Dennoch umfasst der Begriff ESG weit mehr als Ökologie und Soziales. Es geht vielmehr auch um materielle Risiken für die Unternehmen aller Branchen. Die gut besuchte erste internationale Konferenz der DVFA zum Thema ESG Ende Januar zeigte ebenso wie die aktuelle Diskussion in den Medien, dass wir Deutschen in diesem Thema ganz offensichtlich immer noch weit zurück liegen.

Der deutsche Kapitalmarkt hinkt hinterher
Während wir Deutschen uns gerne auf den – eher traditionellen – Standpunkt zurückziehen, dass ESG-Reporting doch bitteschön durch gesetzliche Lösungen oder staatliche Reglementierungen klar zu definieren sei, zeigen uns die international aktiven Investoren, welche Form des non-financial-Reportings sie fordern und dass diese Anforderungen sich in anderen europäischen Märkten ohne staatliche Intervention durchsetzen lassen, ja sogar geschätzt und nachgefragt werden. Angesichts internationaler Kapitalmärkte und einer – subjektiv oder objektiv – wahrgenommenen Überregulierung der Kapitalmärkte dürften deutsche ESG-Regulierungsvorstöße im Ausland wie im Inland doch eher auf Befremdlichkeit stoßen.

Auf der eingangs zitierten ESG-Konferenz wurde deutlich, dass es sich bei den Reporting-Anforderungen der international aktiven institutionellen Anleger wie Pensionsfonds oder Versicherungen längst nicht mehr um soziale oder ökologische Forderungen handelt. Es geht bei ESG-Reporting auch nicht um Umweltberichte oder Sozialreports. ESG enthält Angaben zu Managementsystemen, zu Marktanteilen, zur Kundenzufriedenheit, zum Beziehungskapital, zu möglichen Reputationsrisiken und zu potenziell haftungsrechtlich relevanten Vorfällen. Die in der Praxis häufig gelebte Theorie der Effizienten Märkte, also die Idee, dass alle Informationen zu einer Aktie bereits in den Kurs eingepreist sind und die Märkte sich im Gleichgewicht befinden, wird durch die Tatsache, dass jede neue Information über ein börsennotiertes Unternehmen das Potenzial hat, den Kurs einer Aktie zu bewegen, tagtäglich aufs Neue belegt. ESG-Daten bieten eine Fülle von neuen Informationen für Finanzanalysten und Investoren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Daten quantifiziert, vergleichbar und benchmarkfähig sind; nur dann sind diese Daten für jeden Investment Professional nutzbar und haben das Potential, fundamental neue Aspekte für die Bewertung des Unternehmens zu schaffen.

Bewertung und Messung von Non-Financials
Hier setzt die aktuelle Initiative von EFFAS und DVFA an. In einem Ende 2006 gegründeten Arbeitskreis von Finanzanalysten, Investoren, Unternehmensvertretern, Wirtschaftsprüfern sowie Vertretern der Verbände DAI und DIRK arbeitet die DVFA- Expert Group Non-Financials seit einiger Zeit intensiv an der Fragestellung, welche grundsätzlichen Bedürfnisse nach Non-Financials Kapitalmarktteilnehmer wirklich haben und welche KPIs (Key Performance Indicators) von Unternehmen berichtet werden sollten. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie branchenadäquate KPIs aussehen können und welche davon von Wirtschaftsprüfern plausibel und gründlich auditiert werden können. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Aspekten und Unternehmensberichten, die primär relevant sind für die Bewertung von unternehmerischem Risiko.
Wahrgenommenes, aber nicht objektivierbares unternehmerisches Verhalten muss für den Kapitalmarkt in lesbare, messbare, vergleichbare und benchmarkfähige, standardisierte Konzepte – wie beispielsweise Risiko – übersetzt werden.

Zahlreiche empirische Studien belegen, dass Unternehmen, die nachhaltig handeln und wirtschaften, mit anderen Worten, die ESG-Faktoren operativ und strategisch berücksichtigen, ein geringeres unternehmerisches Risiko haben. Institutionelle Investoren sind im Regelfall langfristig orientiert. Nicht die Quartalszahlen sind von wesentlichem Interesse, sondern die Integrität des Managements. Nicht kurzfristige Rendite-Strohfeuer, sondern eine hohe Transparenz des unternehmerischen Risikos sind für Investoren von Bedeutung. Dieses Risiko beinhaltet unter anderem auch Reputationsrisiken sowie monetär eindeutig bezifferbare Klagen im Zusammenhang mit beispielsweise Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung. Hieran sind Investment Professionals durchaus interessiert, weil damit ein materielles Risiko verbunden ist.

Alpha-Seeker fordern auch ESG-Daten
Offensichtlich vollzieht sich derzeit in den internationalen Kapitalmärkten ein Paradigmenwechsel. Es sind nicht mehr nur die reinen Value-Investoren, wie z. B. SRI-Investoren, die von Unternehmen in erster Linie ethische Werte forderten (aber mit 0,8% aller Assets under Management in Deutschland nur eine Nische besetzen). Nein, vielmehr haben so genannte „Alpha-Seeker“, d. h. Investoren, die unterbewertete Unternehmen gezielt suchen, um Erträge ausfindig zu machen, den Nutzen von ESG-Informationen erkannt.

Nicht nur auf der ESG-Konferenz Anfang Januar hat das europäische Ausland der Initiative von DVFA/EFFAS Beifall gezollt. Auch außerhalb Europas wird das Thema vorangetrieben: Ein Blick in die USA zeigt, dass hier die EBR 360 Extended Business Reporting unter der Leitung von Prof. Robert Eccles an der gleichen Zielsetzung, Entwicklung von KPIs für extra- oder Non-Financials zum Zwecke der Analyse, arbeitet. Zwischen EBR 360 und DVFA/EFFAS gibt es erste Gespräche über eine Kooperation. Bis zum Sommer 2007 will die DVFA-Expertgroup KPIs für alle großen Branchen erstellen. Derzeit sind KPIs für die Energieversorgungsbranche in Arbeit.

Dieser Beitrag erschien im GoingPublic Magazin 4/2007.

 

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