonische HV ohne ernsthafte Dissonanzen bei kaum veränderter Präsenz (75,9%) legte 2015 der Münchner Autobauer hin. Wieso auch nicht? Geschäfte, Aktienkurs und Dividende eilen von einem Rekord zum nächsten. Da störte es allenfalls am Rande, dass einige institutionelle Anleger ebenso wie der Stimmrechtsberater ISS den nahtlosen Übergang des amtierenden Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsrat aus CG-Gründen ablehnten. Dank der stimmgewaltigen Familie Quandt mit knapp 47% BMW-Anteil geriet es zur Formsache, die gesetzlich eingeräumte Ausnahme von der Regel einer zweijährigen Abkühlungsperiode durchzusetzen.

Sieht man genauer hin, wird der Widerstand jedoch sichtbar: Auf die Wahl von Norbert Reithofer in den Aufsichtsrat entfielen mit weitem Vorsprung die meisten Nein-Stimmen, nämlich 14,5% der gültigen Stimmen. Bereinigt um die Anteile der Familie Quandt, die natürlich ihren Kandidaten gewählt hat, klettern die Gegenstimmen sogar auf über 37% aller übrigen auf der HV vertretenen Aktien. Das ist mehr als ein Achtungserfolg!

Fazit der HV-Saison 2015:

  1. Gute Corporate Governance-Praxis ist kein Selbstläufer.
  2. Medien-Präsenz und HV-Präsenz sind mitnichten positiv korreliert wie vorher.

Zum Autor:

Dr. Wolfgang Schnorr ist Corporate Governance-Experte bei Barkow Consulting. Er hat über 35 Jahre Berufserfahrung im Kapitalmarkt, den Investor Relations und strategischen HV-Themen.

Die vollständige Studie können Sie hier nachlesen.

 

 

 

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