Ob personell, individualisiert oder stratifiziert – die Medizin von morgen findet längst im Heute statt. Und doch nicht, denn wichtige Fragen sind noch immer ungeklärt. Ob wissenschaftliche Fragen, ob ethische, regulatorische, technologische oder finanzielle, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der personellen Medizin betreffen uns alle.

So persönlich sie auch sein mag, die personelle Medizin ist in breites Feld und in ihren Teilbereichen unterschiedlich weit entwickelt. Das mag sich auch an Begrifflichkeiten festmachen. Der Autor dieser Zeilen hat sich für die Bezeichnung „personalisiert“ entschieden, doch andere Vertreter des Genres sprechen gern von „individualisierter“, „stratifizierter“ oder „precision“ Medizin beziehungsweise medicine.

Strategie gesucht

Ohne Zweifel, mit der Identifikation des menschlichen Genoms und der Entwicklung des CRISPR/Cas 9-Verfahrens hat die personalisierte Medizin mächtig an Schwung gewonnen – sie hat Hoffnungen und Ängste gleichermaßen geschürt. Mit dem Fortschreiten der Gentechnik scheint die Vorhersage und  Bekämpfung komplexer Krankheiten einen großen Schritt vorangekommen zu sein. Ganze Geschäftsmodelle werden sich in den kommenden Jahren ändern. Kooperationen zwischen Big Pharma und Start-ups und generell zwischen Wissenschaft und Wirtschaft werden, ja müssen ausgebaut werden, weil niemand allein den hohen Bedarf an Know-how und Kapital stemmen kann. Da geht es aber auch um Regularien, national und international, Erstattungsfähigkeit oder beschleunigte Zulassungsverfahren – einmal mehr sind hier auch die hohen Vertreter der politischen Zunft gefragt. Längst wird in Deutschland eine „nationale Strategie“ für die personalisierte Medizin gefordert, bislang allerdings vergebens. Wichtig an dieser Stelle sei zu erwähnen, nach gängiger Expertenmeinung wird nicht die personalisierte Medizin an sich für eine Verteuerung des Gesundheitssystems sorgen, sondern die Verlängerung des menschlichen Lebens, welches durch neue Diagnose- und Therapieverfahren möglich wird. Ergo, wer länger lebt, geht häufiger zum Arzt, nimmt häufiger Medikamente oder begibt sich häufiger in Kur. Wie das allerdings am Ende finanziert werden soll, auch das ist ein Teilbereich der personalisierte Medizin und ihrer Folgen, der bislang nur unzureichend erforscht wurde.

Wer soll das bauen?

Die Herstellung individueller Wirkstoffe und Medikamente in kleineren Chargengrößen wird Auswirkungen auf die Herstellungsprozesse haben. Auch dieser Herausforderung sehen sich Pharmafirmen und Medizintechniker ausgesetzt. Die zukünftigen Anforderungen an die Entwicklungen der Anlagentechnik müssen neu überdacht werden. Fest steht, die Produktion wird flexibler werden, als zuvor. Anlagen müssen in der Lage sein, binnen kürzester Zeit zwischen größeren und kleineren Mengen und Märkten zu divergieren. Das Schlagwort Industrie 4.0 ist in aller Munde. Künftig wird man es noch häufiger in Verbindung mit der personalisierten Medizin nennen müssen. Die Frage der Herstellung und der damit verbundenen Technologie ist in der Diskussion um die Chancen und Risiken der Medizin von morgen noch immer vergleichsweise unterrepräsentiert. Die Hersteller von Orphan Drugs könnten hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Nur eines wird sicher sein: Nicht nur Forschung und Entwicklung wird ihren Preis haben, gleiches gilt auch für neue Herstellungsverfahren und Anlagetechniken.

