Befinden sich die Börsen in einem Bärenmarkt, wie in den letzten Jahren seit Mitte 2000, so kann man, vorausgesetzt man hat die technischen und rechtlichen Möglichkeiten dazu, mit dem Leerverkauf von Aktien ein paar Euro / Dollar extra machen. Es ist im Prinzip nichts anderes als Aktien billig zu kaufen und teuer wieder zu verkaufen (was jeder gerne tut, doch selten schafft), nur eben chronologisch umgekehrt: teuer verkaufen, billiger zurückkaufen.

Das Problem mit diesem verflixten Jahr 2003 ist allerdings, daß nicht klar ist, ob wir uns nur in einer perfiden Bärenmarktrallye befinden oder aber bereits in einem neuen Bullenmarkt. Per Definition ist letzteres bereits der Fall, denn dazu gehören laut Daumenregel 20 % Kursgewinn, und die haben praktisch alle Märkte schon seit Mai für sich vereinnahmt. Seitdem geht es munter weiter, doch viele zweifeln, andere warnen unablässig. Mit anderen Worten: Es herrscht totale Unklarheit, was man von dieser Frühling-Sommer-Herbst-Rallye, quasi eine durchgehende Dreijahreszeitenrallye, halten soll.

US-Aktien zu shorten war bislang eine der schlechtesten Ideen in diesem Jahr. Die beliebtesten Angriffsziele sind wie üblich Microsoft, Intel und Cisco. Die beiden letzten sind absurd überbewertet und sollten eigentlich nicht besonders gut performen. Natürlich ist genau das Gegenteil der Fall. Die meisten Aktien werden nicht gekauft, weil die Bewertung stimmig ist, sondern weil andere Börsenteilnehmer diese Aktien auch kaufen.

Offenbar haben einige Shortseller ihren Zenit überschritten, will sagen: Sie haben sich verrechnet. Denn wie eine Untersuchung vom Finanzberatungsservice MotleyFool ergab, haben die zehn meist gehorteten US-Aktien im laufenden Jahr eine unglaubliche Überperformance an den Tag gelegt. Alle zehn liegen im Plus. Unter ihnen: Amazon +138 %, Charter Communication +251 %, Yahoo +100 % oder Applied Materials +54 %. Im Vergleich dazu hat der S&P seit Jahresbeginn „nur“ 14 % eingefahren.

Die 20 meistgeshorteten US-Titel brachten seit Jahresbeginn 78 % im Durchschnitt ein, die 20 meistgehaltenen (also beliebtesten) brachten 31 %. Das alles spricht nun nicht gerade für die berühmte Markteffizienz. Und auch nicht für die Vermutung, daß Anleger dazulernen. Aber beides waren wohl ohnehin nur Argumente für einen Bullenmarkt, mit denen man höhere Kursniveaus rechtfertigen wollte, wie es bis Anfang 2000 ja auch gelang. Wir sind gespannt, welche interessanten neuen Erklärungsansätze für das derzeitige Marktniveau in den kommenden Wochen aufkommen.

Die GoingPublic Kolumne erscheint zweimal wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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