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Der Austausch zu Arzneimitteln für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products; ATMP) ist bei BIO.NRW.red inzwischen schon eine feste Größe. In den letzten Jahren hat der thematische Schwerpunkt für die pharmazeutische Biotechnologie in der Netzwerkorganisation BIO.NRW immer wieder verschiedene Aspekte dieser neuen Therapiestrategien aufgegriffen – denn NRW hat in diesem Themenfeld einiges zu bieten. Mehr zu den aktuellsten Entwicklungen am Ende des Beitrags. Von Holger Garbs

 

ATMP wurden sicher nicht umsonst von der europäischen Zulassungsbehörde, der EMA, als „advanced therapy medicinal products“ eingestuft. Sie bieten mehr, denn sie können helfen, wenn klassische Arzneimittel an ihre Grenzen stoßen. Man erhofft sich von ihnen, bisher nicht therapierbare Erkrankungen adressieren zu können.

Ein ATMP enthält im Gegensatz zu klassischen Arzneimitteln keine aus Proteinen oder einer chemischen Verbindung bestehenden Wirkstoffe. Vielmehr besteht ihre Besonderheit darin, dass sie entweder einen Wirkstoff aus einer rekombinanten Nukleinsäure oder Zellen enthalten, die auf bestimmte Weise bearbeitet wurden und spezielle Aufgaben im Körper erfüllen sollen.

Generell gehören sie zu der größeren Gruppe der Biopharmazeutika; sie stellen aber eine separate Subgruppe dar, welche Gentherapeutika, Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte umfasst. Als Erweiterung gibt es noch die sogenannten kombinierten ATMP.

Im Jahr 2012 wurde das erste Gentherapeutikum in der EU zugelassen, im August 2017 erstmals in den USA durch die Federal Drug Administration (FDA). Das Gentherapeutikum zur Behandlung einer speziellen Leukämie wurde damals über einen speziellen, verkürzten Zulassungsprozess zugelassen – die „Breakthrough Therapy Desig­nation“. Ein Mitglied der amerikanischen Zulassungsbehörde formulierte, dass man mit dieser ATMP-Zulassung in neue Grenzbereiche der medizinischen Innovation vordringe, um tödliche Krebserkrankungen behandelbar zu machen.

Gentherapien sind heute in aller Munde. Zwar galt eine derartige Behandlung lange Zeit als nicht umsetzbar – mittlerweile ist sie aber in greifbare Nähe gerückt bzw. zum Teil schon Realität. Inzwischen zählen die Arzneimittel für neuartige Therapien mit 15 europäischen Zulassungen (von denen derzeit etwa zehn auf dem Markt verfügbar sind) zu den etablierten Arzneimitteln.

NRW bietet gutes Umfeld für Innovationen

Das bevölkerungsreichste Bundesland, NRW, bietet mit seiner langen Tradition in der pharmazeutischen Industrie und Biotechnologie sowie einer Vielzahl von jüngeren und jungen Biotechunternehmen ein sehr gutes Umfeld für innovative Ideen. Vielfalt kann eine Herausforderung sein, ist aber immer auch ein Gewinn. Darüber hinaus verfügt Nordrhein-Westfalen über exzellente wissenschaftliche Einrichtungen und Krankenhäuser. Beispielhaft seien hier das Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, die Technische Hochschule Köln, die RWTH Aachen und die Unikliniken in Münster und Köln genannt, die einen besonderen Standard in der akademischen Ausbildung für die Biotechnologie und Medizin ermöglichen. Die enge Zusammenarbeit von Akademie und Unternehmen bietet eine exzellente Basis, herausfordernde Ziele wie die Entwicklung von ATMP, z.B. in Form einer Zell- und Gentherapie, schneller zu erreichen. So können möglicherweise genetisch bedingte Krankheiten oder Krebserkrankungen therapiert oder gar geheilt werden.

