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Schnell und flexibel den Kapitalmarkt für Finanzierungen in Anspruch nehmen zu können, ist ein wichtiges Argument für den Schritt an die Börse. Dieser Grundsatz ist vor allem für Wachstumsunternehmen entscheidend, die auch nach dem IPO einen hohen Finanzierungsbedarf aufweisen. Börsennotierte Biotechnologieunternehmen, deren Pipelineentwicklung noch über viele Jahre nach dem IPO zu roten Zahlen und Kapitalbedarf führt, haben nur zwei Möglichkeiten zur Sicherstellung der Finanzierung: Partnering oder Mittelaufnahme über den Kapitalmarkt.

Letzteres ist meist „momentum-getrieben“, d.h. das Umfeld muss offen für Platzierungen sein und/oder das Unternehmen hat einen starken „catalyst“ vorzuweisen, der den Einstieg von Investoren interessant macht. Unternehmen, die sich mit einem Börsengang auseinandersetzen, werden sich der Frage annehmen müssen, wie sie sich dafür am besten aufstellen.

Neben der Wahl des Börsenplatzes, der in der Biotechszene eindeutig in Richtung USA geht (von zwölf deutschen „roten“ Biotech sind seit 2010 zehn an die US-Börse gegangen und keines an einen deutschen Börsenplatz) (1), ist die Rechtsformwahl eines der wichtigsten Entscheidungsparameter. Als ein in Deutschland ansässiger Emittent wäre die Aktiengesellschaft oder eine „deutsche“ SE die naheliegende Entscheidung – jedoch wählten von den zwölf Biotech-Unternehmen zum Zeitpunkt ihres Erstlistings nur drei einen heimischen Rechtsmantel. Der große Rest entschied sich für eine ausländische Rechtsform, darunter sieben für eine niederländische Aktiengesellschaft (NV).

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Was macht die NV für Biotech-Emittenten so attraktiv? Die NV bietet das Wahlrecht, eine monistische oder duale Organstruktur zu implementieren, was sonst nur die deutsche SE mit ihren zum Teil komplexen Gründungsvoraussetzungen erlaubt. Zugleich ermöglicht die niederländische NV den „Zweitsitz“ („dual residency“) der Organe, d.h., obwohl der satzungsmäßige Sitz in den Niederlanden ist, können die Organe Meetings in Deutschland abhalten. Besonders attraktiv ist die NV dank ihrer sehr flexiblen und angelsächsisch geprägten Kapitalausgestaltungmöglichkeit, die das deutsche Aktiengesetz nicht kennt oder sehr restriktiv handhabt. Das niederländische Recht räumt wie bei uns jedem Aktionär ein Bezugsrecht bei Barkapitalerhöhungen ein. Es kann jedoch komplett durch die Hauptversammlung ausgeschlossen werden.

Das deutsche Aktiengesetz kennt hier eine Grenze von 10% des bestehenden Grundkapitals. Das niederländische Recht kennt auch keine Wertuntergrenze bei der Ausgabe junger Aktien im Rahmen einer bezugsrechtslosen Barkapitalerhöhung. Das deutsche Aktienrecht dagegen schreibt vor, dass die jungen Aktien nur nahe dem Börsenpreis ausgegeben werden dürfen. Dabei geht die Rechtsprechung von maximal 5% aus. Für Small-, aber auch Mid-Cap-Emittenten, die i.d.R. einen volatilen Aktienverlauf haben, sind diese Restriktionen der wesentliche Grund, sich gegen die deutsche Rechtsform zu entscheiden. Nachteilig für diese Gruppe wirkt sich auch die Vorschrift aus, dass Aktien einen nominalen Mindestwert von 1 EUR ausweisen müssen. Diese Regelung kann eine Kapitalerhöhung in schwierigen Zeiten gefährden und zwingt hoch kapitalisierte Neuemittenten mit niedrigem buchhalterischem Eigenkapital, wie für Biotech nicht unüblich, „Goodwill-Aufblähungen“ durch eine komplexe Mutter-Tochter-Verschmelzung vorzunehmen, um eine ausreichend hohe liquide Aktienanzahl zu generieren.

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Die NV erfordert nur einen Mindestwert von 0,01 EUR pro Aktie, was diese Themen und die Folgethemen bei „financial distress“ einfacher macht. Wie unter angelsächsischen Emittenten üblich, erlaubt die NV auch die Ausgabe von reinen Aktienoptionen („warrants“) für Finanzierungszwecke. Das deutsche Recht gestattet dies nur in Verbindung mit einer Anleihe (Optionsanleihe) oder für die Mitarbeiterbeteiligung. Bei Letzterer ist die NV auch flexibler, da für Mitarbeiteraktienoptionen keine Mindesthaltefristen vorgeschrieben sind und sie auch für Aufsichtsratsmitglieder ausgegeben werden können (2).

Diese strukturellen Grenzen machen den deutschen Rechtsmantel für Biotechnologieunternehmen unattraktiv. Sie sind konträr zu den für sie wichtigen US-Kapitalmarktgepflogenheiten. Das DAI hat in Zusammenarbeit mit verschiedenen Marktakteuren (3) diese Defizite benannt und will Reformvorschläge an die Politik adressieren. Wir unterstützen diese Initiative ausdrücklich, um den Stellenwert der Biotechnologie am Kapitalmarkt zu erhöhen und diesen chancenreichen Emittenten das Leben an der Börse nicht noch durch die Zwischenschaltung einer ausländischen Rechtsform zu verkomplizieren (4).

(1) Stand: 30. April 2021; darunter ATAI Life Science, das im zweiten Quartal 2021 einen IPO an der NASDAQ plant
(2) Der „Dutch Corporate Governance Codex“ empfiehlt eine Wartefrist sowie keine Ausgabe von Optionen an Aufsichtsräten.
(3) Siehe dazu Beitrag Hettich/Hopp in Kurvenlage, 2. Halbjahr 2020, S. 12–-15, hier nachzulesen
(4) Siehe dazu auch Blättchen/Nespethal „Alternative Wege an den US-Kapitalmarkt für deutsche Familienunternehmen“ in FuS 06/2020

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Autor/Autorin

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit drei Jahrzehnten als unabhängiger Berater für Kapitalmarktstrategien aktiv. In dieser Zeit konnte er über 100 Pre-IPOs, IPOs und Follow-on-Mandate begleiten. Er ist aktives Mitglied in Aufsichts- und Beiräten sowie Ansprechpartner der Börsen.

Uwe Nespethal

Uwe Nespethal ist ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater in Kapitalmarktstrategien sowie in der Auflegung von kapitalmarktorientierten Incentivierungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeiter tätig.