Bildnachweis: Foto: © Nasdaq Nordic.

Der Krieg um die Ukraine ist bei Russlands skandinavischen Nachbarn ein bedrohliches Thema. Dennoch halten mehr Unternehmen an ihren IPO-Plänen an nordischen Börsen fest als anderswo. Ein Gespräch über Vielfalt, Synergien und Marken sowie die große Relevanz staatlicher Absicherung vor den Auswirkungen des Energiepreisschocks.

GoingPublic: Wir leben in Zeiten multipler Krisen. Beim Thema IPO winken viele Unternehmen, Private-Equity-Investoren und auch Berater in Deutschland/Europa ab. Das ist an der skandinavischen Gemeinschaftsbörse Nasdaq Nordic weniger der Fall – was läuft da anders?

Adam Kostyál: Die nordischen Aktienmärkte zeichnen sich durch eine hohe Widerstandsfähigkeit aus und verfügen über eine starke Kapitalbasis mit zuversichtlichen Anlegern, weshalb wir sehr froh sind, hier zu agieren. Wir haben eine starke ­Basis institutioneller und privater Investoren, die auch in stürmischeren Börsenzeiten Kapital bereitstellen. Dies ist zum Teil auch auf die attraktive Steuerpolitik zurückzuführen, die kurz- und langfristige Aktieninvestitionen am Kapitalmarkt unterstützt. Ein weiteres Merkmal unserer nordischen Märkte sind unsere Wachstumsbörsen, die den Unternehmen Anreize bieten, sich schrittweise an den Aktienmarkt heranzutasten, um schließlich mit zunehmender Reife auf einen unserer Hauptmärkte zu wechseln.

Das Kriegsgeschehen in der Ukraine ist näher dran an Skandinavien denn an Zentraleuropa. Dennoch scheint die Stimmung am Markt weniger pessimistisch als an zentraleuropäischen Marktplätzen. Woran liegt das?

Auch wir sind natürlich nicht immun gegen das geopolitische und makroökonomische Umfeld, das derzeit die Aktienmärkte beeinflusst. Dies wirkt sich auf die Stimmung und die ökonomische Lage der nordischen Länder aus. Wir sehen jedoch nach wie vor eine sehr starke Unterstützung und Nachfrage an den Kapitalmärkten bei privaten und institutionellen Anlegern, was es den KMU ermöglicht, sich über die Kapitalmärkte zu finanzieren.

Wie viele echte IPOs gab es bisher anno 2022 und welche werden noch heuer erwartet?

Bislang haben wir 33 IPOs an unseren nordischen und baltischen Börsen durchgeführt. Viele Unternehmen mit IPO-Plänen haben sich entschieden, auf bessere Rahmenbedingungen zu warten. Wir haben eine gut gefüllte, solide Pipeline von Unternehmen, die sowohl an unseren Wachstums- als auch an unseren Hauptmärkten an die Börse gehen wollen.

Wie unterscheiden sich die Listingkriterien an der Nasdaq Nordic von denen anderer europäischer Börsenplätze und jenen in Frankfurt?

Was die Anforderungen an die Börsennotierung betrifft, so sind die Hauptmärkte der Nasdaq und unsere europäischen Wettbewerber sehr ähnlich, da hier meist reife Unternehmen gelistet sind. Auch die Anforderungen der Nasdaq First North ähneln denen des Scale-Segments der Deutschen Börse. Der Hauptunterschied besteht jedoch darin, dass wir einen sehr dynamischen Aktienmarkt im Norden haben. Dort werden KMU- und Wachstumsunternehmen aktiv von privaten und institutionellen Investoren mit Kapital unterstützt als Alternative zu anderen Finanzierungsmöglichkeiten, z.B. Private Equity und Angel-Investoren.

Die meisten Unternehmen, die an unseren First-North-Growth-Märkten notiert sind, erhalten nicht nur Zugang zu Kapital, sondern auch mehr Visibilität, Glaubwürdigkeit und Transparenz. Das sind wichtige Voraussetzungen, um weiter zu wachsen. Zudem sind die Anforderungen an der Nasdaq First North stärker auf die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen zugeschnitten. Investoren erhalten die Möglichkeit, sich frühzeitig am Wachstum dieser Unternehmen zu beteiligen. Diese Dynamik kommt nicht nur den Unternehmern und Eigentümern des Unternehmens zugute, sondern auch der Wirtschaft insgesamt. Die Aktienkultur ist sehr stark ausgeprägt bei uns.

