RL 98/44/EG – was wie der Name eines Droiden aus dem Star-Wars-Universum klingt, ist die EU-Biopatentrichtlinie 98/44/EG aus dem Jahr 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen.[1]
Mit ihr wurden die „Spielregeln“ für die Patentierung lebender Materie definiert. Die EU-Mitgliedstaaten haben zehn Jahre für die Verabschiedung der Richtlinie gebraucht – und selbst 25 Jahre später ist die Diskussion um und über Biopatente nicht zu Ende.

Vergangenheit verstehen, um Zukunft zu begreifen

Ursprünglich war das Patentrecht gedacht für den Schutz „toter“ Materie, deren ­Verwendung und Herstellung. Es erlaubt Patentinhabern, Dritten zu verbieten, die patentierte Erfindung zu nutzen.[2] Im Falle von Biopatenten geht es um den Schutz von „lebender“ Materie wie Genen, Pflanzen, Tieren etc. Ein einfaches Erstrecken der Prinzipien des Patentrechts auf lebende Materie warf (und wirft auch heute noch) ethische Fragen auf.

„Anything under the sun that is made by man“ – die ersten Biopatente

Heute gilt das „Chakrabarty-Patent“ als das erste moderne Biopatent. Das US-­Patent- und Markenamt (USPTO) wies die zugrunde liegende Patentanmeldung, mit der ein gentechnisch modifiziertes Bakterium beansprucht wurde, zurück, da ­lebende Organismen nicht patentfähig ­seien.[3] 1980 urteilte der US Supreme Court, dass Chakrabarty ein Patent erhält. Die Begründung: Das Bakterium, welches ­„erfunden“ wurde, komme nicht in der Natur vor, sondern sei erst durch gentechnische Eingriffe hergestellt worden – und somit „menschengemacht“.[4] 1988 erteilte das USPTO dann schließlich auch erstmals ein ­Patent auf ein transgenes Tier ­(„Harvard-Maus“).[5] Es folgten weitere Biopatente auf z.B. gentechnisch modifizierte Pflanzen („Golden Rice“) oder auf die ­Isolierung und Züchtung von embryonalen Stammzellen.[6]

1998 entdeckte Myriad Genetics die „Brustkrebsgene“ BRCA1 und BRCA2 und isolierte diese. Mehrere Patente sicherten Myriad Genetics z.B. die exklusive ­Vermarktung der Tests auf diese Gene. ­Dagegen formierte sich massiver Widerstand. 2013 entschied schließlich der US Supreme Court, dass natürlich vorkommende Gene bzw. Gensequenzen dem ­Patentschutz nicht zugänglich sind, da die bloße Isolierung natürlich vorkommender Gene und Gensequenzen keine Erfindung darstelle.[7] Er ließ aber ein „Schlupfloch“ offen: Bei geringen ­Änderungen an den ­natürlich vorkommenden Genen oder Gensequenzen sind diese dem Patentschutz zugänglich.

Die EU-Biopatentrichtlinie

Anders stellt sich die Situation in Europa dar: Hier konnte und kann man immer noch für natürlich vorkommende, isolierte DNA-Sequenzen Patentschutz erlangen. Allerdings muss man in der Patentanmeldung von Beginn an die Funktionalität der Sequenzen offenbaren. Letztendlich ist es die EU-Biopatentrichtlinie, die in Europa den Schutz von Erfindungen auf dem ­Gebiet der Biotechnologie regelt und von den EU-Mitgliedstaaten in die entsprechenden nationalen Patentgesetze auf­genommen wurde. Auch das Europäische Patentamt (EPA) hat die zentralen Punkte der EU-Biopatentrichtlinie in das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) aufgenommen. Neben vielen Verboten wird definiert, was patentiert werden kann: Zusätzlich zu den Gensequenzen, deren Isolierung gelungen ist und deren Funktion aufgeklärt wurde, sind auch ­mikrobiologische oder sonstige technische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren, sowie diese selbst, dem ­Patentschutz zugänglich.

