Wer sich im vergangenen Jahr in deutschen Technologieaktien breit engagierte, konnte eigentlich nicht viel falsch machen. Der TecDax stieg von Jahresanfang bis Ende November 2015 um beachtliche 35%. Im Vergleich dazu waren es im Dax „nur“ bescheidene 17%.

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen
Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Nicht nur das Börsenumfeld ist für hiesige Tech-Unternehmen äußerst rosig geworden,  auch die Venture-Szene gibt sich historisch gesehen wieder sehr spendabel. Investments in technologieorientierte Start-ups bzw. in vorbörsliche Finanzierungsrunden im Technologiesegment sind wieder angesagt. So ist im ersten Halbjahr 2015 das VC-Finanzierungsvolumen laut BVK (Marktstatistik) um 33% auf 437 Mio. Euro gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Ein ähnlich positives Stimmungsbild hatten wir zuletzt während des „TMT“-Booms Ende der 90er. Nicht nur Start-ups, sondern auch die fortgeschrittenen Finanzierungsrunden werden zu attraktiven Bewertungen und – noch wichtiger – in zunehmendem Maße auch im zweistelligen Millionenbereich finanziert. Die aktiven VC- bzw. „Pre-IPO“-Investoren haben oftmals ihre Wurzeln in Silicon Valley und entdecken Deutschland (v.a. Berlin, München) als attraktive Investitionsalternative.

Allerdings hat dieses freundliche Stimmungsbild noch nicht dazu geführt, dass sich der deutsche IPO-Markt für Wachstumsunternehmen auf einem Niveau bewegt, welches wir in den Jahren 1999-2000 gesehen haben. Wie die jüngsten Studien von PwC und dem Schweizer Investmenthaus Unigestion zeigen, hat sich die Haltedauer der vorbörslichen Investments von Beteiligungsgesellschaften bei US-Tech-IPOs von durchschnittlich sechs Jahren (1995–2004) auf aktuell zehn Jahre (2010-2015) verlängert. Zugleich erhöhte sich die durchschnittliche „Pre-IPO“-Umsatzgröße der Erstemittenten in den beiden Zeiträumen von 18 Mio. USD auf 97 Mio. USD deutlich. Ähnliche Beobachtungen machen wir auch für den deutschen IPO-Markt, wonach im Zeitraum 1998-2001 der Umsatz im Median noch 14,1 Mio. EUR betrug und in der Zeitspanne 2010-2015 auf 111 Mio. EUR signifikant anstieg. Die Folge ist, dass große Teile des Wachstums und damit auch des Wertsteigerungspotentials während des Börsenganges bereits durch die „Pre-IPO“-Investoren abgeschöpft wurden. Die Statistiken zeigen aber auch, dass es für Unternehmen möglich ist, größere Volumina für eine vorbörsliche Wachstumsfinanzierung bereitgestellt zu bekommen, als in der Vergangenheit über die Börse eingeworben werden konnten. Wie unsere Statistik für den deutschen IPO-Markt zeigt, betrug im Median das Emissionsvolumen in den Jahren 1998-2001 nur 39 Mio. EUR. Im jüngsten Zeitraum (2010-2015) sind es bereits 99 Mio. EUR. Es ist momentan für die jungen Wachstumsunternehmen durchaus bequemer, eine „C“-Finanzierungsrunde außerhalb des strengen regulatorischen Korsetts des öffentlichen Kapitalmarkts zu akquirieren. Leider haben sich in den letzten zehn Jahren diese regulatorischen Anforderungen für Emittenten deutlich verschärft und die Strukturkosten für eine Börsennotiz erheblich verteuert. Vor diesem Hintergrund ist die Abhängigkeit von wenigen VC-Investoren für die Manager und Gründer das geringere Übel.

Die Abschaffung von Quartalsmitteilungen in den regulierten Märkten wird die anstehende Regulierungsflut (Ad-hoc-Pflicht im Freiverkehr, Quotenregelung für Organe etc.) nicht kompensieren können. Auf der anderen Seite zeigt die derzeitige Bewertungskorrektur in den Portfolios der „Pre-IPO“-Investoren bei den sogenannten „Einhörnern“ vor allem in den USA, dass die intransparenten Preisfestlegungen in vorbörslichen Finanzierungsrunden zu hinterfragen sind. Ein öffentlicher Börsenkurs hat im Vergleich dazu eine ganz andere Qualität und gibt den Stakeholdern in den Wachstumsunternehmen mehr Sicherheit als vorgetäuschte Preisblasen, die dann zu Lasten der Mitarbeiter (z. B. Ratchet-Klauseln) gehen.

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