Familienunternehmen und Börse – geht das überhaupt? Lassen sich eine langfristig orientierte Unternehmenspolitik, eine hohe Verantwortung gegenüber der Belegschaft sowie eine oftmals über Generationen gepflegte Verwurzelung in der Region als wesentliche Kennzeichen eines Familienunternehmens mit der Börse, ihren Transparenzanforderungen, dem schnelllebigen, auf kurzfristige Kursgewinne ausgerichteten Denken der Investoren und der Aufnahme von Mitaktionären in Verbindung bringen? Ja, und zwar sehr erfolgreich. Von Dr. Rainer Wienke

Dr. Rainer Wienke, Börse München
Dr. Rainer Wienke, Börse München

Denn die Mischung aus langfristigen Unternehmenszielen und größtmöglicher Transparenz hat sich bewährt.

Eigener Familienindex für Deutschland und Europa

An der Börse München existiert seit mehr als zehn Jahren in Zusammenarbeit mit Hauck & Aufhäuser und der Baader Bank ein Index für börsennotierte Familienunternehmen: der Hauck & Aufhäuser Familienindex – oder kurz: HAFIX Deutschland, und als Erweiterung der HAFIX Europa. Hier werden Familienunternehmen als Gesellschaften definiert, bei denen entweder die Gründer das Unternehmen nach dem Börsengang weiterführen oder die Erben das Geschehen beherrschen oder Familien als Investoren die Geschicke aktiv mitbestimmen. Zur ersten Kategorie gehören etwa United Internet, zur zweiten Henkel und zur dritten BMW mit der Familie Quandt als Ankerinvestor. Zu den europäischen Werten zählen weltbekannte Marken wie u.a. L’Oreal aus Frankreich, Heineken aus den Niederlanden, Richemont und Roche aus der Schweiz sowie Hennes & Mauritz aus Schweden, um nur einige zu nennen. Die beiden Indizes haben sich in den vergangenen Jahren an der Börse positiv behauptet und oftmals den DAX oder den Euro STOXX geschlagen.

Die Börse – Erfolgsgarant für den Mittelstand

Verlassen wir die Welt der global agierenden Konzerne und wenden wir uns mittelständisch geprägten Familienunternehmen zu: Die Herausforderungen der Globalisierung und der Industrie 4.0, die Finanzierung von Innovationen, Expansion im In- oder Ausland, der Fachkräftemangel oder Fragen der Unternehmensnachfolge – die Gründe für Familienunternehmen, sich über den Kapitalmarkt für die Zukunft zu wappnen, sind vielschichtig. Und sie sind unabhängig von der Größe des Unternehmens. Dass die Börse dabei ein Erfolgsrezept auch für mittelständische Familienunternehmen ist, überrascht nicht. Das belegen die zahlreichen erfolgreichen „Hidden Champions“ aus dem deutschen Mittelstand, die häufig in Spezialsegmenten des Freiverkehrs der Börsen notieren.

Zwei Voraussetzungen sind dabei jedoch wesentlich für einen Erfolg des „Projektes“ Börse: Die Bereitschaft des Familienunternehmers zur Öffnung und Transparenz und die richtigen (regulatorischen) Rahmenbedingungen für ein Going- und ein Being-Public von Familienunternehmen.

Die Gepflogenheiten des Kapitalmarktes leben

Absolute Klarheit muss darüber bestehen, dass ein Börsengang eines Unternehmens dieses zu einer „öffentlichen“ Angelegenheit des Kapitalmarktes macht, insbesondere seiner Investoren. Das erfordert die Bereitschaft der Unternehmensführung, diese Öffnung und Transparenz auch zuzulassen, und zwar nicht nur beim Börsengang, sondern auch beim Being-public. Eine Selbstverständlichkeit – denn wer die Vorzüge des Kapitalmarktes in Anspruch nimmt und Geld von Investoren anvertraut bekommt, der hat im „Gegenzug“ dem Verlangen der Geldgeber nach Transparenz Rechnung zu tragen. Dies ist in anderen Finanzierungssituationen, etwa beim klassischen Bankkredit, nicht anders und allgemein akzeptiert. Transparentes und damit professionelles Agieren am Kapitalmarkt wird von bestehenden und potenziellen Investoren belohnt. Dies macht sich spätestens dann positiv bemerkbar, wenn der Emittent den Kapitalmarkt erneut zur Finanzierung in Anspruch nimmt. Das verständliche Interesse von Unternehmensgründern bzw. Unternehmerfamilien, auch nach einem Börsengang die Geschicke „ihres“ Unternehmens maßgeblich beeinflussen zu können, muss freilich ernst genommen werden. Ihm kann jedoch begegnet werden durch entsprechende Gestaltungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur. Die Sicherung der Mehrheit der Stimmrechte, die richtige Wahl der Gesellschaftsform, die Gestaltung der inneren Struktur der Gesellschaft sind alles Mittel, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können, um den Einfluss der Familie (dauerhaft) zu erhalten.

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