Symbolbild „Biological Patent“. Copyright: OpturaDesign. stock.adobe.com

Biopatent-Monitoring in ­Deutschland

Doch die EU-Biopatentrichtlinie hat Kritiker, die den Patentschutz auf lebende ­Materie prinzipiell ablehnen („Kein Patent auf Leben“), nicht verstummen lassen. Auch die Politik vertraut nicht allein ­darauf, dass die Patentämter in dieser ­Angelegenheit die Vorgaben entsprechend umsetzen und der Wettbewerb als Korrektiv – sofern nötig – dann eingreift.[8] Vielmehr hat die Bundesregierung auf Aufforderung des Bundestags 2012 das Biopatent-Monitoring ins Leben gerufen.[9] Besonderes ­Augenmerk wird dabei auf Patente bzw. Patentanmeldungen gelegt, die im Wesentlichen biologische Verfahren oder hierdurch gewonnene Erzeugnisse beanspruchen. Der aktuelle Bericht vom 29. September 2022 bringt das Dilemma der Biopatente auf den Punkt: „Der Zugang […] zu genetischen Ressourcen im Hinblick auf die konsequent erforderliche züchterische Weiterentwicklung von Pflanzensorten und Tierrassen ist außerordentlich wichtig. Wichtig ist allerdings auch, dass innovative Forscherinnen und Forscher […] ihre Erfindungen auch auf diesem Gebiet angemessen schützen können.“[10]

Was Paprika, Tomate und Brokkoli mit der EU-Biopatentrichtlinie zu tun haben

Wie wichtig eine ständige Diskussion auf dem Gebiet der Biopatente ist, zeigt auch eine der jüngeren Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer des EPA (GBK), welche unter dem Namen „Paprika“ (G 3/19) bekannt ist. In der EU-Biopatentrichtlinie gelten im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Tieren und Pflanzen als nicht patentierbar. Die Paten­tierung der Erzeugnisse dieser Verfahren ist allerdings nicht explizit ausgeschlossen. Diese „Lücke“ wurde genutzt, und die GBK entschied in „Brokkoli II“ und ­„Tomate II“, dass Tiere und Pflanzen patentiert werden können, auch wenn diese durch unter das Patentierungsverbot ­fallende Verfahren gezüchtet wurden. ­Daraufhin hat die EU-Kommission 2016 eine Notice zur Auslegung der Richtlinie formuliert, die besagt, dass „… der EU-­Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie […] die Absicht hatte, Erzeugnisse (Pflanzen/Tiere […]) von der Patentierbarkeit auszuschließen, die durch im Wesent­lichen biologische Verfahren gewonnen werden.“[11] In der Paprika-Entscheidung der GBK vom 14. Mai 2020 folgte diese der Auslegung der EU-Kommission.

Der Blick nach oben

Das Voranschreiten der technischen Möglichkeiten erlaubt Weiterentwicklungen in der Biotechnologie, die auch in Zukunft dafür sorgen, dass die EU-Biopatentrichtlinie weiterer Klarstellung bedarf. Man muss nur den Blick in den Weltraum richten, wo mittlerweile immer mehr Biotechfirmen ihre „Labore“ eröffnen, da unter Zero-­Gravity-/Microgravity-Bedingungen völlig neue Welten erschlossen werden können und die Regeln der „herkömmlichen“ ­Biotechnologie (teilweise) nicht mehr ­gelten – ebenso wie das eine oder andere Patentrecht.

[1]https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A31998L0044
[2] 2) Das Patent ist ein sogenanntes Ausschließlichkeitsrecht.[3] 3) Robinson, D./Medlock, N. (2005): Diamond vs. Chakra­barty: A Retrospective on 25 Years of Biotech Patents. In: Intellectual Property & Technology Law Journal, 17(10).
[4] 4) Diamond vs. Chakrabarty, 447 U.S. 303 (1980).
[5] 5) US 4,736,866.
[6] 6) Z.B. US 4,683,195; US 6,200,806.
[7] 7) „Association for Molecular Pathology vs. Myriad Genetic“; 569 U.S. 12-398 (2013).
[8] Jeder Dritte kann gegen eine Patenterteilung binnen eines bestimmten Zeitraums Einspruch einlegen. Dann wird die Erteilung des Patents in einem Interpartes-Verfahren überprüft.
[9] www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/pflanzenbau/saatgut-und-biopatente/biopatente.html
[10] BT-Drs. 20/3845.
[11] ABl. 2016/C 411/03.

Der Artikel ist in der Plattform Life Sciences-Ausgabe „25 Jahre Biotechnologie – What’s next?“ erschienen:

https://www.goingpublic.de/wp-content/uploads/epaper/epaper-Life-Sciences-3-2023/#104

Autor/Autorin

Dr. Christiane Maxien
Partnerin, Patentanwältin, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney at Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) | Website

Dr. Christiane Maxien ist Partnerin bei Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) mit über zehn Jahren Erfahrung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Dr. Maxien ist dabei spezialisiert auf die strategische Betreuung von IP-Portfolios mit internationalem Fokus.