Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen, Blättchen Financial Advisory

Die ersten sechs Monate des laufenden Jahres brachten leider nicht die zu Jahresbeginn erhoffte Belebung an den IPO-Märkten. Die seit Monaten andauernde Eurokrise hemmt die Entscheidungsfreudigkeit der Investoren, bei Neuemissionen zuzugreifen. Dies zeigt sich ebenfalls in den sehr volatilen Aktienindizes der letzten Monate, die nach einer wackligen Erholung bis März/ April im Juni wieder auf das Niveau zum Jahresanfang zurückfielen. Weltweit sind bis zum 30.06.2012 insgesamt 363 IPOs mit einem Emissionsvolumen von insgesamt rund 60 Mrd. USD an den Märkten platziert worden. Um auf das gleiche Volumen des gesamten Vorjahres zu kommen, muss in nächsten sechs Monaten etwa das Doppelte des Volumens des ersten Halbjahrs folgen. Besonders trüb sieht der IPO-Markt in Europa aus: In den ersten beiden Quartalen wurden gerade einmal 14% des gesamten Vorjahresvolumens platziert. Auch der chinesische IPO-Markt musste im ersten Halbjahr 2012 seine führende Rolle als IPO-Motor der Welt an die USA abgeben. Insgesamt sind an den chinesischen Börsen rund 14 Mrd. USD im ersten Halbjahr emittiert worden. In den USA lag das IPO-Volumen mit rund 27 Mrd. USD fast doppelt so hoch. Jedoch verzerrt der „Facebook-Effekt“ mit 16 Mrd. USD die Statistik.

Der deutsche IPO-Markt war im ersten Halbjahr besonders mau. Vier Neuzugänge weisen nur ein Volumen von vergleichsweise verschwindenden 29 Mio. EUR auf. Überraschenderweise stammen drei der vier Emittenten vom chinesischen Festland, die aus Reputationsmotiven den Gang an die Frankfurter Börse gewagt haben. Enttäuschend ist hierbei sowohl für die Emittenten als auch für den IPO-Markt in Deutschland im Allgemeinen, dass diese drei chinesischen Neuzugänge nur ca. ein Zehntel ihres beabsichtigten Emissionsvolumens einsammeln konnten. Im Schnitt liegt das platzierte Volumen bei knapp 3 Mio. EUR. Allein der Börsengang der KTG Energie AG sticht erfreulicherweise mit einem Emissionsvolumen von 20,7 Mio. EUR aus diesen „Mini-Emissionen“ heraus. Die Börseneinführungsabsichten der Schwergewichte Evonik, Osram, Hapag-Lloyd, Talanx oder Kolbenschmidt Pierburg sind leider wieder in den Schubläden verschwunden. Die Griechenland-Krise Anfang Juni machte den Emittenten einen Strich durch die Rechnung.

Im Grunde kann gesagt werden, dass sich derzeit zahlreiche IPO-Investoren (Privatanleger, institutionelle Investoren) bei Neuemissionen zurückhalten. Dies liegt sicherlich zum einen an der schwer überschaubaren Eurokrise. Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass auch die eingefahrenen Platzierungsusancen der Investmentbanken für die derzeitige Lethargie an den IPO-Märkten mitverantwortlich sind. Der Facebook-Börsengang ist dafür ein negatives Musterbeispiel. Dass sich der Privatanleger von einem Investment in Risikopapieren nicht verabschiedet hat, zeigt sein starkes Engagement in hochspekulativen Derivatprodukten oder High-Yield-Anleihen. Aber auch die jüngsten Innovationen, wie das „Crowd-Funding“, das ein unkompliziertes Matching zwischen kapitalsuchenden kleineren Unternehmen und Investoren ermöglicht, zeigen, dass Privatanleger durchaus Interesse an attraktiven Investitionsmöglichkeiten haben, wenn man sie geschickt einbindet. Die regen IPO-Aktivitäten in China oder an der Warschauer Börse, begünstigt durch eine starke Retailnachfrage, zeigen, dass eine aktive Einbeziehung von Privatanlegern zu einer nachhaltigen Belebung des IPO-Marktes führt. Hier sollten sich vor allem die Investmentbanken, aber auch die Börsen angesprochen fühlen, um ihre bisherige Emissionspraxis zu überdenken.

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