Die Politik hat den Börsengang wiederentdeckt. So nennt die Europäische Kommission den Börsengang als ein Element ihrer Kapitalmarktunion, die den Kapitalmarktzugang von kleinen und mittleren Unternehmen erleichtern soll. In Deutschland hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, den Börsengang für innovative und wachstumsstarke Unternehmen zu stärken. Von Dr. Norbert Kuhn

Dr. Norbert Kuhn, DAI
Dr. Norbert Kuhn, DAI

Dieser Ansatz ist richtig, denn ein funktionierender Markt für Börsengänge leistet einen wichtigen Beitrag für Wachstum und Beschäftigung. Dies zeigen die Ergebnisse einer breit angelegten US-Studie: Demnach erfolgen 92 Prozent des Beschäftigungsaufbaus in einem Unternehmen nach einem Börsengang.
Doch obwohl sich das wirtschaftliche Umfeld in Deutschland in den letzten Jahren hervorragend entwickelt und sich der DAX seit der Finanzkrise mehr als verdoppelt hat, stockt der „Wachstumsmotor Börsengang“ seit Jahren. Börsenneulinge sind in Deutschland rar. Anders dagegen in den USA. Alleine in den Jahren 2012 und 2013 war die Zahl der US-Börsengänge fast 30-mal so hoch wie in Deutschland.

Markt 2.0 ist nicht die Lösung des Problems
Woran liegt es, dass es in Deutschland so wenige Börsengänge gibt? Das Fehlen eines Börsensegmentes „Markt 2.0“, das von der Bundesregierung als Wunderwaffe gepriesen wird, ist jedenfalls kein Grund. Für jedes börsenreife Unternehmen gibt es bereits heute in Deutschland ein passendes Börsensegment. Das haben Unternehmen wie Zalando und Rocket Internet gezeigt, die sich im vergangenen Jahr für unterschiedliche Segmente an der Börse entschieden haben.
Die Gründe für die geringe IPO-Tätigkeit sind viel tiefgreifender. Gerade bei großen, etablierten Mittelständlern, die grundsätzlich für einen Börsengang in Frage kämen, fehlt häufig der Wille zum Börsengang. Hier hält sich hartnäckig das Missverständnis, dass der Unternehmer nach dem Gang auf das Parkett jede strategische Entscheidung gegenüber seinen Investoren rechtfertigen muss.
Hinzu kommt eine umfassende, detaillierte Regulierung von börsennotierten Unternehmen, die die Attraktivität der Börsennotiz im Vergleich zu anderen Finanzierungswegen deutlich verringert. Dazu gehören restriktive Bestimmungen zur Vorstandsvergütung, Einschränkungen bei der Besetzung des Aufsichtsrats (z.B. das „cooling off“ für ehemalige Vorstandsvorsitzende) und verlängerte Verjährungsfristen bei der Organhaftung, um nur einige der Vorschriften zu nennen.

„Pool“ an innovativen Unternehmen für die Börse heben
Im Gegensatz zu den etablierten Mittelständlern weisen junge, innovative Unternehmen aus dem Technologiebereich hingegen eine hohe Börsenaffinität auf. Die Börse ist ab einem bestimmten Punkt im Lebenszyklus der logische Finanzierungsweg. Die Unternehmensgründer haben bereits verschiedene Runden mit Beteiligungskapitalgebern durchlaufen und sind daher den Dialog mit den Investoren zu wichtigen strategischen Entscheidungen gewohnt.
Dieses Potenzial an Unternehmen muss für die Börse gehoben werden. Wichtig ist dabei eine kritische Masse an innovativen Unternehmen, die für einen ausreichend langen Kurszettel sorgen, um so als Benchmark für nachfolgende Unternehmen mit ähnlichem Geschäftsmodell in Frage zu kommen. Je mehr dieser Unternehmen an der Börse notiert sind, desto leichter fällt der Börsengang den Nachfolgern. Daher müssen auch die Rahmenbedingungen zur Bereitstellung von vorbörslichem Wachstumskapital verbessert werden, welches aus einem Start-up einen Börsenkandidaten macht. Hier spielen insbesondere die steuerlichen Voraussetzungen, beispielsweise die bislang eingeschränkte Möglichkeit, Verluste vorzutragen, eine Rolle.
In diesem Zusammenhang muss auch bedenklich stimmen, dass innovative Unternehmen wie der 3D-Druckerhersteller Voxeljet oder das Biotech-Unternehmen Innocoll nicht in Deutschland an die Börse gingen, sondern ihr Heil an den US-Börsenplätzen suchen. Ein wesentlicher Grund hierfür ist offensichtlich, dass es in den USA genügend institutionelle Investoren gibt, die auf diese Art von Unternehmen spezialisiert sind. Diese Investoren können die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle abschätzen und sind deswegen bereit, Aktien aus dem Börsengang zu zeichnen.

Risikokapital privater Anleger für Börsengänge mobilisieren
Solche Investoren in Deutschland zu finden, ist sehr viel schwerer. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass es nicht gelingt, die Deutschen für die Aktienanlage und das Engagement an der Börse zu begeistern. Obwohl die deutsche Bevölkerung mit 5 Billionen Euro Geldvermögen über mehr Geld als je zuvor verfügt, schlummert dieses zu einem großen Teil in Sparbriefen oder auf dem Tagesgeldkonto. Nur etwa 7% der Summe fließen in Aktien. Damit ist natürlich auch die Nachfrage nach Fondsvehikeln, die sich auf die Finanzierung innovativer Unternehmen spezialisieren, äußerst gering. Wo keine Nachfrage, da auch kein Angebot.
Anders dagegen in den USA: Amerikanische Haushalte haben im Rahmen ihrer Altersvorsorge Geld in Höhe von fast dem Anderthalbfachen des US-Bruttoinlandsprodukts in Kapitalmarktprodukte wie Aktien amerikanischer Unternehmen gesteckt. Dies spiegelt sich auch am Aktienanteil des Geldvermögens der US-Bürger wider: Er liegt bei 35%. Das Beispiel USA zeigt aber auch, dass es durchaus möglich ist, die Menschen für den Kapitalmarkt zu begeistern und damit Wachstum und Innovationen der Unternehmen zu finanzieren.

Fazit
In Deutschland müssen intelligente Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass private Anleger mehr Risiko wagen. Nur so kann es gelingen, zusätzliches Kapital für Börsengänge zu mobilisieren. Der Ausbau der privaten Altersvorsorge hin zu mehr Kapitaldeckung mit Aktien und die Abschaffung der Diskriminierung der Aktienanlage im Rahmen der Abgeltungsteuer sind erste Schritte auf diesem Weg. Außerdem muss die Attraktivität der Börsennotiz durch eine angemessene Regulierung erhöht werden. Schließlich muss die Politik durch einen angemessenen Rahmen ihren Beitrag leisten, dass innovative Unternehmen im Vorfeld des Börsengangs genügend Beteiligungskapital erhalten, denn nur so können sie sich überhaupt von einem Start-up zu einem Börsenkandidaten entwickeln.

Zum Autor
Dr. Norbert Kuhn arbeitet seit 2006 beim Deutschen Aktieninstitut e.V. und verantwortet dort den Bereich Unternehmensfinanzierung. Er hat Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft studiert.

Der Beitrag erschien zuerst im GoingPublic Corporate Finance&Private Equity Guide im März.

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