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Das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz wird voraussichtlich Anfang 2023 in Kraft treten und Unternehmen dazu ­verpflichten, interne Meldekanäle einzurichten. Personen, die auf Missstände und Fehlverhalten im eigenen Unternehmen hinweisen, hätten dadurch erstmals Schutz vor Repressalien wie Mobbing und Kündigung. Doch der neuste Entwurf der Ampelkoalition ist nicht unumstritten, vor allem in Hinsicht auf den Umgang mit anonymen Hinweisen. Unabhängig von der endgültigen Ausgestaltung des Gesetzes sollten sich Unternehmen und öffentliche Einrichtungen bei der Erfüllung der Anforderungen an der Best Practice orientieren – sonst laufen sie Gefahr, dass wichtige Hinweise sie nicht erreichen.

Cum-Ex, Panama Papers, Wirecard oder die Corona-Maskendeals – die zahlreichen Skandale in den letzten Jahren in Wirtschaft und Politik machen deutlich: Das kommende Hinweisgeberschutzgesetz ist überfällig, denn es verspricht Whistleblowern in Deutschland erstmals Rechtssicherheit. Unternehmen verpflichtet das Gesetz, interne Melde­systeme einzurichten, über welche Meldungen auf Missstände abgegeben werden können.

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Aktuell ist davon auszugehen, dass der Bundestag das Gesetz im Herbst verabschiedet. Drei Monate später würde ­dieses dann in Kraft treten. Whistleblower wären somit künftig vor Repressalien besser ­geschützt, wenn sie auf Fehlverhalten im Unternehmen hinweisen, sofern die Meldung unter den vom Gesetz geschützten Anwendungsbereich fällt, der auch nationale Straftatbestände wie Geldwäsche, Korruption und Steuerbetrug mit ein­bezieht.

Richtiger Umgang mit anonymen Meldungen von zentraler Bedeutung

Eine bedeutende Rolle innerhalb eines umfassenden Hinweisgeberschutzes spielt der Umgang mit Meldungen, die ohne ­Angaben zur Identität der meldenden ­Person eingehen. Gegenüber dem letzten Entwurf hat die Bundesregierung hier nachgebessert und empfiehlt internen Meldestellen, anonyme Hinweise zu ­berücksichtigen, sofern die „vorrangige Bearbeitung nichtanonymer Meldungen nicht gefährdet wird“.

Abb. 1: Aufgedeckter finanzieller Gesamtschaden 2020 durch Whistleblower in Deutschland. Basis: Unternehmen mit Meldestelle und finanziellem Gesamtschaden 2020 > 0. Quelle: EQS Group AG

Doch die fehlende Pflicht, anonyme Meldewege zuzulassen bzw. anonymen Meldungen nachzugehen, sehen vor allem Verbände und gemeinnützige Organisa­tionen als große Schwachstelle des ­Gesetzesentwurfs – denn in der Realität befürchten viele Hinweisgebende Repressionen, wenn sie sich zu erkennen geben, wie der „Whistleblowing Report 2021“ zeigt. Die internationale Studie der Fachhochschule Graubünden, die auch im ­Gesetzesentwurf mehrfach als Quelle ­genannt wird, unterstreicht die Bedeutung anonymer Meldungen. Im Jahr 2020 wurde jeder zweite Hinweis ohne Angaben zur Person eingereicht, wenn dies möglich war. Ohne diese Meldungen setzen sich die Unternehmen einem deutlich höheren Risiko aus, denn fast 40% der Gesellschaften deckten über 80% des finanziellen ­Gesamtschadens durch Hinweisgebende auf. 2020 war in Deutschland jedes dritte Unternehmen von illegalem oder ­unethischem Verhalten betroffen; den ­dadurch entstandenen Schaden bezifferte gut ein Viertel der Befragten auf mehr als 100.000 EUR.

Die Sorge, hinweisgebende Personen könnten einen anonymen Meldekanal missbräuchlich nutzen, räumt die Studie nachdrücklich aus: Nur jede zehnte ­Meldung hatte falsche oder verleumde­rische Inhalte. 44,2% der Meldungen ­waren hingegen relevant und gehaltvoll und wiesen tatsächlich auf einen ­compliancerelevanten Missstand oder ein Fehlverhalten hin. Gleichzeitig wurde deutlich, dass der Anteil missbräuc­hlicher Meldungen bei Unternehmen, die anonymes Melden zulassen, nicht höher liegt als bei denjenigen, die keine anonymen Meldungen entgegennehmen.

Abb. 2: Anteil der relevanten und missbräuchlichen Meldungen 2020 im Ländervergleich. Basis: Unternehmen mit Meldestelle. Quelle: EQS Group AG

Unternehmen laufen demnach Gefahr, dass bestimmte Hinweise sie nicht mehr erreichen, wenn sie die Möglichkeit einer anonymen Meldeabgabe nicht anbieten oder aber anonyme Meldungen und ­Hinweise mit Klarnamen nicht gleich­rangig behandeln.

Digitale Hinweisgebersysteme sind Best Practice

Das Kernstück des Gesetzes ist die Einführung eines internen Meldekanals sowohl in Unternehmen als auch im öffentlichen Sektor. Zunächst müssten Firmen ab 250 Mitarbeitenden einen solchen Kanal ­einrichten und ihrer Belegschaft zur ­Verfügung stellen. Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten erhalten zwar eine Übergangsfrist bis zum 17. Dezember 2023, sollten aber bereits jetzt tätig werden, denn für die Einführung eines ­Hinweisgebersystems, das allen Anforderungen des Gesetzes entspricht, müssen Zeit und Ressourcen eingeplant werden.

Mittlerweile gelten digitale Hinweis­gebersysteme als Best Practice, da sie alle Anforderungen an eine sichere, anonyme und DSGVO-konforme Kommunikation ­erfüllen. Sie sind von überall und rund um die Uhr erreichbar und können mehr­sprachig aufgesetzt werden. Zudem ­können Compliance Officer und Hinweisgebende über die digitale Plattform kommunizieren – auf Wunsch auch anonym.

Win-win

Ein effizientes Meldesystem sorgt für eine Win-win-Situation: Es schützt einerseits die Hinweisgebenden und deren Identität, andererseits erhalten Unternehmen ein wirkungsvolles Frühwarnsystem, um Risiken zu identifizieren. Außerdem tragen ­digitale Hinweisgebersysteme dazu bei, die Hemmschwelle bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die vor allem bei der ersten Meldung sehr hoch ist, herabzu­setzen. Denn nur wenn die meldenden ­Personen keine Nachteile befürchten ­müssen, können sie auch tatsächlich ­„einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen“ leisten, wie im Gesetzesentwurf ausdrücklich ­betont wird.

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Autor/Autorin

Marcus Sultzer

Marcus Sultzer gehört seit 2018 dem Vorstand der EQS Group AG an. Als Vorstandsmitglied ist er verantwortlich für die globalen Umsätze, Marketing sowie Produkte und Partnerschaften. Der Diplom-Betriebswirt, der auch über einen MBA-Abschluss verfügt, kam 2007 zur EQS Group und hat die internationale Expansion des Konzerns maßgeblich vorangetrieben.