Landesregierung initiiert Förderwettbewerbe

Um den Fortschritt und die Innovationen in NRW zusätzlich zu beflügeln, hat die Landesregierung in der Vergangenheit immer wieder Förderwettbewerbe ausgelobt, auch für den Bereich der Biomedizin. So lag 2010 mit „PerMed.NRW“ der thematische Fokus auf der personalisierten Medizin. Bei dem Förderangebot „Translationale Stammzellforschung“ im Jahr 2014 wurde anwendungsnahe Forschung im hochinnovativen Umfeld verschiedenster Stammzellansätze unterstützt. Auch sie können, zumindest teilweise, den oben beschriebenen Arzneimitteln für neuartige Therapien zugeordnet werden. Die 2015 gestarteten seriellen Förderausschreibungen im Leitmarkt LifeSciences.NRW belegen zudem, welche Bedeutung die Forschung im Umfeld der Lebenswissenschaften für Innovation, Produkt und Markt in Nordrhein-Westfalen hat.

Um das Potenzial der durch die unterschiedlichen Förderwettbewerbe angestoßenen Kooperationen zwischen Unternehmen und akademischen Einrichtungen zu nutzen, hat BIO.NRW das Format der „Arbeitsplattformen“ initiiert und etabliert. Arbeitsplattformen stellen einen Kristallisationskeim für eine über das Forschungsprojekt hinausgehenden Zusammenarbeit mit zusätzlichen Partnern dar. Dabei werden aus den Förderwettbewerben entstandene Konsortien mit weiteren thematisch und/oder auch technologisch ergänzenden Partnern aus Akademie und Wissenschaft zusammengebracht. Auf diese Weise haben bis heute weit mehr als 20 verschiedene Arbeitsplattformen, Expertenrunden, Diskussions- und Austauschplattformen sowie Fortbildungen stattgefunden. Die thematische Spannbreite beinhaltete z.B. verschiedene Aspekte der Prozesstechnologie, wie Optimierung biopharmazeutischer Prozessentwicklung, automatisierte Kultivierung von Stammzellen (iPS), personalisiertes Management von spezifischen Erkrankungen über Biomarker und neue, assoziierte Medikamente, innovative Antibiotika und Antiinfektiva, Impfstoffe und Prävention, klinische Bioanalysen, Liquid Biopsy, personalisierte Medizin und natürlich auch die ATMP.

Zulassungen fördern Informationsgewinn

Die Entwicklung im Bereich der ATMP hat über die vergangenen Jahre enorm an Fahrt aufgenommen, und die ersten Zulassungen von Gentherapeutika sowie deren Anwendung am Menschen haben den Informationsgewinn auf diesem Gebiet weiter vorangetrieben. In NRW zählt das Unternehmen Miltenyi Biotec zu den wichtigsten Akteuren und hat sich über die Zeit ein großes Netzwerk an internationalen Kooperationspartnern aufgebaut. Als Koordinator des NZT.NRW (Netzwerk zelluläre Tumorforschung NRW) hat Miltenyi, in Kooperation mit BIO.NRW und dem BPI 2015, beispielsweise die Diskussionsplattform zu „Arzneimittel für neuartige Therapien – Regulatorische Hürden und Herausforderungen auf dem Weg in die klinische Routine“ initiiert. Experten aus ganz Deutschland haben sich dazu in Köln getroffen. Zentrale Aspekte der Diskussionen rund um die ATMP waren die Herausforderungen bei der Herstellung, der Translation in die Klinik und bei der Erstattung. Für einige dieser Aspekte haben sich in der Zwischenzeit anerkannte Prozesse etabliert, wie in den Fachvorträgen und Diskussionen des ATMP-Workshops „Future in Medicine – Innovative Cell and Gene Therapies“ im Dezember 2019 in der NRW-Repräsentanz in Brüssel zu erfahren war. Initiiert wurde das Arbeitstreffen durch das europäische Forschungsprojekt „CARAT“ unter Leitung von Miltenyi Biotec. CARAT ist thematisch fokussiert auf die Herstellung, Optimierung und Anwendung von CAR-T-Zell­therapien, einer speziellen Form von ATMP. Bei Patienten mit Erkrankungen des blutbildenden Organsystems können CAR-T-Zelltherapien oft die letzte Chance sein, denn dieser therapeutische Ansatz nutzt modifizierte Abwehrzellen der Betroffenen, um so den Krebs zu bekämpfen, der zuvor für das körpereigene Immunsystem gewissermaßen unsichtbar war.

Fazit

Insgesamt ist das Forschungsfeld rund um die ATMP noch recht jung, und der Erkenntnisgewinn nimmt sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Anwendung exponentiell zu – ein guter Grund, dieses bewegte Thema im Bereich der Biopharmazeutika weiter im Auge zu behalten. Es bleibt spannend.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.