Haftungsfragen kommen für Unternehmen, Vorstände und Versicherer häufig einem Drahtseilakt gleich.

 

Markus English, Manager Financial Lines, ACE European Group

D&O-Versicherungen sind bei börsennotierten Unternehmen weit verbreitet, um ihre Vorstände und Aufsichtsräte vor Ansprüchen bei Pflichtverletzungen zu schützen. Im Interview mit dem GoingPublic Magazin gibt Markus English, Manager beim Versicherungskonzern ACE, Auskunft zu Ausgestaltung, Ausuferungen und Trends bei D&O-Versicherungen.

GoingPublic: Herr English, was sollte eine gute D&O-Versicherung abdecken?

English: Grundsätzlich handelt es sich bei der D&O-Versicherung um eine Vermögensschaden-Haftpflicht-Versicherung. Das ist eine übliche Deckung für Pflichtverletzungen des Unternehmensleiters. Diese Pflichtverletzungen sind legal definiert im Aktien- bzw. GmbH-Gesetz und bedeuten nichts anderes, als die Sorgfalten eines ordentlichen Kaufmanns außer Acht zu lassen. Zudem stellt sich die Frage, ob sich der Unternehmensleiter rechtfertigen kann, weil er z.B. eine Geschäftsentscheidung unter Zeitdruck fällen musste. Da hilft ihm die sogenannte Business Judgement Rule. Wenn er aber wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommen wird, haftet er gegenüber dem Unternehmen für den entstandenen Schaden. Hier kommt die D&O-Versicherung ins Spiel. Sie prüft zunächst, ob der Anspruch gerechtfertigt ist, und bezahlt den Schaden.

GoingPublic: Häufig hat man aber den Eindruck, es wird deutlich mehr versichert …

English: Was auf dem Markt für D&O-Versicherungen außerdem an Gimmicks angeboten wird – bis hin zum Medikamentenversand für in Untersuchungshaft sitzende Vorstandsvorsitzende unter psychiatrischer Betreuung –, gehört da überhaupt nicht rein. Ich glaube, dass wir zurück zu den Ursprüngen sollten.

GoingPublic: Die Verjährungsfrist in der Managerhaftung ist kürzlich verlängert worden. Hat das Auswirkungen auf die Ausgestaltung der D&O-Versicherungen?

English: Diese Verlängerung hat zu Diskussionen geführt, ob die Nachhaftungsfristen für D&O-Versicherungen analog zu den Verjährungsfristen laufen müssen. Meiner Meinung nach ist das jedoch nicht notwendig, weil die Police auf dem Anspruchserhebungsprinzip basiert und dadurch die Pflichtverletzungen der Vergangenheit versichert. Es kommt darauf an, wann der Anspruch geltend gemacht wird. Zu diesem Zeitpunkt muss eine D&O-Versicherung existieren. Das bedeutet allerdings auch, dass es nach Beendigung der Police keinen Deckungsschutz mehr gibt – es sei denn, man kauft ihn sich ein. Ansonsten würde der Versicherer einen unendlichen Zeitraum – in der Vergangenheit und in der Zukunft – für ein einziges Jahr Prämie abdecken. Die Fristverlängerung war für viele Makler ein Einfallstor, prämienfrei oder für sehr kleine Prämien entsprechende Anmeldefristen zu verlangen, die dann angeblich analog zu den Verjährungsfristen laufen. Als die D&O-Versicherung in den 90er Jahren in Deutschland flächendeckend eingeführt wurde, gab es ja bereits eine 5-jährige Verjährungs-, jedoch keine Nachhaftungsfrist.

GoingPublic: Wie verbreitet sind D&O-Versicherungen inzwischen bei deutschen börsennotierten Unternehmen?

English: Nahezu alle börsennotierten Unternehmen haben inzwischen eine D&O.

GoingPublic: … und insgesamt?

