Der schwedische Elektroautohersteller Polestar steht schon länger in den Startblöcken für die Börse. Das Unternehmen, vom schwedischen Autobauer Volvo Cars und der chinesischen Geely Holding 2017 gegründet, hat zu diesem Zweck 2021 mit der bereits NASDAQ-notierten Special Purpose Acquisition Company (SPAC) Gores Guggenheim fusioniert. Nun kann Polestar unter dem SPAC-Mantel folgen: Das entsprechende File F-4 zur Registrierung ist eingereicht und die Anteilseigner werden am 22. Juni über das Listing abstimmen. GoingPublic hat im Vorfeld mit der Managerin ­gesprochen, die das ­Nachhaltigkeitskonzept von Polestar verantwortet – ­eines der wichtigsten Themen, mit denen Polestar sich von anderen Elektrowagenanbietern unterscheiden will.

Diesen und weitere Artikel finden Sie in der brandneuen Ausgabe des GoingPublic Magazins 02-22. Die Ausgabe können Sie sich kostenfrei downloaden.

GoingPublic: Frau Klarén, erst Möbel, dann Kleidung und nun wollen Sie die Autoindustrie nachhaltiger gestalten – was reizt Sie an so vielen Branchenwechseln in verhältnismäßig kurzer Zeit?

Fredrika Klarén: Mein Ziel ist es, Unternehmen ­aufzubauen, die als Katalysatoren für ­Fortschritt und nachhaltige Entwicklung wirken können. Ich schätze die unterschiedlichen Perspektiven, die ich im ­Laufe der Jahre durch die Arbeit in verschiedenen Branchen und Unternehmen gewonnen habe. Wir brauchen einen ­stärkeren branchenübergreifenden Austausch von Ideen, um das erforderliche Maß an Innovation und Aktion zu erreichen. Polestar hat es sich zur Aufgabe ­gemacht, die drei Kernkompetenzen Design, Innovation und Nachhaltigkeit zu nutzen, um eine neue Ära der Elektromobilität einzuläuten und eine kollaborative, offene Kultur zu fördern. Meine Aufgabe ist es, den Ehrgeiz und die kreative Energie rund um das Thema Nachhaltigkeit bei Polestar zu kanalisieren und sie in Wirkung und Handeln umzusetzen.

Gibt es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner, auf den sich Nachhaltigkeits­ambitionen in verschiedenen Branchen zurückführen lassen?

Klarén: Ich denke, das, worauf wir uns bei ­Polestar konzentrieren, spiegelt wider, was auch in anderen Branchen getan werden muss. Die Verwendung von Rohstoffen ist die Hauptursache für so viele negative Auswirkungen auf Mensch und Natur. Die ­Erforschung und Entwicklung innovativer und kreislauffähiger Materialien birgt ein enormes Potenzial und wird großen Mehrwert schaffen. Die Rückverfolgbarkeit der Lieferkette birgt ebenfalls großes Poten­zial für uns alle und ist ein Schwerpunkt bei Polestar. Wir entwickeln z.B. Möglichkeiten zur Nutzung der Blockchain, um Korruption und Intransparenz in den Liefer­ketten von Mineralien zu bekämpfen. Um den Wandel zu beschleunigen, ist es auch wichtig, Verbraucher über alle Branchen hinweg einzubeziehen. Die Gestaltung schöner, sicherer und nachhaltiger Produkte sowie eine hohe Transparenz der Unternehmen können erheblich dazu beitragen, die nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen. Unsere Produktnachhaltig­keits­erklä­rungen sind ein Beispiel dafür, wie wir dies auf eine Art und Weise nutzen, an die die Autonutzer vielleicht noch nicht so gewöhnt sind.

Es wird viel über die sogenannte CO2-Neutralität gesprochen. Sie treten bei Polestar an, um genau dies zu erreichen, ein CO2-neutrales Auto auf den Markt zu bringen. Wie soll das funktionieren, wo doch der Abbau der nötigen Rohstoffe wie Lithium und Kobalt alles andere als nachhaltig ist? Der Wasserverbrauch zur Gewinnung der begehrten Rohware ist riesig, ganz zu schweigen von den ­Umweltschäden und Arbeitsbedingungen, unter denen der Abbau in manchen Teilen der Erde erfolgt.

Klarén: Das ist in der Tat unsere Herausforderung und etwas, auf das wir mit unserer Strategie bei Polestar abzielen. Wir müssen ­einen schnellen, aber gleichzeitig gerechten Übergang zur elektrifizierten Mobilität ermöglichen, bei dem wir sowohl Klima­neutralität, nachhaltige Ressourcennutzung als auch faire und sichere Arbeits­bedingungen schaffen. Diese Ziele sind nicht ohne Konflikte zu erreichen, aber es entstehen noch mehr Synergien. Wir wissen, die Auswahl der richtigen Lieferanten und die Gewährleistung einer größeren Transparenz in der Lieferkette sind entscheidend. Und wir stellen strenge Anforderungen an unsere Lieferanten in Bezug auf Ethik, Umwelt und Transparenz.

Wie sehen diese Anforderungen aus – können Sie ein Beispiel geben?

