Dr. Thomas Zwissler, Rechtsanwalt und Partner, Zirngibl Langwieser
Dr. Thomas Zwissler, Rechtsanwalt und Partner, ZIRNGIBL

Ein Hauptversammlungsbeschluss ist „mangelhaft“, wenn er unter Verletzung gesetzlicher oder satzungsrechtlicher Bestimmungen zustande gekommen ist. Gründe für derartige Verstöße gibt es viele und die Praxis der Gerichte zeigt, dass der Fundus möglicher Beschlussmängel niemals erschöpft ist. Allerdings führt nicht jeder Mangel gleich zur Nichtigkeit. Das Aktiengesetz stellt ein abgestuftes Rechtsfolgensystem bereit, das einerseits den Aktionären den Weg eröffnet, die Einhaltung von Recht und Gesetz einzufordern, andererseits aber auch der Rechtssicherheit und dem Interesse der Gesellschaft Rechnung trägt, unverhältnismäßige Prozesse zu vermeiden. Der vorliegende Beitrag skizziert die Grundlagen des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts und benennt Beispiele und Trends für die HV-Saison 2012.

Beschlussmängel

Von einem Beschlussmangel wird dann gesprochen, wenn ein Hauptversammlungsbeschluss unter Verstoß gegen das Gesetz oder die Satzung zustande gekommen ist. Um die Kategorie des Beschlussmangels zu handhaben, wird häufig nach der Art des Mangels differenziert. Auf der einen Seite stehen Verstöße gegen Verfahrensregelungen, d.h. insbesondere gegen Vorschriften über die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung. Auch die Verletzung von Informationspflichten wird zu den Verfahrensverstößen gerechnet. Auf der anderen Seite stehen Mängel, die den Inhalt des Beschlusses betreffen. Beispiel ist hier die Verletzung jener Vorschriften, die den Aktionär vor dem Eingriff in seine Rechtspositionen schützen, insbesondere Verstöße gegen das Treue- oder das Gleichbehandlungsgebot.

Rechtsfolgen

Beschlussmängel führen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Beschlussfassung. Vielmehr differenziert das Aktiengesetz hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen. Nichtigkeitsgründe sind vor allem die in § 241 AktG genannten Beschlussmängel. Zu diesen zählen Verstöße gegen die Einberufungsvorschriften des § 121 Abs. 2 und 3, Satz 1 und Abs. 4 AktG, Beurkundungsmängel sowie schwerwiegende inhaltliche Mängel (Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Aktiengesellschaft, Unvereinbarkeit mit den guten Sitten). Darüber hinaus regelt § 250 AktG besondere Nichtigkeitsgründe für Beschlüsse über die Wahl des Aufsichtsrats.

Beschlussmängel, hinsichtlich derer das Gesetz keine Nichtigkeit anordnet, führen lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.

Gänzlich unbeachtlich bleiben schließlich solche Beschlussmängel, hinsichtlich derer das Gesetz diese Unbeachtlichkeit ausdrücklich anordnet (vgl. z.B. §§ 121 Abs. 4a, 124a oder § 128, jeweils i.V.m. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG), sowie solche Beschlussmängel, die für die Ausübung des Teilnahme- und Mitwirkungsrechts und hier insbesondere des Stimmrechts des Aktionärs ohne Relevanz sind. Wann letzteres anzunehmen ist, gehört zumindest außerhalb des Bereichs der Verletzung von Informationsrechten (vgl. zu diesen § 243 Abs. 4 AktG) zu den umstrittenen und letztendlich nur im Einzelfall zu beurteilenden Rechtsfragen des Aktienrechts.

Geltendmachung von Beschlussmängeln durch Klage

Es gehört zu den Besonderheiten des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts, mit der Anfechtungs- und der Nichtigkeitsklage besondere Rechtsbehelfe zur Verfügung zu stellen, mit denen die Nichtigkeit eines Beschlusses mit Wirkung für alle Aktionäre festgestellt werden kann. Gleichzeitig ermöglicht das Aktiengesetz die „Heilung“ von Beschlussmängeln in solchen Fällen, in denen mangelhafte Beschlüsse unbeanstandet bleiben.

Nichtigkeitsgründe können geheilt werden, wenn sie ungeachtet ihres Mangels in das Handelsregister eingetragen werden und – sofern kein bloßer Beurkundungsmangel vorliegt – eine Frist von drei Jahren verstrichen ist, ohne dass die Nichtigkeit mittels Klage geltend gemacht wurde (§ 242 AktG). Für die praktisch bedeutsameren Anfechtungsgründe ist die Frist deutlich kürzer. Beschlussmängel, die lediglich zur Anfechtbarkeit führen, müssen innerhalb einer Frist von einem Monat nach der Beschlussfassung im Klagewege geltend gemacht werden (§ 246 Abs. 1 AktG).

Beschlussmängel, die sich auf sog. Bewertungsrügen beziehen, d.h. Mängel im Zusammenhang mit der Ermittlung, Höhe oder Angemessenheit von Ausgleich, Abfindung, Zuzahlung oder sonstigen Kompensationen, können regelmäßig nur im Rahmen eines Spruchverfahrens nach dem SpruchG geltend gemacht werden.

Reaktionsmöglichkeiten der Gesellschaft

Liegt ein Beschlussmangel vor und wurde seitens der Aktionäre Anfechtungs- und/oder Nichtigkeitsklage erhoben, so stellt sich aus Sicht der Gesellschaft die Frage, ob neben dem Ausstreiten der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nicht noch andere Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten in Betracht kommen.

Anerkenntnis und Vergleich

Bei Beschlüssen, die keiner Umsetzung bedürfen, in einer künftigen Hauptversammlung wiederholt oder sonst ohne besondere Relevanz sind, kommt ein Anerkenntnis oder ein Vergleich in Betracht. Dies gilt insbesondere dann, wenn der finanzielle Aufwand der Prozessführung außer Verhältnis zu den möglichen Nachteilen einer Beschlussnichtigkeit steht. Diesbezüglich ist allerdings zu beachten, dass die Gesellschaftsorgane (Vorstand und Aufsichtsrat) nicht beliebig über Hauptversammlungsbeschlüsse disponieren können. Insbesondere das Anerkenntnis kommt daher nur in engen Ausnahmefällen in Betracht.

Freigabeverfahren

Für Beschlüsse über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung, der Kapitalherabsetzung und Unternehmensverträge eröffnet das AktG die Möglichkeit eines sog. Freigabeverfahrens (§ 246a AktG). Die Besonderheit dieses Verfahrens besteht darin, dass ein an sich mangelhafter Beschluss zur Eintragung und Durchführung gebracht werden kann, wenn das Interesse der Gesellschaft an der Umsetzung des Beschlusses höher zu gewichten ist als die Nachteile der Aktionäre, die sich auf den Beschlussmangel berufen.