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Neue Technologien wie ChatGPT verändern auch das Handwerk des Redenschreibens – aber ein guter Rhetoriker dürfte Kollege Computer wohl kaum werden, schon weil der Maschine die Empathie fehlt, befindet Redenprofi Peter Sprong. Ein Analysegespräch.

HV Magazin: Herr Sprong, KI ist in aller Munde, manche schwärmen geradezu von Tools wie ChatGPT, weil sie auch die Autorenarbeit erleichterten. Manche Journalisten machen sich schon Sorgen um ihren Job. Müssen sich nun auch die Redenschreiber neu umschauen?

Sprong:Die Antwort lautet, wie so oft in derartigen Fällen: „Kommt drauf an.“ Wer bisher vor allem Reden schreibt, die sich durch möglichst große Unauffälligkeit auszeichnen, der sollte sich warm anziehen – denn das Übliche und das Erwartbare ist eben genau das, was auch KI zustande bringt, und zwar mit jedem Tag etwas besser. Ich bin sicher: ChatGPT kann mit etwas menschlicher Assistenz schon heute eine Geburtstagsrede schreiben, die alle „ganz nett“ finden; bei der es keine ausdrück­lichen Störgefühle gibt – aber eben auch keine Gänsehaut und keine echten Tränen der Rührung. Dafür braucht man auch in absehbarer Zeit echte Menschen mit echter Empathiefähigkeit. Und das gilt keineswegs nur für persönliche Geburtstagsreden: Auch wer Wählerinnen und Wähler oder Beschäftigte mit einer Rede nachhaltig erreichen und bewegen will, wird mit der Maschine ­allein kaum glücklich werden.

Sie haben kürzlich in Berlin den VRdS-Preis für Wirtschaftsrhetorik an drei DAX-Unternehmensvertreter überreicht, in den Kategorien Rhetorik, Auftritt und Storytelling. Wissen oder glauben Sie, dass KI bei den 40 analysierten HV-Reden von DAX-Unternehmen bereits eine Rolle spielte?

Ich weiß von keiner Rede, auch von keiner längeren Passage einer Hauptversammlungsrede, die von einer KI geschrieben worden wäre – was eigentlich merkwürdig ist, denn es gibt in diesen Reden ja durchaus Passagen, die sich eher den Zahlen widmen und mehr oder weniger formelhaft sind. Da könnte eine KI vielleicht helfen. Andererseits: Diese Passagen werden immer knapper und da kann man sie auch schnell selbst schreiben. Eine ganze Hauptversammlungsrede traut sich ChatGPT übrigens gar nicht zu: Bei unserem Schreib­experiment (siehe Kasten) haben wir die KI aufgefordert, 17 Seiten zu schreiben. Die Antwort lautete: „Entschuldigung, aber ­dafür sind so umfangreiche Recherchen notwendig, dass ich das nicht kann.“ Stattdessen hat das System eine Grobgliederung angeboten, die aber auch nur zum Teil brauchbar war.

Haben Sie selbst schon einmal ausprobiert, wie eine Ihrer eigenen Reden ­ausgefallen wäre, wenn Sie, statt zu schreiben, die KI mit den entsprechenden Schlagwörtern gefüttert hätten? Wenn ja: mit welchem Ergebnis?

