Bildnachweis: ©blende11.photo – stock.adobe.com, GPM.

Als vor eineinhalb Jahren die Pandemie über uns hereinbrach, erfuhr die Digitalisierung vielerlei Aspekte des gesellschaftlichen und des wirtschaftlichen Lebens einen enormen Schub. Der Bereich der Hauptversammlungen ist dabei nur einer von ­vielen. Dennoch wird über kaum ein Thema in diesem Kontext emotionaler diskutiert: Denn während andernorts – etwa im Bankwesen oder im Einzelhandel – die zunehmende Digitalisierung als positive Weiterentwicklung gesehen wird, gibt es bei der Hauptversammlung auch Stimmen, die gerne die Uhr zurückdrehen möchten, um sich wieder ausschließlich physisch zu treffen.

Dabei ist es keineswegs so, dass im März 2020 sämtliche Unternehmen auf dem linken Bein erwischt wurden. Manche haben bereits intensiv an der Digitalisierung ihrer Hauptversammlung gearbeitet – nicht mit dem Ziel, auf eine Pandemie vorbereitet zu sein, sondern um den Aktionären eine einfachere Teilnahme zu erlauben, um ihrem Nachhaltigkeits­anspruch nachzukommen oder um ihre ­digitale Reife zu erhöhen.

Zu diesen Unternehmen gehört etwa die Raiffeisenbank International (RBI). „Als 2020 die Coronapandemie unseren Alltag dominierte und die Hauptversammlung erstmals virtuell stattfinden sollte, hatten wir bereits einen signifikanten technischen Vorsprung. Wir hatten ­bereits alle möglichen technischen Raffinessen ausgeschöpft“, sagt Golnaz Miremadi, die im Group Executive Office der RBI federführend für die Organisation der HVs ­verantwortlich ist. Es war bereits eine ­Abstimmung per Tablet implementiert, ­genauso wie ein verbessertes Backoffice, das die Antworten auf die Fragen der ­Aktionäre in digitaler Form aufbereitet. Ebenso gab es schon ein interaktives HV-Portal, das mit geringem Aufwand auf die digitale HV umgestellt werden konnte.

Lesen Sie hier unsere IPO Analysen.

Bei der EQS Group aus München waren selbst diese geringen Umstellungen nicht erforderlich – das Regtechunternehmen für cloudbasierte Softwareprodukte hatte nämlich schon lange vor Corona die HV ­digitalisiert. „Wir bieten die Online-HV ­bereits seit nahezu zehn Jahren zusätzlich zur Präsenzveranstaltung an“, erklärt CFO André Silvério Marques. Sowohl die Erfahrungen des ­Unternehmens als auch das Feedback der Aktionäre ist dabei her­vorragend. Die Teilnahmequote steigt jährlich.

Aktionärsrechte können auch digital gewahrt werden

„Mit der virtuellen Hauptversammlung ­haben wir sehr gute Erfahrungen ­gemacht“, meint auch Miremadi von der RBI. „Wir sind im Grunde davon überzeugt, dass die Zukunft der Hauptversammlung mit den neuen Möglichkeiten der Technologie auch fortschreitend ­digitaler sein wird.“ Selbst ohne Corona möchte die RBI ihre Aktionäre in die Lage versetzen, virtuell ihre Rechte wahrzunehmen.

Miremadi ist der Ansicht, dass diese Aktionärsrechte in der digitalen Sphäre ebenso gewahrt werden können wie in der physischen – eine Einschätzung, die nicht von jedermann geteilt wird. So vertritt etwa der Deutsche Fondsverband (BVI) die Meinung, dass durch virtuelle HVs die Rechte der Aktionäre sowie die Funktion der Hauptversammlung als Kontrollorgan zu stark beschnitten würde.