Daten müssen verstanden werden

Einher mit der personalisierten Medizin wird auch in den kommenden Jahren der Bedarf an großen Datenmengen sein, genauer, der fachgerechte Umgang mit ihnen. Und hier geht es beileibe nicht nur um das schier allgegenwärtige Thema Datenschutz. Vielmehr gleicht es einer Kunst, aus den riesigen, immer schneller wachsenden Mengen an Menschen- und Patientendaten die hilfreiche und wertvolle Essenz herauszufiltern. Auch diese Kunst will gelernt und geleistet werden. Es ist also davon auszugehen, dass spezialisierte Medizin- und Bioinformatikdienstleister für Pharmaunternehmen eine immer größere Rolle spielen werden. Die personalisierte Medizin entwickelt sich also zunehmend auch zu einer Schnittstelle der einzelnen Industriesegmente. Noch immer herrscht schlichtweg ein Mangel an effizienten Tools zu Auswertung entsprechender Datenmengen. Nun gilt Health- oder Digital-IT nicht nur am Hot Spot Berlin als sexy. Doch es muss nicht immer die nächste Fitness-App oder das entsprechende Armband sein. Wer als Start-up und entsprechender Investor auf „Big Data“ setzt, mag künftig auf das schnellere Pferd setzen – dem geneigten Leser sei dahingestellt, ob diese Aussage als Aufforderung oder Versprechen zu verstehen ist.

Mündige und wissenskundige Patienten

Neben großen, immer spezifischeren Datenmengen werden das Internet und soziale Medien generell immer wichtigere Informationsquellen, aus denen Patienten und Angehörige ihr Wissen speisen werden. Das ist beileibe kein spezielles Merkmal der personalisierten Medizin, sondern trifft auch auf andere Industriesegmente zu, dort nennt man die betreffende Personengruppe in der Regel „Kunden“. Doch mit dem Angebot von Internet & Co. wird auch der Wissensstand der Patienten steigen. Ärzte und Mediziner, aber auch Hersteller werden sich also in Zukunft mit dezidierteren Nachfragen konfrontiert sehen. Ob zum Wohle des Therapieprozesses bleibt abzuwarten. Neben Ärzten und Apotheken kann das Internet aber auch Garant für neutrale Informationsplattformen sein. Hier geht es vor allem um die verständliche Aufarbeitung neuartiger und hochkomplexer wissenschaftlicher und diagnostischer Daten, Technologien und Verfahren. Gelingt diese Art der Kommunikation, kann die personalisierte Medizin, und mit ihr so umstrittene Verfahren wie CRISPR/Cas9, auf wesentlich mehr Verständnis in der Gesellschaft hoffen, als dies heute der Fall ist. Allerdings, es gilt auch, die Qualität und Seriosität der Informationsquellen sicherzustellen. Regularien und Zertifikate lassen sich also nicht nur auf Wirkstoffe, Technologien und Produkte reduzieren.

Nicht nur die Kassen sind gefragt

Bleibt noch die Frage: „Wer soll das bezahlen?“ Wer soll und wird die Kosten übernehmen, die bei der Einführung neuer Produkte und Verfahren der personalisierten Medizin entstehen? Vor allen an den Gesetzlichen Krankenkassen macht sich diese Frage fest. Nicht zuletzt von ihrem Verhalten wird es abhängen, welche Produkte, Verfahren oder ganze Geschäftsmodelle sich am Markt, sprich bei Ärzten und Patienten, durchsetzen werden. Denn eine „personalisierte Medizin für Reiche“ macht am Ende keinen Sinn. Doch welche Leistungen kann man den Patienten direkt zumuten? Und ab welchem Punkt müssen die Kassen einspringen? Hier hilft nur eine ehrliche Diskussion über Vorzüge und Nachteile der personalisierten Medizin. Wenn es darum geht, Ängste und Hemmungen zu überwinden und Chancen und Möglichkeiten herauszustellen, ist ein offener Dialog unabdingbar – und zwar zwischen allen Beteiligten. Dazu gehört auch, dass der gängigen Scharfmacherei manch eines „Wutbürgers“ gegen Gentechnik oder CRISPR/Cas9 ihre Grenzen aufgezeigt werden.

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