Bildnachweis: RA Matthias Höreth.

Zwei lange harte Jahre ohne Präsenz-Hauptversammlung verlangen dem geneigten HV-Junkie so einiges ab. Keine Reisen durch die ganze Republik, keine Naturaldividende, keine exaltierten Auftritte, kein persönlicher Kontakt, keine HV-Atmosphäre.

Noch in der HV-Saison 2020 hieß es seitens der Emittenten regelmäßig, man werde so schnell es die Pandemie irgend erlaube zur Präsenz-HV zurückkehren, man vermisse den persönlichen Kontakt mit den Aktionären und man könne sich gar nicht vorstellen, künftig in einem rein virtuellen Format zu tagen. Bereits 2021 wurden allerdings die Krokodilstränen merklich trockener und die Stimmen immer lauter, die das aus der Notstandsgesetzgebung geborene Format als tauglich, hilfreich, die Antwortqualität als wesentlich verbessert bezeichneten und sogleich auf eine Übersetzung in die Nachpandemiezeit drängten.

Kaum verwunderlich, waren doch die zum Teil unangenehmen oder gar lästigen Wortbeiträge von Aktionären komplett ausgeblendet und die Aktionärsfragen auf ein Vorab-Textformat reduziert; Geschäftsordnungsanträge waren überhaupt nicht zugelassen und die gesamte Veranstaltung vollständig vorhersehbar und planbar, bis hin zur fixen Buchung der Rückreisetickets der Verwaltung.

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Umso überraschender, dass die Deutsche Telekom AG am 1. März 2022 zu einer Präsenzhauptversammlung einlud, die am 7. April 2022 im World Conference Center Bonn um 10:00 Uhr beginnen sollte. Angesichts unklarer Pandemielage und weiterhin fortbestehender virtueller Option war dies sicherlich eine mutige Entscheidung, mit der die Verwaltung deutlich machte, dass der unmittelbare Aktionärskontakt für sie gerade kein Lippenbekenntnis darstellt, sondern hieran ein echtes Interesse besteht.

Zu bedenken ist hierbei, dass es verantwortungsvoller HV-Organisation entspricht, dass sich die Verwaltung in solch unklaren Fällen mindestens bis zur Übermittlung der Einberufung an den Bundesanzeiger beide Optionen offenhalten sollte, d.h. bis zu diesem Zeitpunkt im Grunde zwei Formate parallel organisiert – mit den entsprechenden Aufwänden. Auch dies ist nicht gerade selbstverständlich.

Verschärfungen der Pandemielage traten indes nicht ein, es erfolgte keine Absage, am 7. April 2022 fand die erste große Präsenzhauptversammlung nach der Pandemie statt. Ca. 5.000 Aktionärinnen und Aktionäre bzw. deren Vertreterinnen und Vertreter hatten sich angemeldet, etwa 1.200 Personen waren in der Bundestadt Bonn am Sitz der Deutsche Telekom AG erschienen.

Bild: RA Matthias Höreth

In den wenigen Präsenzhauptversammlungen während der Pandemie hatten HV-Organisatoren und Kongressbetreiber eine Vielzahl von Hygienemaßnahmen entwickelt. Man durfte nach Entschärfung des Bundesinfektionsschutzgesetzes nunmehr gespannt sein, welche Maßnahmen auf Grundlage des Hausrechts in dem von der Telekom organisierten Format umgesetzt wurden. Im Ergebnis waren lediglich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgängig maskiert, Aktionärinnen und Aktionären war die Benutzung von Masken freigestellt, Speisen waren in nachhaltiger Weise gesondert abgepackt und einige Desinfektionsmittelständer waren mehr oder minder auffällig an neuralgischen Stellen platziert. Letztlich ein angenehm unauffälliges und unaufgeregtes Set-up.

Auch sonst fühlte man sich gleich wieder zu Hause: Magentafarbene Fahnen, Promotion-Busse vor der Tür, die unvermeidlichen Sicherheitskontrollen und die EDV-Registrierung des Zugangs sind klassische Merkmale, die man bei einer Telekom-HV ebenso erwarten kann wie das hochprofessionelle Bühnenbild, die Präsentation oder auch das Catering sowie den sympathischen Einsatz von Auszubildenden als Wegweiser und Hilfskräfte. Natürlich fand eine Tonübertragung in den gesamten Präsenzbereich und auch in die Toiletten statt, und selbst an Gebärdendolmetscher wurde gedacht. Geradezu überflüssig anzufügen, dass neben der Präsenz-HV auch eine vollständige Übertragung der Hauptversammlung ohne jede Zugangsbeschränkung ins Internet erfolgte.