In dieser Argumentation schwingt die Annahme mit, dass eine digitale oder ­hybride Hauptversammlung Aktionäre ­automatisch schlechter stellen würde. ­Angesichts der digitalen Möglichkeiten, die etwa ein HV-Portal bietet, ist das allerdings nicht nachvollziehbar. Das rührt letztlich daher, dass der Gesetzgeber zu Beginn der Pandemie schnell reagieren musste und in den immer noch gültigen „Notgesetzen“ der Aspekt der Modernisierung der HV noch nicht eingeflossen ist. Beschränkungen der Aktionärsrechte durch das virtuelle Format – wie eingeschränktes Fragerecht oder die Abgabe von Kompetenzen an Stimmrechtsver­treter – sind nicht in Stein gemeißelt.

Von solcherlei Einengungen oder der Vermeidung einer Onlinedebatte hält Marques nichts: „Wir stehen aus Überzeugung für eine transparente und offene Kommunikation mit unseren Investoren. Dies schafft Vertrauen – das wichtigste ­Kapital, das ein Unternehmen von seinen Stakeholdern erhalten kann. Das Live-­Fragerecht bestand immer und wir sind der Meinung, dass die Debatte ein Herzstück jeder HV ist.“

Die Digitalisierung der HV ist aktiver Klimaschutz

Ein nicht unwesentlicher Aspekt pro ­digitale HV ist laut Miremadi das Thema Klima- und Umweltschutz: „Dazu zählt auch, die Hauptversammlung ‚grüner‘ zu gestalten, um jedem Aktionär zu ermög­lichen, die teils langen Anfahrtswege zu minimieren. Die Aktionäre müssen nicht extra nach Wien reisen, sparen Zeit und Kosten und können sich von überall aus bequem per Internet zuschalten.“

Insgesamt ist Miremadi angenehm überrascht von der aktiven Nutzung der digitalen Optionen durch die Anteils­eigner und die vielen positiven Rück­meldungen. Hinzu kommt, dass die RBI als Unternehmen damit zusätzliche Aktionärsgruppen erreicht, die zuvor aufgrund von Distanzen nie an einer Hauptversammlung teilgenommen haben. „Daraus ergibt sich die Chance“, so Miremadi, „die Hauptversammlung als neue Austauschplattform zu etablieren.“

Aktuell leidet die RBI – wie alle anderen österreichischen Unternehmen – unter der gegebenen Rechtsunsicherheit. Während Deutschland die Regelung zur Abhaltung digitaler HVs bereits bis August 2022 verlängert hat, steht dieser Schritt in ­Österreich noch aus. Aktuell sind daher alle Unternehmen gezwungen, zweigleisig zu planen.

Wie geht es weiter: digital oder physisch?

In welche Richtung der Weg nach Corona führt, hängt nicht zuletzt von der Gesetzgebung ab. Es gilt, die gesetzlichen ­Rahmenbedingungen entsprechend zu ­gestalten, sodass auch eine Art Mittelweg zwischen der bisherigen Tradition und dem Schritt gen völlige Digitalisierung möglich ist.

Wahrscheinlich liegt die Zukunft der Hauptversammlung in einer hybriden ­Lösung, bei der Elemente aus „beiden ­Welten“ bestmöglich kombiniert werden. Jeder Aktionär kann dann für sich entscheiden, ob er live teilnimmt oder den Aufsichtsrat vom Sofa aus entlastet. Eine Rückkehr zur klassischen physischen HV sieht Miremadi nicht als erstrebenswertes Ziel: „Eine reine Präsenzveranstaltung ohne virtuelle Teilnahme würde nicht nur dem Digitalisierungsgedanken widersprechen, sondern wäre auch nicht besonders aktionärsfreundlich.“

Was in der digitalen Sphäre aber durchaus fehlt – wie Miremadi einräumt –, ist der persönliche Austausch, die Live-­Atmosphäre eines Events vor Ort. Bei der EQS Group hat man allerdings auch dafür eine Lösung: Der CEO des Unternehmens, Achim Weick, verbrachte die Stunden vor der letzten HV damit, Kuchen persönlich an die Aktionäre auszuliefern. Anstatt des traditionellen Kuchenbuffets der ­Präsenzveranstaltung gab es dann eben ein „echtes“ Kuchenessen im virtuellen Rahmen.

Autor/Autorin

Mario Offenhuber