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Das EU Parlament hat den Änderungen schon zugestimmt, nun hängt alles am Europäische Rat. Wird die Verordnung wie geplant Mitte 2014 geltendes europäisches Recht, ist sie ein guter Kompromiss für Industrie wie für Patienten.

Laut Branchenverband Spectaris summierte sich der weltweite Markt mit Medizinprodukten im Jahr 2011 auf 350 Milliarden USD. Ein aktuelles Ranking zeigt Deutschland auf Platz 3, gleich hinter Japan und den USA. Die Exportquote der mehr als 12.600 deutschen Medizintechnikfirmen, die fast 190.000 Mitarbeiter beschäftigen, liegt mit rund 70% extrem hoch. Nicht zuletzt der langen Tradition in der Ingenieurskunst verdankt die Medizintechnik in Deutschland ihren rasanten Aufstieg, der noch immer ungebrochen scheint.

Tuttlingen, Hauptstadt der Medizintechnik

Als Hauptstadt der Medizintechnik gilt hierzulande das nur Insidern bekannte Tuttlingen, in dem etwa 400 Firmen Medizin-Hightech „Made in Germany“ fertigen. Im vergangenen Jahr generierten die 400 größten Firmen der Branche einen Umsatz von sage und schreibe 22,3 Milliarden EUR. In den Bereich der Medizintechnik fallen aber nicht nur die Jedermann bekannten Diagnoseverfahren, wie beispielsweise das MRT, oder die hinreichend bekannten Implantate, von Brust über Hüfte bis zum Zahn. Selbst bei den unendlich vielfältigen chirurgischen Instrumenten hört Medizintechnik heute nicht auf. Die Branche ist bereits in innovativere Sphären vorgedrungen, elektronisch gesteuerte Pflaster, die auf Knopfdruck Medikamente freisetzen, oder winzige Bürstchen, die der Entfernung atherosklerotischer Plaques in Herzkranzgefäßen dienen, sind heute der letzte Schrei, aber noch lange nicht das Ende dieser innovativen Branche.

Aus für Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde

Rund ein Drittel des Umsatzes der Medizintechnikbranche stammt aus relativ jungen Produkten – nicht älter als drei Jahre. Die Produktvielfalt und damit der Aufstieg der Branche, der seit 2003 fast ungebremst anhält, sind zu einem nicht unerheblichen Teil auch dem unkomplizierten Zulassungsverfahren geschuldet. Im Gegensatz zu den USA, wo Medizinprodukte analog Arzneimitteln geprüft und durch die Arzneimittelbehörde, FDA, zugelassen werden müssen, reicht in der EU eine CE-Zertifizierung. Bis jetzt, denn seit sich Skandale, wie die mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantate, häufen, hat sich die EU eine Verschärfung des Zulassungsprozesses auf die Fahnen geschrieben.

Gegenüber den USA hat Europa, auch wenn es um riskante Medizinprodukte geht, auf Grund der CE-Zertifizierung einen Standortvorteil. Denn den FDA-Zulassungsprozess dauert in den Vereinigten Staaten 10 bis 15 Jahre, während CE-Zertifizierung bereits in zwei bis drei Jahren erhalten werden kann. Kein Wunder also, dass die Forderung der SPD-Politikerin Dagmar Roth-Berendt nach einer zentralisierten Marktzulassung von Medizinprodukten, analog der Arzneimittelzulassung, abgeschmettert wurde. Roth-Berendt hatte für Hochrisikoprodukte, und meint damit vor allem die Produkte, die in den Körper implantiert werden, eine einheitliche Zulassung über die EMA in London gefordert.

Damit hatte sie die Medizinprodukte-Hersteller gegen sich aufgebracht. Sowohl der Verband Eucomed, ein Zusammenschluss von rund 25.000 Herstellern und Lieferanten, als auch der Fachverband Medizintechnik, vertreten durch Jan Wolter von Spectaris, sprachen sich vehement gegen ein solches Vorgehen aus. Dies koste den Standortvorteil, Arbeitsplätze und wäre auch nachteilig für viele Patienten, die oft nicht mehr die Zeit hätten, jahrelang auf eine Zulassung zu warten.