Ja, habe ich, bisher allerdings nur mit sehr ernüchternden Ergebnissen. Ein Auftrag für eine Rede zum Firmenjubiläum etwa lieferte in der Hauptsache sehr austauschbare Textbausteine, die genauso gut zu ­jedem anderen Unternehmen gepasst hätten. Um es individueller zu machen, muss man dem System zunächst weitere Infos zu dem betreffenden Unternehmen geben, was aber schnell zu Konflikten mit dem Datenschutz führen kann. Doch selbst wenn man das – zu Testzwecken – ignoriert, muss man die dann gelieferten Inhalte­ noch auf faktische Stimmigkeit überprüfen. Alles in allem schien mir: Um die KI mit wirklich hilfreichen Prompts zu füttern, ist ebenso viel Zeitaufwand nötig wie für das Selbstschreiben. Die Erfahrungen sind für mich bisher vergleichbar mit dem Aufwand, einen zwar talentierten, aber doch noch unerfahrenen Praktikanten anzulernen. Es ist einfach so, dass die kreative Produktion eines auf Wirkung zielenden Texts nicht nur daraus besteht, dass man – wie bei einem Kochrezept – bestimmte Zutaten in einer bestimmten Dosierung aneinanderreiht. Es gilt vielmehr die alte hermeneutische Weisheit: Das Ganze­ ist mehr als die Summe seiner Teile. Vor allem­ intuitive Kenntnisse und das bei Muttersprachlern fein ausgeprägte immanente Wissen über Bedeutungsnuancen oder Wirkungsunterschiede von Worten und Sätzen kann die KI nicht nachahmen – jedenfalls bisher nicht. Stattdessen arbeitet sie mit Wahrscheinlichkeiten. Das heißt: Sie produziert eben gerade nicht das Originelle oder Überraschende, sondern reproduziert das Erwartbare. Das wird deutlich, wenn man ­einen echten „menschengemachten“ Text mal mit dem vergleicht, was eine KI geschrieben hätte, was ich Ihnen exemplarisch anhand der vom VRdS kürzlich prämierten HV-Rede von BASF-Chef Dr. Martin Brudermüller mitgebracht habe.

Das klingt KI-seitig sicher teilweise lustig und unbeholfen. Aber Spaß beiseite, die KI entwickelt sich weiter: Rechnen Sie damit, dass CEO-Reden oder womöglich auch Politikerreden bald stärker unter Nutzung von KI-Tools erstellt werden?

Fast interessanter finde ich ja, dass viele ­Reden schon heute so klingen, als hätte sie eine KI geschrieben – weil sie darauf ausgerichtet werden, möglichst wenig Widerspruch zu erregen und möglichst keine konkreten Festlegungen vorzunehmen. Wer so reden will, der wird versuchen, KI immer ­öfter einzusetzen. Und bestimmt ist die Fantasie, dass man da reichlich Zeit, Mühen und vor allem Kosten sparen kann, auch für andere sehr verlockend. Doch selbst wenn die Ergebnisse in den kommenden Monaten sehr schnell immer besser werden, können die Grundregeln rhetorischer Wirksamkeit dadurch nicht aufgehoben werden. Um überzeugend zu sein, muss eine Rede laut Aristoteles in drei Disziplinen überzeugen: Logos, Ethos und Pathos. Die letzten beiden sind untrennbar mit demjenigen verbunden, der die Rede hält. Da geht es ganz wesentlich darum, dass die Zuhörer etwas Echtes spüren; dass sie merken: Da will jemand ­etwas von mir und hat wirklich etwas zu sagen. Das dürfte mit einem KI-generierten Text schwierig werden – von der Vortragsweise ganz zu schweigen.

Welche Vorteile können ChatGPT & Co. denn dann bei der Redenerstellung bringen?

Ganz sicher kann man sich bei der KI Anregungen holen. Sie füllt einem schnell das leere Blatt, sodass man zügiger ins Arbeiten kommt. Ich habe auch von Kolleginnen und Kollegen gehört, die sich von der KI einen Vorschlag zur Struktur haben machen lassen, der sie überzeugt hat. Auch beim Storytelling hat ChatGPT schon einigen geholfen – jedenfalls, solange es nicht auf reale Fakten ankommt. Die KI kann sich aber durchaus Geschichten einfallen lassen, die eine bestimmte Aussage transportieren sollen – vorausgesetzt wiederum, man nimmt sich die Zeit für ein entsprechendes Briefing.