Welche Rolle spielt ggf. auch der Markenname „Nasdaq“ bei der Anziehungskraft des nordeuropäischen Börsensegments?

Die Marke Nasdaq steht für eine lange Tradition mit einem soliden Aktienmarkt, an dem eine beachtliche Anzahl von Unternehmen notiert ist – sowohl hier in Europa als auch in den USA. Wir geben Unternehmen die Wahl zwischen einer Vielzahl an Segmenten und Märkten. So können sich junge Unternehmen zunächst an ihrer lokalen Wachstumsbörse listen lassen und, sobald sie ­gewachsen sind, sich schließlich für eine Notierung an einem unserer Hauptmärkte – einschließlich der USA – entscheiden.

Die Unternehmen profitieren dabei nicht nur von der Kapitalaufnahme bei einer Börsennotierung. Auch bringt ein Börsenlisting wie gesagt mehr Sichtbarkeit, Glaubwürdigkeit, Transparenz und Liquidität – das haben inzwischen immer mehr Unternehmen erkannt. Die Marke Nasdaq macht den Unterschied: sowohl bei der Ansprache von Kunden, Partnern und bei der Personalbeschaffung als natürlich auch bei der Kapitalbeschaffung.

Mit welchen Börsenplätzen konkurrieren Sie hauptsächlich, mit welchen können Sie sich auch eine Kooperation vorstellen und in welcher Art?

Eine hauptsächliche Konkurrenz sehen wir darin, sich überhaupt nicht zu listen. Privates Kapital in Form von Risikokapital oder privatem Beteiligungskapital ist zu einer immer stärkeren Alternative zum IPO geworden. Aus unserer Sicht ist es aber wichtig, den Unternehmen die Möglichkeiten aufzuzeigen, welche Vorteile eine Börsennotierung hat. Dies haben wir in den nordischen Ländern erfolgreich auf glaubwürdige und zugängliche Weise etabliert.

Durch die Größenvorteile, welche die Nasdaq bietet, ergeben sich hohe Synergien, weshalb wir unseren Kunden einzigartige Lösungen wie Handelsprodukte und Doppelnotierungen anbieten können. Es hat sich zwar als schwierig erwiesen, Partnerschaften zu definieren, aber langfristig arbeiten wir als Börsen zusammen, um die Standards zu setzen und sicherzustellen, dass die Märkte gut zugänglich sind.

Es gibt auch Beispiele, bei denen wir mit anderen Börsen partnerschaftlich zusammenarbeiten, etwa bei der Doppelnotiz von TRATON SE und Media and Games Invest. Beide sind sowohl an der Nasdaq Stockholm als auch an der Frankfurter Börse notiert, weshalb sie einen größeren Investorenkreis adressieren können.

Welche Auswirkungen werden die erwartbaren Gas- und Energieengpässe auf das Börsengeschehen haben?
Welche Eisbrecher könnten ggf. die Lage am IPO-Markt entspannen bzw. wieder Hoffnung aufkeimen lassen?

Abgesehen von den Inflationsaussichten hat die Krise definitiv zu einer echten wirtschaftlichen Unsicherheit in Europa geführt. Sobald die Krise überwunden ist, wird auch das Vertrauen der Anleger wieder zurückkehren. Wir sind froh, in Ländern tätig zu sein, die Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung und Begrenzung finanzieller Folgen der Krise ergriffen haben. So wird die Liquidität der Energie­unternehmen in Skandinavien sichergestellt.

Herr Kostyál, vielen Dank für diese interessanten Einblicke.

Das Interview führte Simone Boehringer.

ZUR PERSON

Adam Kostyál verantwortet als Senior Vice President und Head of Listing Services das IPO-Geschäft Europa bei der Nasdaq Nordic. Das Unternehmen umfasst die Börsen in Kopenhagen, Stockholm, Helsinki, Island, Riga und Vilnius und ist Teil der Nasdaq Inc., USA.

http://www.nasdaqomxnordic.com/

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