Versammlungsleiter soll Themen sortieren

Aktionäre sind zugleich auch Kunden, Konsumenten und/oder Mitarbeiter. Als solche unterscheiden sie nicht immer präzise, ob ihre persönlichen Themen durch das Auskunftsrecht auf der Hauptversammlung abgedeckt sind. „Das Ziel muss sein, die moderne HV zu fokussieren und zu professionalisieren bzw. moderner

Die abgelaufene HV-Saison fand unter den besonderen Bedingungen einer Notgesetzgebung statt.

zu gestalten. Dies ist nicht das Gleiche wie die Beschneidung von Aktionärsrechten!“, so Bommers klare Meinung. „Die sich aus den genannten Themen ergebenden Fragen müssen grundsätzlich und rechtssicher beantwortet werden. Was nicht davon abhängen darf, ob eine HV virtuell oder physisch abgehalten wird.“

Tüngler plädiert hingegen für die Fokussierung der Hauptversammlung und der Diskussion auf die wesentlichen Themen und die Tagesordnung. „Ob ein von der Zugspitze abgesendeter Brief tatsächlich auf der Hallig Hooge angekommen ist, mag für den einzelnen Betroffenen relevant sein, auf der Hauptversammlung bedarf es aber keiner Sendungsverfolgung. Hier waren und sind die Versammlungsleiter aufgerufen, die Themen zu sortieren und einzugreifen, wenn die Wortbeiträge in die falsche Richtung gehen.“ Dies gilt sowohl für die virtuelle als auch die Präsenz-HV. Für ihn ist entscheidend: „Auch auf virtuellen Hauptversammlungen wird es zukünftig Wortmeldungen geben müssen. Denn die virtuelle Hauptversammlung bedeutet ja nicht, dass das Rederecht eingeschränkt wird. Dies gilt nur in Zeiten der COVID-Notgesetzgebung.“

Vor allem im Hinblick auf das Inkrafttreten von ARUG II wünscht sich auch Dr. Bannier eine stärkere Fokussierung und Professionalisierung. Die Hauptversammlung wird künftig wichtige Themengebiete behandeln müssen, insbesondere die Struktur der Vorstandsvergütung betreffend. Um hier die – wenngleich nur beratende – Funktion auf der HV sinnvoll ausüben zu können, hält sie es für unerlässlich, „dass die Aktionäre sich mit dem Unternehmen befassen und von der Verwaltung die dazu notwendigen Informationen verständlich und qualitativ hochwertig bereitgestellt werden“. Zudem weist sie auf die wachsende gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit hin sowie darauf, dass dies sicherlich in den kommenden Jahren sowohl die Verwaltung als auch die Aktionäre beschäftigen wird. „Da dies ein komplexer und vielschichtiger Bereich ist, der die Unternehmen an unterschiedlichen Stellen tangiert – Strategie, Finanzen, Kommunikation –, ist ein professioneller Umgang und ein entsprechend professioneller Austausch auf der HV damit unabdingbar“, erwartet Dr. Bannier.

Beim Auftritt der NROs scheiden sich die Geister

Auch beim Auftritt von Nichtregierungsorganisationen (NROs) auf Hauptversammlungen zeigt sich das Spannungsverhältnis der juristischen zur kommunikationsorientierten Betrachtungsweise. Zwar können Informationen von NROs wertvoll für die Willensbildung von Aktionären sein; dennoch halten Dr. Bannier und Bommer die Hauptversammlung nicht für den richtigen Ort für deren Auftritt. Demgegenüber vertritt Dr. Fleing eine integrative Haltung: „Kann es Ziel sein, Auftritte von NGOs zu unterbinden? Kluge Unternehmensführung sollte die Interessen von Shareholdern und Stakeholdern ausgewogen berücksichtigen. Wo dies im unternehmerischen Handeln gelingt, da stellt sich immer wieder heraus, dass es dem Unternehmenserfolg und den Aktionären nützt, die Anliegen der Stakeholder ernst zu nehmen.“

Tüngler hält es für einen Fehlschluss zu glauben, dass die Beschränkung des Rederechts NROs davon abhalten könnte, ihre Botschaften an die Aktionäre zu bringen: „Ich denke, es ist gefährlich zu unterstellen, dass die NROs nicht ausreichend organisiert sind, um auch hier einen Weg zu finden, sich eine Plattform zu bereiten. Wie bereits voranstehend gesagt, wird auch das Rederecht auf der virtuellen Hauptversammlung, sofern sie denn zukünftig überhaupt eine relevante Rolle spielt, nicht eingeschränkt werden können. Insofern ist die Frage zu stellen, ob denn ein Video auf einer Hauptversammlungsplattform, das mehrere Wochen und vielleicht Jahre gezeigt werden muss, besser ist als ein begrenzter Wortbeitrag auf einer Präsenzhauptversammlung.“ Dufner bestätigt seine These: „Wie in den Vorjahren haben meine Kolleginnen und Kollegen und ich an rund 40 Hauptversammlungen teilgenommen – bei Siemens, thyssenkrupp, TUI und Aurubis waren es noch Präsenzversammlungen, zu denen wir hingefahren und auf denen wir gesprochen haben. Bei allen anderen, wie Bayer, BMW, Daimler, Rheinmetall und RWE haben wir zusätzlich zur Onlineteilnahme Proteste vor den Konzernzentralen organisiert. In Essen gab es während der virtuellen Hauptversammlung vor der RWE-Zentrale ein dreistündiges Programm mit Reden, künstlerischen Performances und musikalischen Beiträgen.“

Fazit

Die abgelaufene Hauptversammlungssaison fand unter den besonderen Bedingungen einer Notgesetzgebung statt. Daher sind die Erfahrungen daraus nur wenig übertragbar auf eine modernere Ausgestaltung von Aktionärstreffen. Für Dr. Fleing ist jedoch ein Anfang gemacht, über den die Emittenten intensiver beraten sollten: „Sofern Digitalisierung auch Demokratisierung bedeutet, kann die Aktienkultur gewinnen. Der Zugang zu einer virtuellen HV und damit die Wahrnehmung der Aktionärsrechte ist generell einfacher und bequemer. Gilt dies auch hinsichtlich der Interaktion, des Dialogs zwischen Aktionären und Management? Dazu müssen wir Erfahrungen sammeln und austauschen. Es wäre gut, wenn die Unternehmen, die bisher bereits interaktive Onlineformate erprobt haben, über ihre Erfahrungen breiter berichten.“

Dr. Charlotte Brigitte Looß

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung. und wird am 10.Oktober in unserem HV-Magazin erscheinen.