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Neuropsychiatrische Krankheiten gehören zu den komplexesten Herausforderungen für das Gesundheitswesen. Neu ­aufkommende, personalisierte Therapiemethoden bieten nun das Potenzial, die Behandlung psychischer Krankheiten ­nachhaltig zu verbessern. 

Jahrzehntelang wurde bei der Krebs Behandlung einem einheitlichen, ­einem „One-size-fits-all-Ansatz“ gefolgt. Patienten wurden operiert und anschließend mit einer Chemotherapie behandelt, um die Krebszellen abzutöten. Die Worte ­Präzision oder Personalisierung fanden in der Onkologie nur selten Erwähnung. Heute ist es fast undenkbar, Krebspatienten ohne Berücksichtigung ihrer individuellen Veranlagung und Krankheitsform zu behandeln. Diese Therapierung von Krebs weist den Weg für andere Behandlungen: In der psychi­atrischen Forschung werden bereits individu­alisierte Behandlungen untersucht; allerdings existiert weltweit noch keine zugelassene personalisierte Therapie für eine psychi­atrische Erkrankung. Derzeit werden folglich noch alle psychiatrischen Patienten mit dem Einheitsansatz behandelt.

Unzureichender Erfolg bei Behandlung von psychiatrischen Krankheiten

Dieser Ansatz funktioniert in der Depressionsbehandlung jedoch nur unzureichend. Weltweit leiden mehr als 320 Millionen Menschen an Depressionen, etwa 100 Millionen gelten als therapieresistent. Diese große Zahl an Patienten führt zu ­einer enormen individuellen und sozioökonomischen Krankheitslast. Studien ­zufolge werden mentale Krankheiten die Weltwirtschaft bis zum Jahr 2030 satte 6 Bio. USD pro Jahr kosten – auch bedingt durch das langwierige und ineffiziente Versuch-und-Irrtum-Verfahren bei der ­Suche nach wirksamen Therapien für einzelne Patienten. Die COVID-19-Pandemie wirkt dabei als ­zusätzlicher „Brand­beschleuniger“, denn die Krise stellt für Menschen auf der ganzen Weilt eine enorme Stresssituation dar, die im schlimmsten Fall die Entstehung mentaler Krankheiten begünstigen kann.

Stressregulierung als möglicher Aus­löser für Depressionserkrankungen

Dem Beispiel der Onkologie folgend zeichnet sich aktuell auch in der Psychiatrie ein Konsens dahin gehend ab, dass Patienten zwar dieselbe Diagnose erhalten können, dass aber nicht immer derselbe krankheitsverursachende Mechanismus vorliegen muss. So scheint bei etwa 30% aller Depressionspatienten eine Fehlfunktion im menschlichen Stresssystem vorzuliegen – ein Krankheitsmechanismus, der im Hinblick auf eine Gesellschaft, in der dauerhafter Stress ein zunehmendes Problem darstellt, besonders brisant wird: Die Produktion des menschlichen Stresshormons Cortisol wird durch das Gehirn streng kontrolliert, indem es über die sogenannte Stressachse Signale vom Hypothalamus an die Hypophyse bis hin zu den Nebennieren sendet. Bei einigen Patienten mit depressiven Störungen scheint die Stress­ache dauerhaft aktiv zu sein, sodass im Körper chronischer Stress vorliegt, was die Erkrankung bei diesen Personen auslöst. Folglich ist hier eine andere Therapieform erforderlich als für Patienten, bei denen ein anderer Mechanismus die Krankheit auslöst.

Künstliche Intelligenz und neue Wirkstoffe als Wegweiser für personalisierte Therapien

HMNC Brain Health will mit Precision ­Psychiatry einen Wandel von „one-size-fits-all“ zu personalisierten Therapie­methoden in der Depressionsbehandlung herbeiführen. Der Grundstein für diesen Ansatz, der auf mehr als 30 Jahren wissenschaftlicher Forschung am Max-Planck-­Institut für Psychiatrie beruht, wurde durch den Firmengründer Prof. Dr. Florian Holsboer gelegt, der als einer der Pioniere der personalisierten Depressionstherapie gilt.

Der Grundgedanke des Precision-­Psychiatry-Ansatzes besteht darin, Wirkstoffe Hand in Hand mit begleitenden Biomarkertests zu entwickeln, um diejenigen Patientengruppen zu erkennen, bei denen die Medikamente auch wirken. Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei essenziell für das ­Trainieren des Klassifizierungsalgorithmus, der diese Patienten identifiziert.

Im Rahmen der Nelivabon- und Cortibon-Programme entwickelt HMNC Brain Health antidepressive Medikamente, die in Verbindung mit Begleitdiagnostika Dysfunktionen der Stressachse behandeln. Für die Biomarkertests wurden genetische und klinische Daten mehrerer Hundert Patienten mithilfe von KI analysiert und so der den Begleitdiagnostika zugrunde liegende Algorithmus ent­wickelt. Dabei nutzt das Unternehmen Next-Generation-Sequencing – eine moderne Analyse­methode aus der Genetik. Die Tests sollen zukünftig noch vor Therapiebeginn anzeigen, ob bei dem jeweiligen Patienten eine Fehlfunktion der Stressachse vorliegt. So werden unnötige Behand­lungen vermieden und idealerweise die Leidensdauer verkürzt. Im Rahmen regelmäßiger ­Updates, bei denen nach und nach weitere Patientendaten einfließen, sollen die Algorithmen weiterentwickelt und dadurch die Vorhersagen der Tests noch präziser ­werden.

Neben den beiden Programmen zur ­Behandlung von Fehlfunktionen im menschlichen Stresssystem umfasst das Portfolio von HMNC Brain Health das ­Ketabon-Programm – eine orale retardierte Formulierung von Ketamin mit stark reduzierten dissoziativen Nebenwirkungen, für das derzeit ebenfalls ein begleitendes Diagnostikum entwickelt wird. Langfristig ist es das Ziel von HMNC, all diese Tests innerhalb einer Plattform zusammen­zufassen und dadurch mit nur einem diagnostischen Test für alle firmeneigenen ­Medikamente die bestmögliche Therapiemethode für Patienten zu identifizieren.

Autor/Autorin

Dr. Hans Eriksson

Dr. Hans Eriksson verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der klinischen Entwicklung und war vor HMNC Brain Health u.a. als Medical Science Director bei AstraZeneca tätig. Er hat an fünf klinischen Entwicklungsprogrammen für Depressionsindikationen in der Spätphase gearbeitet, von denen drei die Zulassung gegen Depressionen (Major Depressive Disorder) erhalten haben.

Dr. Daniel Gehrlach

Dr. Daniel Gehrlach ist Senior Manager Biomarkers bei HMNC Brain Health und verantwortlich für die klinischen Phase-II-Studien sowie Entwicklung der wirkstoffbegleitenden Biomarkertests der Firma.