Die Übernahme von Kite Pharma durch Gilead ist regelrecht prototypisch für die Branche. Gilead saß zuletzt auf einem 36,6 Mrd. USD hohen Berg an Barmitteln. Das Geld verdient der Konzern überwiegend mit Medikamenten zur Behandlung von Hepatitis C und HIV. Von Mario Linimeier

Dabei ist Gilead gewissermaßen ein Opfer seines eigenen Erfolgs. Denn die vom Biotech-Unternehmen vermarkteten Hepatitis C-Medikamente Sovaldi und Harvoni heilen die überwiegende Zahl der Patienten, sodass durch die Behandlungserfolge die Zahl der potenziellen Abnehmer schrumpft und der adressierbare Markt kleiner wird.

Einbrechende Umsätze

Im 2. Quartal dieses Jahres sank der Umsatz mit Sovaldi und Harvoni auf weniger als drei Mrd. USD. Das waren mehr als eine Mrd. USD beziehungsweise 25% weniger als im entsprechenden Vorjahresquartal.

Zwar wuchs das Geschäft mit HIV-Therapien. Das reichte aber bei Weitem nicht aus, um den Rückgang bei der Hepatitis C-Medikamenten auszugleichen. Gilead ist somit auf neue Umsatzquellen in Form von Blockbuster-Medikamenten angewiesen. Aufgrund der durchwachsenen Entwicklungspipeline muss sich der Konzern extern nach neuen Produkten umsehen.

Die Wahl fiel auf Kite Pharma, einen führenden Player im Bereich zellulärer Immuntherapien (CAR-T). Beim CAR-T-Verfahren werden Krebspatienten genetisch veränderte T-Zellen verabreicht, die Tumorzellen im Rahmen einer Immunreaktion abtöten. Die bisherigen Daten der potenziell revolutionären Technologie sind sehr vielversprechend. Eine Marktzulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA könnte noch in diesem Jahr erfolgen.

Sattes Aufgeld

Gilead zahlt für Kite knapp zwölf Mrd. USD, was einen Aufschlag von fast 30% bedeutet. Doch dem Markt war schon länger klar, dass dem Hepatitis-C-Spezialisten nichts anderes übrigbleibt, als Geschäft zuzukaufen. Dabei wird die Übernahme von Kite Pharma die Umsatzverluste bei Hepatitis C nur zum Teil kompensieren können. Deshalb wird Gilead voraussichtlich weitere Zukäufe tätigen. Der Konzern ist zudem beileibe nicht der einzige, dem der Nachschub an Blockbuster-Medikamenten ausgeht.

Big Pharma geht immer mehr Geschäft verloren

Medical Strategy: Patentabläufe 2012-2021 (Quelle: IMS Outlook for global Medicines through 2021)

Bei fast allen großen Pharma-Unternehmen laufen Patente aus. Ist das der Fall, sorgen Nachahmer-Medikamente (Generika) schnell dafür, dass bei den ursprünglichen Platzhirschen Umsätze und Margen verloren gehen. Alleine in den USA haben sich 2015 durch Patentabläufe Verkaufserlöse in Höhe von fast 15 Mrd. USD in Luft aufgelöst. Nach knapp 17 Mrd. im vergangenen Jahr könnten 2017 die Umsatzverluste durch Patentabläufe auf mehr als 27 Mrd. USD steigen.

Wie groß der Druck auf Big Pharma ist, innovative Therapien zuzukaufen, zeigt folgende Entwicklung: Von 2005 bis 2015 ist der Marktanteil der 15 größten Pharma-Unternehmen der Welt von 61,4 auf 53,7% gefallen. Gleichzeitig verfügen die großen Pharma- und Biotech-Konzerne jedoch über enorme Mengen an Barmitteln, die sie für M&A-Deals einsetzen können. Insgesamt könnten sie 420 Mrd. USD Cash für Unternehmenskäufe ausgeben.

Damit könnten die großen Arzneimittelhersteller den gesamten Small- und Mid-Cap-Bereich des Bio-Pharma-Sektors zweimal übernehmen. Denn die Marktkapitalisierung der Werte aus der zweiten und dritten Reihe summiert sich gerade einmal auf 190 Mrd. USD. Doch gerade hier befinden sich die meisten aussichtsreichen Therapien in der Entwicklung.

Zurückhaltung bei M&A könnte sich bald auflösen

Bislang hatte Big Pharma auf steuerliche Erleichterungen gehofft. US-Präsident Donald Trump wollte eigentlich den Steuersatz für im Ausland erwirtschaftete Gewinne deutlich senken, wenn diese in die USA zurücktransferiert werden. Im Gespräch war ein Steuersatz von zehn bis 15, statt der 35%, die bislang gelten. Dabei geht es um enorme Mengen an Kapital, das für Investitionen bzw. M&A-Aktivitäten eingesetzt werden könnte. Laut Schätzungen bunkern die 16 größten amerikanischen Pharma- und Biotechkonzerne mehr als 140 Mrd. USD außerhalb der USA. Doch Trump liefert nicht. Er hat bisher keines seiner Vorhaben um- beziehungsweise durchgesetzt – weder die Reform von Obamacare, noch den Mauerausbau an der Grenze zu Mexiko. Das dies gerade bei der komplexen Steuerreform gelingt, scheint fraglich. Vor diesem Hintergrund könnten sich neben Gilead weitere Konzerne entscheiden, nicht mehr auf Trump zu warten und schon bald Zukäufe zu tätigen. Es ist sehr gut möglich, dass Gilead den Startschuss zur nächsten M&A-Welle im Bio-Pharma-Bereich gegeben hat.

 

Zum Autor

Mario Linimeier, Medical Strategy: „Trump liefert nicht!“ Quelle: Medical Strategy

 

Der Betriebswirt und Molekularbiologe Mario Linimeier ist seit 2013 bei der Fondsboutique Medical Strategy als Healthcare-Analyst tätig, seit 2017 als Geschäftsführer. Zuvor arbeitete er für eine große, international tätige Unternehmensberatung.

 

 

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