Die Tim-Höttges-und-Ulrich-Lehner-Show

Nach der Eröffnung durch den langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Dr. Ulrich Lehner und einem kurzen Werbefilm begrüßte der Vorstandsvorsitzende Tim Höttges die Aktionäre aus einem auf der Bühne aufgebauten ICE-Sitz. Direkt daneben erinnerte das bunte Modell einer Bahnlinie mit Tunnel und Hund an die gute alte Knoff-Hoff-Show mit Joachim Bublath. Natürlich hielt es den Vorsitzenden nicht lange in seinem Sessel: Wie gewohnt lieferte er eine agile Bühnenshow, wobei er den direkten Draht zum Auditorium sichtlich genoss.

Als Endkundengesellschaft nutzt die Telekom von jeher auch die Hauptversammlung zur Produktpräsentation und Darstellung der aktuellen Innovationen.

Diesmal stand die Präsentation unter dem Motto Stabilität. Aus der gigantischen Investitionssumme von 19 Mrd. EUR in diesem Jahr, davon 6 Mrd. in Deutschland, gehen z.B. 140 Mio. EUR in das Projekt „Schwarzer Schäferhund“, mit dem die Telekom ein lückenloses 5G-Netz in alle Schienennetze darstellen will – ohne weiße Flecken.

Ein anderes Projekt betrifft die Warnung vor Katastrophen mittels Cell Broadcast, welche automatisch auf alle Mobiltelefone im Einzugsbereich aufgespielt wird. Diese anlässlich der Flutkatastrophe im Ahrtal entwickelte Warnübertragung soll bereits ab Anfang September 2022 zur Verfügung stehen. Damit sei die Telekom aber auch in der Lage, anderen zu helfen, wenn es darauf ankomme. Nach Höttges gehörten ­unternehmerischer Erfolg und gesellschaftlicher Mehrwert zusammen.

Analog zu den Roadshows von Apple verkündete der CEO am Ende seiner Ausführungen „one more little thing“: Es handelte sich hierbei jedoch nicht um eine Produktpräsentation, sondern um eine Laudatio auf den scheidenden Aufsichtsratschef Prof. Dr. Ulrich Lehner, der in 14 Jahren in keiner der 342 Sitzungen des Aufsichtsrats gefehlt hatte und der die warmen Abschiedsworte sichtlich gerührt und unter dem tosenden Applaus des Auditoriums entgegennahm. Er konnte sich dann allerdings auch „die Bemerkung nicht verkneifen, heute wird verdammt viel geklatscht“.

Lebendige Debatte

Nach dem eher formalistischen Bericht des Aufsichtsrats – dieser wurde mal wieder fast wörtlich verlesen – startete eine umfangreiche, lebendige Debatte.

Die Anzahl der Wortmeldungen erforderte bereits zu Beginn der Debatte einen Appell zur Redezeitbegrenzung von zehn Minuten, im späteren Verlauf wurde hieraus – wenig überraschend – eine strikte Redezeitbegrenzung.

Institutionelle Investoren waren u.a. durch Hendrik Schmidt, DWS, und Ingo Speich, Deka Investment, vertreten.

Sowohl vonseiten der institutionellen Investoren als auch der Aktionärsvereinigung und nicht zuletzt der Kleinaktionäre wurde die Entscheidung zum Präsenzformat einhellig begrüßt.

Kritische Fragen erhoben sich neben inhaltlichen Themen wie etwa dem Verkauf der Funkturm GmbH z.B. insbesondere zur Governance des Aufsichtsrats: Allenthalben kritisiert wurde das Vorhaben, den seinerzeit noch amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Post AG, Dr. Frank Appel, noch vor Auslaufen seines Vertrags nicht nur zum Aufsichtsrat zu bestellen, sondern ihm auch sogleich den Vorsitz anzutragen. Dass fast alle Mitglieder des Prüfungsausschusses zur aktuellen Versammlung ausschieden, ließ die Frage zur Nachfolgeplanung im Aufsichtsrat aufkommen.

