Über 80% der österreichischen Hauptversammlungen (HV) finden in Wien statt. Hier kennt fast jeder jeden, man trifft sich permanent bei Tagungen, Arbeitsgruppen oder bei gesellschaftlichen Anlässen. In Österreich haben wir im Aktienrecht mit Deutschland eine gemeinsame Geschichte, aber der Fleiß des Gesetzgebers ist in der Alpenrepublik nicht so ausgeprägt. Auch bei den Gerichten geht es anders zu. Rechtsstreitigkeiten sind eher die Ausnahme, da einerseits eine hohe Kostenbarriere gegeben ist und andererseits nicht extrem formalistisch entschieden wird, sondern das Argument der „Wesentlichkeit“ schwer ins Gewicht fällt. Die großen Hauptversammlungen von Erste Bank Group, Raiffeisenbank International, Immofinanz, voestalpine laufen eher ruhig ab und dauern in etwa vier bis fünf Stunden.

Mag. Dr. Wilhelm, Präsident, IVA Interessenverband für Anleger
Mag. Dr. Wilhelm, Präsident, IVA Interessenverband für Anleger

Es ist ein Faktum, dass HVs, die zumeist am späten Vormittag oder am frühen Nachmittag stattfinden, überwiegend von Pensionisten, die nur einige wenige Aktien besitzen, besucht werden. Sie füllen den Saal, ihre Stimmen müssen zwar gehört werden, aber bei den Abstimmungen hat die „vox populi“ kein relevantes Gewicht. Nach der Präsentation des Vorstands und einigen Diskussionsbeiträgen von Aktionären wird nach zwei Stunden das Buffet gestürmt. Für viele fällt diese „Naturaldividende“ stärker ins Gewicht als die Bardividende.

Schwerpunktfragen vorab
Der IVA – Interessenverband für Anleger hat Aktivitäten gesetzt, um den Ablauf der HV zu straffen und sie kostengünstiger abwickeln zu können. Seit einigen Jahren werden den Unternehmen sieben bis zehn Schwerpunktfragen (siehe dazu www.iva.or.at) vorab zugesandt, die Beantwortung auf der IVA-Website veröffentlicht. Dieser Service wird stark angenommen und vor allem von Aktionären genutzt, die aus beruflichen, privaten oder Kostengründen eine HV nicht besuchen können.

Bei mehr als zwanzig Unternehmen des Prime Market bieten wir eine neutrale Stimmrechtsvertretung an, die unterschiedlich intensiv angenommen wird. Die Unternehmen zahlen einen geringen Kostenbeitrag an den IVA, für die Aktionäre ist dieser Service kostenfrei.

Wir sind dabei, die Unternehmen zu überzeugen, die ermüdenden Formalien zu Beginn der HV durch ein Merkblatt weitgehend zu ersetzen. Auch sollte die Vorstandspräsentation nicht länger als 30 bis 45 Minuten dauern. Es sollte auch überlegt werden, auf ein Buffet zu verzichten, wenn zeitnah zur HV in einer Informationsveranstaltung (mit Buffet) am späten Nachmittag oder frühen Abend der Vorstand einem wesentlich größeren Kreis von Privataktionären zur Verfügung steht. Die Abstimmung in der HV sollte durch den Stimmrechtsvertreter, der entsprechende Weisungen erhält, erfolgen.

Weniger Vorratsbeschlüsse
Viele Materien sind per Gesetz zur Abstimmung an die HV delegiert. Dies wird mit dem Argument der „Flexibilität“ zum Anlass bzw. Vorwand genommen, in der Hauptversammlung sogenannte Vorratsbeschlüsse wie etwa zu den Themen Rückkauf eigener Aktien, Kapitalmaßnahmen, aber auch eher formalistische Satzungsänderungen zur Abstimmung zu bringen. Abgesehen davon, dass so eine Art Generalvollmacht in Ausnahmefällen missbräuchlich verwendet werden könnte, zeigt die Praxis, dass ohnedies nur ein Bruchteil dieser Beschlüsse auch tatsächlich umgesetzt wird.

Schlussbemerkung
Erfreulich ist, dass es zwar immer wieder enervierende, langatmige, kleinliche Debattenbeiträge von Kleinaktionären gibt, aber kein HV-Aktionismus stattfindet, durch den der Vorstand oder Aufsichtsrat zu Formfehlern verleitet werden und eine Anfechtungsmöglichkeit von Beschlüssen geschaffen werden soll. Der Kontakt der HV-Besucher zu den Organträgern knapp vor, aber auch nach der HV ist oft locker und entspannt. Aufsichtsrat, Vorstand und Aktionäre sitzen im selben Boot und haben gemeinsame Anliegen. Arroganz, Überheblichkeit und übertriebene Eitelkeit wären da störend.


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