Verstaubte Akten oder ­Digitalisierungsboom?

Wo steht die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland? Eine Einordnung aus Corporate-Finance-Sicht

Nationale Nischenlösungen

Als natürliche Entry Barrier fungiert bisher das national geprägte regulatorische Markt­umfeld, in dem sich vor allem lokale Start-ups und Unternehmen mit innovativen digitalen Produktlösungen für einzelne Elemente der Wertschöpfungs- und Behandlungskette entwickeln (Digitalisierung als Pull-Faktor). Diese Unternehmen wirken dabei als disruptive Impulsgeber für den digitalen Wandel. Etablierte Gesundheitsunternehmen sehen zwar die Notwendigkeit zur Digitalisierung, können jedoch häufig mit der innovativen Dynamik von Start-ups nicht mithalten bzw. scheuen die notwendigen Investitionen.

Zusätzlich entdecken vermehrt internationale Technologieunternehmen mit Schwerpunkt auf Datenanalyse wie Google und Amazon das weltweite Gesundheitswesen für sich und versuchen, vom niedrigen Grad der Digitalisierung zu profitieren (Digitalisierung als Push-Faktor). Durch die weltweit heterogenen regulatorischen Rahmenbedin­gungen sind Lösungsansätze in Deutschland jedoch bisher sehr begrenzt anwendbar.

Alle Anbieter eint die Herausforderung der Skalierbarkeit der (zumeist Nischen-)Lösungen über heterogene nationale Binnenmärkte hinaus.

Wachstumsfinanzierung und M&A

Bei der Digitalisierung spielen Investoren eine wesentliche Rolle. Eine Analyse von 186 Transaktionen seit 2016 zeigt eine deutliche Verteilung zugunsten von Wachstumsfinanzierungen (72%) auf. Derzeit ist der Markt aufgrund der verhältnismäßig frühen Entwicklungsphase primär von Start-ups geprägt, welche im Rahmen von teils mehreren Finanzierungsrunden Kapital durchschnittlich im unteren einstelligen Millionenbereich für weiteres Wachstum aufnehmen. Entsprechend gering ist daher oft die Visibilität dieser Transaktionen im Markt.

Jene deutschen Unternehmen, welche besonders viele oder große Finanzierungen erhalten haben, eint der Fokus auf Softwarelösungen sowie auf eine Nische mit ­hohem Skalierungspotenzial wie Molecular Health, die 2017 von Dievini Hopp BioTech eine Finanzierung über 40,0 Mio. EUR erhalten hat. Die Firma bietet mithilfe von Big Data eine cloudbasierte Plattform und analysiert molekulare sowie klinische Daten von Patienten zur Optimierung von Diagnose- oder Therapieentscheidungen.

Erst mit einem zunehmenden Reifegrad der Unternehmen steigt das Interesse strategischer und klassischer Finanzinvestoren an einem Kauf/Buy-out. So hat 2016 der ­Klinikbetreiber Asklepios 40% am Hersteller von Krankenhausinformationssystemen Meierhofer übernommen, die wiederum 2017 in samedi als führenden Entwickler von Softwarelösungen für Prozessmanagement und Terminorganisation konsolidierte. Andere Beispiele sind der (mehrheitliche) Erwerb von MediFox durch Hg Capital oder der Versandapotheke medpex durch die Zu-Rose-Gruppe.

Fazit

Für die Zukunft erwarten wir mit der fortschreitenden technologischen Entwicklung und zunehmenden Digitalisierung einen deutlichen Anstieg von M&A-Transaktionen. Viele sich derzeit noch in der Start-up- und Entwicklungsphase befindliche Unternehmen werden – vor allem flankiert durch Kundennachfrage und politische Initiativen – eine kritische Größe und einen kritischen Reifegrad für den Verkauf durch Gründer und Wachstumskapitalgeber erlangen. Demgegenüber stehen Innovationsdruck und Wachstumspotenzial auf Käuferseite als Treiber für M&A-Aktivitäten. Vor allem mittelständische Gesundheitsunternehmen sehen im Erwerb von Unternehmen mit digitalen Lösungen die Möglichkeit eines Know-how-Transfers zur Umsetzung der eigenen Digitalisierung, während klassische Finanz­investoren auf die (internationale) Skalierbarkeit der Geschäftsmodelle und Konsolidierung des Marktes setzen.

ZUM AUTOR

Thomas Klack ist Mitgründer und Managing Partner von ACXIT Capital Partners. ACXIT Capital Partners ist eine führende M&A-Boutique mit Hauptsitz in Frankfurt und einem dedizierten Healthcare-Team für Transaktionen im Gesundheitswesen.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.