Aus der Riege der sattsam bekannten HV-Dauerteilnehmer war auch Wilm Diedrich Müller aus Neuenburg an der Bullenmeersbäke angereist, welcher es sich natürlich nicht nehmen ließ, das Wort zu ergreifen, und mit seinem üblichen skurril-sympathischen Beitrag für Abwechslung zwischen den sonst eher fachbezogenen Ausführungen sorgte.

Obgleich der Versammlungsleiter darum bat, konkrete Kundenanfragen nicht auf der Hauptversammlung, sondern in den dafür zuständigen Kundencentern zu platzieren, mussten einige wenige Kleinaktionäre dennoch die Termine für die Glasfaserversorgung in einem hessischen Dörfchen und alle möglichen hiermit verbundenen Themen anbringen.

Auch nicht zu vermeiden waren neben den Gegenanträgen auch einige wenige alternative Aufsichtsratskandidaturen, womit in diesen Aktionärsbeiträgen die Vorstellung ihrer eigenen Personen und die Darlegung ihrer persönlichen Eignung durch sie selbst erfolgten.

Natürlich ist die Versammlungsleitung bei einer Vielzahl von Wortmeldungen und entsprechenden Beiträgen durchaus eine Herausforderung. Die Debatte wurde durch den Aufsichtsratsvorsitzenden jedoch souverän und gekonnt orchestriert, sodass dieser Aspekt eigentlich nur eine Rolle spielen kann, wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender das für die Leitung einer großen HV erforderliche persönliche Standing nicht mitbringt bzw. erwirbt. Hinsichtlich allzu fernliegender Beiträge fand der Versammlungsleiter mitunter auch recht deutliche Worte: „Herr…, Ihr Vortrag ist für diese Versammlung unzumutbar.“

Vor Eintritt in die Abstimmungen erbat der Versammlungsleiter von den Antragstellern die Rücknahme der Anträge auf Einzelentlastung, worauf die Aktionäre tatsächlich eingingen.

Während zur vorherigen virtuellen HV ca. 550 Fragen eingereicht worden waren, dürfte sich die Anzahl der Fragen in der Präsenz-HV auf etwas mehr als die Hälfte reduziert haben.

Vor merklich geleertem Saal wurde die Debatte­ nach Beendigung der Fragenbeantwortung gegen 18:15 Uhr geschlossen.

Bei der Telekom wird mittels Tablet abgestimmt. Bild: RA Matthias Höreth

Abstimmungen mittels Tablet

Aufgrund des Großaktionärs verfügt die Deutsche Telekom seit jeher über stabile Aktionärsverhältnisse: Zur Abstimmung waren knapp über 70 % des Grundkapitals anwesend.

Bei den Abstimmungen waren noch ca. 200 Aktionäre und Aktionärsvertreter im Saal, sodass die Abstimmungen mittels Tablets zügig und präzise abgewickelt werden konnten.

Die alternativen Wahlvorschläge wurden dergestalt behandelt, dass zuerst über den aussichtsreichsten Antrag – also den jeweiligen Verwaltungsvorschlag – abgestimmt wurde, womit sich die anderen Anträge erübrigt hatten.

Die Stimmergebnisse dürften insgesamt keine Überraschung dargestellt haben – dank Bundesrepublik Deutschland als Großaktionär gingen alle Tagesordnungspunkte problemlos durch, auch die etwas umstrittene Wahl des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden und die Beschlussfassung über die Billigung des Vergütungsberichts. Die Versammlung endete gegen 19:30 Uhr.

Fazit

Im Ergebnis kann man die Telekom-Hauptversammlung in Präsenz wahrlich als äußerst gelungene Veranstaltung bezeichnen, die die Risiken hinsichtlich einer Coronainfektion in Übereinstimmung mit den geltenden Regeln reduzierte und ansonsten einen perfekten aktienrechtlichen Rahmen für die alljährliche Zusammenkunft der Aktionärinnen und ­Aktionäre bot. Zeitaufwand und Fragen hielten sich ebenso in Grenzen wie die zwar ­vorhandenen, aber doch in erträglichem Rahmen bleibenden exaltierten Auftritte.

Autor/Autorin

Gastautor Matthias Höreth
Matthias Höreth

Matthias Höreth ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Hauptversammlung.