Ein Realitäts-Check offenbart dagegen die erschreckende Erkenntnis, daß es an den Emerging Markets bislang wenig zu gewinnen, dafür aber viel zu verlieren gab. Viele namhafte Experten hatten den ostasiatischen Märkten für das neue Jahr die beste Kursperformance unter allen Indizes weltweit zugetraut. Ausgehend von der deutlichen Erholung nach der Asienkrise aus dem Jahr 1998 befanden sich die Tigerbörsen auf einem bislang ungebrochenen Weg zu den Ständen, die vor dem drastischen Einbruch vor fast zwei Jahren vorzufinden waren.

Aufgrund der seit vielen Jahren anhaltenden latenten Überbewertung der US-Börsen und der etwas unklaren Situation, was die europäische Konjunktur betrifft, wurde in erster Linie Tokio und Hongkong die Führerschaft beim Interesse internationaler Investoren zugebilligt. Indexstände von bis zu 22.000 im Nikkei und 20.000 im Hang-Seng seien demnach für dieses Jahr zu erwarten gewesen. Zwar sind diese Zielmarken nach wie vor durchaus noch möglich, angesichts der jüngsten, überproportionalen Rückschläge allerdings mehr als fraglich.

Im Vergleich zum Jahresendstand 1999 hat der Nikkei bereits 14 % eingebüßt und steht derzeit nur noch knapp über 16.000. Auf dem Hochpunkt der vorhergehenden Euphoriephase vor zwei Monaten dagegen konnten für kurze Zeit sogar 21.000 Punkte touchiert werden. Die wenig durchdachte Nacht- und Nebelaktion Ende April, als kurzerhand 30 konservative Werte im Index gegen solche aus der sogenannten New Economy ausgetauscht wurden, beschleunigte die Talfahrt nur noch zusätzlich. Bedingt durch das Abtauchen der US-amerikanischen High Techs begannen auch die asiatischen Technologietitel verlorengegangene Bodenhaftung zurückzugewinnen. Die mittlerweile überdurchschnittliche Marktkapitalisierung der Technologiewerte riß in der Folge die Indizes aller asiatischen Börsen mit nach unten.

Anstatt zu den Gewinnern zu gehören, weisen die meisten dieser Börsen die schlechteste Entwicklung in diesem Jahr auf – abgesehen vom Auslöser dieser Entwicklung: dem Nasdaq-Index. Die nach Japan zweitgrößte Börse in Asien, Hongkong, hat seit Jahresbeginn 18 % eingebüßt. Auch die vorab hochgelobten kleineren Märkte in Singapur (-26 %) und Südkorea (-35 %) wurden auf den Boden der Realität zurückgeholt. Am härtesten traf es den thailändischen SET, der mit einem Minus von 36 % seit Jahresbeginn die Verliererliste anführt.

Doch nicht nur der „Deep Impact“ bei den High Techs sollte für diese schweren Verluste verantwortlich gemacht werden. Vielmehr wird vielen ausländischen Investoren bewußt, daß auch die strukturellen Probleme in dieser Region noch keineswegs vom Tisch sind. Zwar hat sich seit dem Einbruch 1998 vieles verbessert, nichtsdestotrotz zeigten gerade die jüngsten Zahlen zur japanischen Industrieproduktion, daß die vielbeschworene Konjunkturbelebung längst nicht so nachhaltig ist, wie sich allerorten gewünscht wurde. Eine Abwertung der chinesischen Währung schwebt nach wie vor über der Region, lediglich der Zeitpunkt der definitiven Bekanntgabe steht noch aus.

Aus diesem Grunde ziehen derzeit dieselben Investoren, die noch vor sechs Monaten zum massiven Einstieg im Großraum Asien geblasen hatten, ihre Mittel nach und nach wieder aus den Märkten ab. Erst kürzlich meldete die Tokioter Börse erstmals seit mehreren Quartalen wieder einen Mittelabfluß bei ausländischen Investoren. Damit wird deutlich, daß der Zenit zunächst mal erreicht worden ist.

Fehlendes Vertrauen, zumindest auf Sicht der nächsten Monate – vielleicht aber auch deutlich langfristiger – hat die Zuversicht der letzten Quartale mit ihrem teilweise trügerischen Aufschwung, bedingt durch stattliche Kursgewinne der Technologiewerte, mittlerweile ersetzt.

Autor/Autorin