Medizinprodukte-Verordnung ist ein Kompromiss

Der Ende Oktober vorgestellte EU-Parlamentsbeschluss zur Medizinprodukte-VO ist deswegen auch nur Kompromiss dessen was ursprünglich angedacht war. Allerdings ein Kompromiss, mit dem Alle leben können – Patienten und Hersteller. Bevor das hart erkämpfte Papier allerdings europaweit Gesetz werden kann, ist erst noch das OK des Europäischen Rats einzuholen. Hier haben die einzelnen Länder noch die Möglichkeit, Einwände vorzubringen. Das letzte Wort ist bei den nachfolgenden Ausführungen also noch nicht gesprochen, doch die Chancen für eine Verabschiedung stehen nicht schlecht.

Einig sind sich alle Beteiligten, primäres Ziel der Änderungen muss mehr Patientensicherheit sein, eine sachgerechte Abwägung zwischen Nutzen und Risiko eines Medizinproduktes muss deshalb oberste Priorität besitzen. Und hier kommen die für die Zertifizierung verantwortlichen „Benannten Stellen“ ins Spiel. Sie sollen künftig von den Mitgliedsstaaten sehr viel strenger überwacht werden und müssen höhere Anforderungen erfüllen. Hinzu kommt, die Bewertung von Hochrisikoprodukten soll in Zukunft von Experten aus allen EU-Mitgliedsstaaten zusammen mit der EU-Kommission vorgenommen werden.

Durchführungs-VO regelt Überwachung und Aufgaben „Benannter Stellen“

Die nach langem Ringen endlich in Kraft getretene Durchführungsverordnung (EU) Nr. 920/2012 über die Benennung und Beaufsichtigung „Benannter Stellen“ regelt deren Aufgaben und Überwachung. So ist angedacht, dass die „Benannten Stellen“ in ganz Europa Kontrollen in Herstellerfirmen künftig unangekündigt durchführen. Die Bewertung von Nutzen und Risiko eines Medizinproduktes soll nur von fachkundigem Personal durchgeführt werden. Die Verantwortung für diese fachkundige Beurteilung liegt bei den etwa 80 „Benannten Stellen“ in der EU. Zwei Dinge sollen damit erreicht werden: Die Vereinheitlichung des Zertifizierungsprozesses in ganz Europa und die Erhöhung der Transparenz im Hinblick auf die gewählten Subunternehmer durch die „Benannten Stellen“. Bisher hatte der Wettbewerb unter den europäischen „Benannten Stellen“ zur CE-Zertifizierung nicht marktkonformer Produkte beigetragen, zu Lasten der Patienten, die im Falle schadhafter und gefährlicher Produkte die Zeche bezahlten.

Neben unangekündigten Audits sind auch obligatorische Stichproben nach der Zulassung vorgesehen. Sie sollen die Identität zwischen zugelassenem und tatsächlich vermarktetem Produkt sicherstellen und so Skandale wie die mit Industriesilikon gefüllten Brustimplantate künftig vermeiden helfen.

Hochrisikoprodukte der Klassen III und II b will die EU künftig von einer neu zu gründenden Expertengruppe, der Behördenvertreter der einzelnen Mitgliedsländer angehören, kontrollieren lassen. Gibt es wissenschaftlich belegbare Gründe für eine Vorabbewertung eines Medizinproduktes, kann das Gremium eine solche von den „Benannten Stellen“ anfordern. Um Nachbesserungen zu ermöglichen ist eine Revisionsklausel Bestandteil der VO, sie sieht vor, die VO nach einigen Jahren einer erneuten Überprüfung zu unterziehen.

Einteilung der Medizinprodukte gemäß der europäischen Richtlinien
Risiko Klassen Beispiele
Sehr hohes Risiko III Brustimplantate, Hüftprothesen, Herzkatheter, Arzneistoffe abgebende Stents
Hohes Risiko IIb Künstliche Linsen, Kondome, Röntgengeräte, Infusionspumpen
Mittleres Risiko IIa Zahnfüllungen, Röntgenfilme, Hörgeräte, Ultraschallgeräte
Geringes Risiko I,I steril,I mit Messfunktion Lesebrillen, Rollstühle, Pflaster, Fieberthermometer

Sonstige Medizinprodukte.

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

 

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