Die Präsenz in den meisten Hauptversammlungen steigt wieder an, und dabei wird ein Großteil der Stimmen durch den Stimmrechtsvertreter vertreten. Diese Weisungen bilden einen Weisungsspiegel, der die veröffentlichte Tagesordnung umfasst. Nicht erfasst davon sind allerdings mögliche Anträge im Laufe der Hauptversammlung, wie z.B. Sonderprüfungsanträge oder Geschäftsordnungsanträge. Das kann zu Zufallsmehrheiten führen, die es zu vermeiden gilt. 

Johannes Müller ist Vorstandsassistent und Senior Berater der HCE Haubrok AG.
Johannes Müller ist Assistent der Geschäftsführung und Senior Berater der Link Market Services

Bisher gilt, dass bei nicht veröffentlichten Anträgen von Aktionären die im Vorfeld der Hauptversammlung an den Stimmrechtsvertreter erteilten Weisungen in der Regel in die Enthaltung laufen. Damit verringert sich die Anzahl der gültig abgegebenen Stimmen oftmals drastisch. Am Ende kommt es zu einem Ergebnis, das entweder auf einer Zufallsmehrheit der am Tag der Hauptversammlung vor Ort anwesenden Aktionäre beruht oder bei dem es durch die geringe Anzahl der gültigen Stimmen im Vergleich zu den ordentlichen Tagesordnungspunkten an einer Legitimation bezogen auf die gesamte Aktionärsgemeinschaft mangelt. Dennoch ist es als gültiges Ergebnis zu werten. Im schlimmsten Fall wird die Möglichkeit der Ad-hoc-Anträge von Aktionären genutzt, die der Gesellschaft nicht wohlgesonnen sind, um eigene Ziele zu erreichen.

Wenn die Minderheit zur Mehrheit wird

Tatsache ist, dass sich institutionelle Investoren und Aktionäre/Aktionärsvereinigungen intensiv mit der Tagesordnung der Gesellschaften auseinandersetzen, diese im Lichte der eigenen Richtlinien bewerten oder sich auf die Empfehlungen von Proxy Advisors stützen. Diese Bewertungen sind möglich, weil die von Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschlagene Tagesordnung ebenso wie etwaige Verlangen von Aktionären auf Erweiterung der Tagesordnung innerhalb von gesetzlich vorgesehenen Fristen im Vorfeld der Hauptversammlung bekanntgemacht und ausführlich begründet werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an der Abstimmung über spontane Anträge erhalten allerdings nur persönlich anwesende Aktionäre oder Aktionärsvertreter. Der Stimmrechtsvertreter wird sich zu diesen Anträgen enthalten müssen, da er keine Weisungen dazu erhalten hat. Damit hat eine Minderheit von Aktionären, nämlich die, die sich im Saal befindet, plötzlich die Möglichkeit, rechtsgültige Entscheidungen herbeizuführen. Investoren, die ihre Stimmen im Vorfeld abgegeben haben, haben keine Reaktionsmöglichkeiten. Als Ausweg aus diesem Dilemma ließe sich überlegen, eine Online-HV für die Aktionäre einzurichten. Allerdings bescheinigt die Praxis dieser Option leider keine große Breitenwirkung, und ob ein Investor aus den USA die Abstimmung mit Zeitverschiebung in Deutschland dann auch tatsächlich live verfolgt, erscheint fraglich.

Das Ad-hoc-Item für Weisungen

Diese Lücke kann zum Glück geschlossen werden. Emittenten können über das sogenannte Ad-hoc-Item ihren Investoren auch eine Weisungserteilung zu nicht veröffentlichten (Gegen-)Anträgen anbieten. Es kann auf dem Weisungsformular und auch auf den international genutzten Abstimmplattformen ein zusätzlicher Tagesordnungspunkt aufgenommen werden, der dabei diejenigen Anträge umfasst, die nicht im Vorfeld bekanntzumachen sind oder zur Geschäftsordnung auf der Hauptversammlung gestellt werden. Diese Möglichkeit der Weisungserteilung ist insbesondere in der Schweiz gängige Praxis und wird bereits von einigen Emittenten in In- und Ausland angeboten, wie Swiss Re, Stada Arzneimittel AG, Credit Suisse, Sika, Clariant, Lonza, Syngenta, Zurich Insurance Group u.a.

Enge Zusammenarbeit und Kommunikation wichtig

In der organisatorischen Vorbereitung benötigt dieses Ad-hoc-Item eine gute Kommunikation mit allen Intermediären wie den inländischen Depotbanken, den Proxy Advisors und auch den Abstimmungsplattformen, v.a. Broadridge. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Emittenten, einem erfahrenen Proxy Solicitor und der Anmeldestelle des HV-Dienstleisters, der idealerweise Erfahrung mit internationalen Abstimmplattformen hat, ist dabei ebenfalls eine wichtige Voraussetzung.

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