Jahr für Jahr werden Milliarden von Euro für Medikamente verschwendet, die keinen Effekt im Patienten haben. Noch schlimmer: Etliche Medikamente verursachen sogar schwere Nebenwirkungen. Nach wie vor werden solche Medikamente aber massenhaft verschrieben. Doch seit Regulierungsbehörden die Entwicklung von Biomarkern zur Voraussetzung für die Zulassung neuer Medikamente machen (Companion Diagnostic) und Pharmafirmen sehr hohe Preise für ihre ­innovativsten Behandlungen in den Zielsegmenten durchsetzen können, gelingt der personalisierten Medizin Schritt für Schritt der ­Durchbruch. Von Karlheinz Schmelig

Immer mehr junge Firmen arbeiten an neuen diagnostischen Verfahren zur ­Bestimmung der Wirksamkeit mög­licher Behandlungsansätze. Neben einer Einteilung in „Responder“ und „Non-Responder“ können dabei Aussagen über Neben­wirkungswahrscheinlichkeiten und Dosierungsempfehlungen gemacht werden.

Eine spannende Entwicklung für Venture-Capital-Fonds

Ein Beispiel: Jedes Jahr werden tausende Krebserkrankte unnötigerweise den Strapazen einer Chemotherapie ausgesetzt. Dass dies nicht sein muss, beweist das Creathor-Portfolio-Unternehmen Chundsell Medicals mit seinem Genexpressionstest. Der Test unterstützt den Arzt bei der Entscheidung, ob bei einem Prostatakrebs­erkrankten eine häufig zermürbende ­Chemotherapie überhaupt durchgeführt werden muss. Auch die Firma Sividon ­Diagnostics, die im vergangenen Jahr für 50 Mio. EUR von Creathor Venture an ­Myriad Genetics verkauft wurde, bietet ein ähnliches Verfahren für Brustkrebs­patientinnen an.

Ein weiterer Schub für die personalisierte Medizin ist von den stetig besser werdenden Möglichkeiten der systematischen Auswertung von Big Data zu erwarten. Anbieter, die es schaffen, Patienten­daten verschiedenster Akteure mit genetischen Informationen zusammenzubringen und auszuwerten, bieten VCs spannende Investmentmöglichkeiten. So hat Chundsell zum Beispiel ­zusätzlich eine Datenbank und Auswertungssoftware mit Biomarker-Daten und ­Behandlungsmethoden von Tausenden von Prostatakrebspatienten aufgebaut.

Keine Investments ohne ­Nebenwirkungen

Anders als in der personalisierten Medizin ist das Ausschalten oder Umgehen von ­Nebenwirkungen im Venture Capital leider nicht möglich. Jedes Investment ist mit erheblichen Herausforderungen und Risiken für die Investoren verbunden. Im Bereich personalisierter Medizin sind dies neben der üblichen Frage der Skalier­barkeit insbesondere folgende:

– Statistische Relevanz: Prospektive Stu­dien sind kaum finanzierbar und auch vom Zeitrahmen her kaum „venture-­fähig“.

– Kassenzulassung: Die Zulassung ist in der Regel langwierig und beruht auf ausführlichen, prospektiven Studien. Das ist realitätsfremd und behindert ­Innovationen. Ohne gesicherte Erstattung von Medikamenten oder Tests ist ein Investment aber höchst riskant.

– Einfluss der Pharmalobby: Big Pharma hat wenig Lust auf neue diagnos­tische Tests, die das Zielpatientensegment nachträglich einschränken. Bezeichnend der Kommentar eines Mitglieds des Gemeinsamen Bundesausschusses im Vorfeld der Zulassung eines Diagnostik-Tests: „Von ein bisschen Chemo ist noch niemand gestorben.“

– Wettbewerb: Arbeiten andere Start-ups, Pharmaunternehmen oder Tech-Giganten gerade an einem ähnlichen ­Verfahren?

– Big Data: Akzeptieren die Patienten, dass große Mengen sensibler medizinischer Daten gesammelt und ausgewertet werden?

– Patente/IP: Der Schutz von Technolo­gien ist extrem wichtig für potenzielle strategische Partner und Käufer. Die problematische Patentierung von Gen­expressionstests in den USA macht die Sache nicht leichter.

Gewinner und Verlierer

Wer wird als Gewinner des Trends hin zu personalisierter Medizin hervorgehen, wer als Verlierer? Letzteres ist einfacher zu beantworten: Als Verlierer werden am Ende solche Pharmafirmen dastehen, die weiter ausschließlich auf Massenmedikamente setzen, obwohl diese einem Großteil der Patienten nicht helfen.

Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass Investoren, die jetzt auf Start-ups aus dem Bereich der personalisierten Medizin setzen, automatisch auf „Health-Tech unicorns“ hoffen können. Es gilt, die Chancen und Risiken des einzelnen Anbieters und Ansatzes sehr genau abzuwägen. Zur rechten Zeit am rechten Ort lassen sich für Investoren aber erhebliche Gewinne in den kommenden Jahren erzielen.

Die größten Gewinner stehen ohnehin schon fest: die Patienten, die maß­geschneiderte Behandlungen erhalten – und solche, die dank früherer und besserer Diagnosen gar nicht erst zu Patienten werden. 

 

Zum Autor

Karlheinz Schmelig

Karlheinz Schmelig ist Managing Partner von Creathor Venture, einem pan-europäischen Venture-Capital-Fonds mit Fokus auf Investments in Life Science und Tech sowie der immer größer werdenden Schnittmenge der beiden Bereiche (Digital Health). Er verantwortet zurzeit Investments in 14 Life-Science- und Health-Tech-Start-ups. Seine Portfolio-Firmen haben ein Exitvolumen von über 700 Mio. EUR generiert

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