English: Klassische, nicht börsennotierte Familienunternehmen verfügen in der Regel über keine D&O-Versicherung, weil sie die Notwendigkeit nicht sehen. Das ändert sich allerdings schlagartig meist dann, wenn ein Nicht-Familienmitglied in die Geschäftsführung berufen wird. Die Manager haben inzwischen ein Risikobewusstsein entwickelt und wollen eine Deckung haben.

GoingPublic: Welche Personengruppen sollten eine D&O-Versicherung abschließen?

English: Eine D&O-Versicherung ist nur für die Personengruppen gedacht, die laut Gesetz auch haftbar gemacht werden können. Das sind der Vorstand und der Aufsichtsrat. Alle anderen Managementebenen benötigen nur dann eine entsprechende Versicherung, wenn sie z.B. für Tochtergesellschaften als Haftende im Handelsregister eingetragen sind. Die Erweiterung auf leitende Angestellte, für die lediglich die privilegierte Arbeitnehmerhaftung greift, hat sich als reiner Gimmick erwiesen. Das ist jedoch ohne Substanz.

Die Verjährungsfrist bei Pflichtverletzungen ist auf zehn Jahre verlängert worden.

GoingPublic: Es gab in den letzten Jahren eine Reihe von Compliance-Verstößen bei deutschen Unternehmen, in deren Zuge es zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen kam. Wie ist hier die Rolle der D&O-Versicherung?

English: Die D&O deckt immer nur den Anspruch eines Vermögensschadens. Wenn die Staatsanwaltschaft wegen eines anderen Delikts ermittelt, ist die Frage, ob das zu einem Vermögensschaden führt, der unter die D&O-Versicherung fällt. Beim berühmten Siemens-Fall war die D&O-Deckung durchaus ein Thema. Zunächst waren hier zwar alle Delikte vorsätzlich und strafrechtlich zu behandeln. In der Folge kann es aber schnell zu Vermögensschäden kommen, bei denen die D&O-Deckung einspringt.

GoingPublic: Wie sinnvoll ist eine Selbstbehaltversicherung?

English: Die Frage ist, ob die Selbstbehaltsregelung überhaupt sinnvoll ist. Sie wurde kurz vor der Bundestagswahl 2009 von der Großen Koalition eingeführt, in der Hoffnung, der Bevölkerung zu zeigen, dass die Politik in der Finanzkrise etwas gegen die gierigen Manager tut. Allerdings fehlte der Mut, die Regelung so zu gestalten, dass die Manager von ihrem gesamten Jahresgehalt 10% tragen müssen. Der Selbstbehalt ist lediglich auf den fixen Anteil bezogen. Die Vorstände von Großkonzernen, bei denen ein Großteil ihrer Bezahlung variabel bemessen ist, sind davon also gar nicht so stark betroffen – obwohl die Politik genau auf diese abgezielt hat. Man ließ jedoch außer Acht, dass es auch sehr kleine Aktiengesellschaften mit einer Bilanzsumme von 1 Mio. EUR gibt. Hier verdient der Vorstand vielleicht 120.000 EUR, davon 100.000 EUR fix. Für den ist die Deckung wichtig.

GoingPublic: Es gibt inzwischen viele Anbieter von D&O-Versicherungen. Worauf sollten Unternehmen bei der Auswahl achten?

English: Ein international tätiges Unternehmen sollte sich einen Versicherer suchen, der ebenfalls ein internationales Netzwerk hat. So wird er in Ländern, für die der deutsche Versicherungsschutz nicht gilt, über Lokalpolicen versichert. Bei diesen internationalen Häusern sollte man aber darauf achten, ob sie über eine deutsche Schadensbearbeitung verfügen. Natürlich ist auch die Erfahrung und Beständigkeit des Teams im D&O-Bereich wichtig. Nicht zuletzt spielt die Finanzstärke der Versicherung eine nicht unerhebliche Rolle – zumindest bei großen Deckungssummen.

GoingPublic: Herr English, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Oliver Bönig.

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