Klarén: Unsere Strategie zielt auf die Kreislaufwirtschaft bei Batterien ab, weil wir damit diese Synergien wirklich ausschöpfen können. Indem wir beispielsweise den ­Einsatz von wiederverwendeten und recycelten Materialien erhöhen und die Verschmutzung und den Abfall aus den Minen reduzieren, können wir den Druck auf die Communitys vor Ort entlang der Liefer­ketten verringern, sodass sie widerstandsfähige Gemeinschaften aufbauen können und ihre Rechte geschützt werden, z.B. ­faire Arbeitsplätze und Zugang zu den ­natürlichen lokalen Ressourcen.

Was denken Sie: Wird es als börsen­notiertes Unternehmen generell ­schwerer, Nachhaltigkeitsziele zu ­erreichen, oder vielleicht sogar leichter?

Klarén: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Investorengemeinschaft ihre ­Finanzmittel von den auf fossilen Brennstoffen basierenden, unethischen und nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen auf ihre nachhaltigen Gegenstücke lenkt. Wir, die wir für eine Lösung stehen, die nachhaltig werden kann, brauchen Mittel und Investitionen, die wir für Skalierung, ­Forschung, Entwicklung und Innovation nutzen können. Für Polestar ist der ­Zugang zu Investoren entscheidend für unseren Weg, und wir freuen uns sehr über das ­Interesse und die Unterstützung, die wir bereits erfahren. Es ist klar, dass die ­Investmentcommunity stärker und zu ­einer großen Kraft für das Gute wird.

Vor dem Hintergrund des Ukraine­konflikts und der damit verbundenen Embargopolitik der Europäischen Union könnte neben Benzin auch der Strom bald knapp werden, wenn auf Öl und Gas aus Russland aus politischen Gründen verzichtet werden muss und somit die Stromversorgung in Teilen Europas gefährdet ist. Gibt es schon einen Plan B, wie nachhaltige Mobilität alternativ aussehen könnte, wenn „Stromtanken“ womöglich auch zum Engpass wird?

Klarén: Wir verfolgen die Situation in der Ukraine aufmerksam und sind tief besorgt um die Menschen, die von dem Konflikt betroffen sind. Natürlich prüfen wir auch die ­Auswirkungen des Konflikts auf unser ­Geschäft und den möglichen Handlungsbedarf. Er unterstreicht etwas, dessen wir uns schon seit Langem bewusst sind – dass die Welt mehr tun muss, um einen schnelleren Übergang von der Mobilität mit fossilen Brennstoffen zur Elektromobilität zu ermöglichen, insbesondere durch den Aufbau robusterer und effizienterer Energiesysteme und die radikale Steigerung der Stromerzeugung aus erneuer­baren Energien. Wir wissen, dass dies ­sowohl die globale politische Stabilität als auch den Klimaschutz fördern wird. ­Dieser Zusammenhang war noch nie so deutlich wie heute.

Forscht Polestar auch zu Alternativen zum Batterieauto?

Klarén: In der Klimakrise muss jetzt gehandelt werden. Keine andere Technologie kann das leisten, was der batteriebetriebene Antrieb leisten kann. Er ist eine skalierbare Klimalösung, die jetzt umgesetzt werden kann. Wir sind von den Vorteilen des ­batteriebetriebenen Antriebs absolut überzeugt und konzentrieren uns in allen Programmen darauf. Wir sind jedoch der Meinung, dass Wasserstoff als Antrieb für andere Arten von Transportmitteln und für die Stahlerzeugung wichtig sein wird.

Last but not least: Frau Klarén, Hand aufs Herz – schaffen Sie es selbst bereits, in Teilen Ihres Lebens wirklich CO2-­neutral zu sein? Welches Gefühl haben Sie dabei? Und wo ist es besonders schwer, nachhaltig und klimaneutral zu handeln?

Klarén: Nachhaltigkeit in den Alltag zu integrieren ist natürlich eine Herausforderung – für ­jeden. Aber wir können so viel tun. Wir ­haben z.B. vor ein paar Jahren einen ­Klimaaktionsplan für unsere Familie ­erstellt. Für mich ist es wichtig, meinen Kindern zu zeigen, dass wir die notwendigen Veränderungen vornehmen und dass sie und wir als Familie etwas tun können. Eine Konsequenz ist, dass wir seit fast zehn Jahren ausschließlich Elektroautos fahren und nur noch erneuerbare Ener­gien nutzen. Und wenn ich einkaufe, stelle ich Fragen, etwa nach dem CO2-Fuß­abdruck des Produkts und woher das ­Material stammt. Wenn ich keine zufriedenstellenden Antworten erhalte, stimme ich mit meinem Geldbeutel ab. Dies ist vielleicht die wirksamste Maßnahme, die wir ergreifen können. Als Wähler und ­Verbraucher sind wir alle Akteure des Wandels. Wir sollten uns alle dadurch ­bestärkt fühlen.

Frau Klarén, vielen Dank für Ihre interessanten Einblicke.

Das Interview führte Simone Boehringer.

https://www.polestar.com/de

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