„Um überzeugend zu sein, muss eine Rede laut Aristoteles in drei Disziplinen überzeugen: Logos, Ethos und Pathos.“

Wo sehen Sie in der Wirtschafts- und Politikkommunikation bzw. auch konkret im Redegeschäft Chancen für KI? Bestehen Risiken?

Wie gesagt: Die KI wird sich zu einem wertvollen Hilfsmittel entwickeln, besonders dann, wenn man sich eines Tages auch auf die Inhalte besser verlassen kann. Bisher kann man das nicht und das ist auch eines der größten Risiken. Neulich erzählte mir ein Kollege, dass er ChatGPT darum gebeten hatte, einen Entwurf für einen Pressetext zu schreiben. Thema war der Abschied eines Institutsleiters, der in den Ruhestand ging. Die KI machte daraus aber nicht nur ­einen Todesfall: Sie zitierte auch Beileids­bekundungen von einem Vorgesetzten, der frei erfunden war. Außerdem hinterließ der angeblich Verstorbene zwei Kinder, obwohl er in Wahrheit kinderlos war. Ein anderes ­Risiko besteht darin, dass sich die ethischen Grundsätze einer KI mitunter aushebeln lassen. Beim sogenannten Jailbreaking bringt man der KI dann erst einmal bei, sie möge sich bitte vorstellen, dass sie eine andere Identität habe, also z.B. nicht ChatGPT sei, sondern irgendein anderes, fiktives System. Dann sagt man ihr, dass dieses andere System an die Ethikregeln von ChatGPT nicht gebunden ist. Im Gegenteil: Man vergibt sogar Bonuspunkte für Informationen oder Ratschläge, die hochgradig unethisch sind. Auf diese Weise kann man sich dann von ­einer KI eine besonders perfide Verleumdungsrede gegen einzelne Personen oder Personengruppen schreiben lassen – oder auch eine Bastelanleitung für Molotowcocktails. Diese Möglichkeiten des Jailbreakings werden sicher in Zukunft immer weiter eingeschränkt, aber ob sie jemals ganz verschwinden werden, bleibt dahingestellt.

Wie sehen Sie die Zukunft in der Qualität von Reden, insbesondere in der Industrie und Politik, generell und vor dem ­Hintergrund von KI?

Ich sehe da ein in mehrfacher Hinsicht gemischtes Bild. Auf der einen Seite wird unsere Welt immer komplexer und es wird – dank Social Media – auch immer mehr kommuniziert. Objektiv gibt es also viel mehr Anlässe zu reden. Das ist für Politikerinnen und Politiker so, aber eben auch für Führungskräfte in der Wirtschaft. Alle müssen und wollen sich und ihre Absichten immer öfter erklären und sich nach innen und außen die nötige Unterstützung sichern. Insofern könnte man denken: goldene Zeiten für Redenschreiberinnen und Redenschreiber. Es ist nur leider so, dass sich eben auch die Formen dieser Kommunikation stark wandeln.

Was bedeutet das für Ihre Branche?

Für Redenschreiberinnen und Redenschreiber entstehen damit durchaus neue Betätigungsfelder. Und: Auch die klassische Rede wird bleiben – so wie die Vinyl-Schalplatte. Die Laudatio, die Festrede, die Keynote, die Regierungserklärung, die Trauerrede – das sind und bleiben Anlässe für eine sorgsam vorbereitete Rede. Von Menschen für Menschen.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Erläuterungen.

Das Interview führte Simone Boehringer.

Autor/Autorin

Peter Sprong

Peter Sprong (Jahrgang 1966) ist Journalist, Autor und Ghostwriter. Seit rund 30 Jahren schreibt er (auch) CEO-Reden für Hauptversammlungen. Mit seiner SprongCom GmbH in Köln konzentriert er sich seit 2003 auf das rhetorische Handwerk sowie das Coaching von Rednerinnen und Rednern. Seit September 2022 ist er Präsident des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS).