Dr. Hans Bethge, Geschäftsführender Partner, Angermann M&A International GmbH

Das Konjunkturgefälle von Deutschland gegenüber dem Rest der Welt zeigt deutliche Spuren. Im M&A-Bereich sind diese besonders hinsichtlich der zunehmenden Akquisitionsneigung des deutschen Mittelstandes in Richtung Ausland zu erkennen. Die Entwicklung ist umso bemerkenswerter, wenn man berücksichtigt, dass die Transaktionszahlen Deutschlands bei einer Selektion nach grenzüberschreitenden Übernahmen in der Vergangenheit vergleichsweise bescheiden ausfielen. Wenn überhaupt, waren es die üblichen Verdächtigen aus dem Kreise der börsennotierten Großunternehmen, die regelmäßig mit Käufen im Ausland von sich reden machten.

Hohe Kaufpreise für deutsche Unternehmen

Doch „Tempora mutantur“. Jüngste Erkenntnisse sehen immer mehr einflussreiche Mittelständler auf dem Akquisitionstrail im Ausland. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Vor allem sind es die durch die Hochkonjunktur gefüllten Kriegskassen, die Anlagemöglichkeiten suchen. Dabei wird vielen Unternehmen bewusst, dass die Chancen, vor Ort strategisch attraktiv zu investieren, oft höhere Risiken bergen als im Ausland. Einerseits befindet sich der heimische Markt in vielen Bereichen bereits auf einem hohen Niveau und somit an der Sättigungsgrenze. Zum anderen lassen die zum Teil beträchtlichen Gewinne, die die Basis für die Multiples sind, die aufgerufenen Kaufpreise in bisher ungeahnte Höhen wachsen. Gerade in der langfristigen Renditeerwartung erscheint diese Unternehmenspreisentwicklung immer mehr heimischen Kaufinteressenten als prohibitiv.

Günstige Konditionen, überschaubare Risiken in der Eurozone

Anders fällt das Fazit hingegen beim Blick über die Grenzen aus. Durch die schwache Konjunkturlage sind mittlerweile außergewöhnliche Chancen entstanden, an die noch vor ein bis zwei Jahren niemand zu denken gewagt hätte. Für den deutschen Mittelstand trifft das vor allem auf die Eurozone zu, wo der Markteintritt ohnehin nicht sonderlich erschwert ist und eine einheitliche Währung Finanzströme erleichtert. Gerade auch die jetzt ins Gerede geratenen Staaten Südeuropas kommen in diesem Zusammenhang durchaus als ernstzunehmende Investitionsstandorte in Frage. Die dortigen Unternehmen sind zu vergleichsweise günstigen Konditionen zu erwerben und die Risiken sind durchaus überschaubar. Es ist allen Unkenrufen zum Trotz nicht mit einem Auseinanderbrechen der Eurozone zu rechnen. Stattdessen ist zu erwarten, dass die betroffenen Märkte zukünftig intensiver vor Spekulationen geschützt werden. Neben den geplanten Sparmaßnahmen wird es zudem verstärkt Impulse geben, die das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern unterstützen. Strategischen Investoren sollte jedoch bewusst sein, dass interessante Renditeszenarien sich dort naturgemäß eher im mittelfristigen als im kurzfristigen Zeitrahmen bewegen.

Mid-Market Forum in Berlin

Globalisierte Unternehmergeneration

Zusätzlich zu den Ländern der Eurozone rücken zudem immer mehr sogenannte Exoten für die hiesigen Mittelständler in den Vordergrund. Mit der Türkei befindet sich ein Land mit größtem Entwicklungspotenzial sogar unmittelbar vor der eigenen Haustür. Aber auch Länder in Asien, wie China, Indien, Vietnam, oder in Amerika, wie Brasilien und Mexiko, bieten durch Dynamik und Wachstumsphantasie starke Anreize. Generell macht sich zunehmend ein Abbau von Ressentiments und Berührungsängsten mit kulturverschiedenen Regionen im deutschen Mittelstand bemerkbar. Ursächlich hierfür dürfte die Übernahme von Führungsverantwortung durch eine jüngere Unternehmergeneration sein, die durch internationale Studien- und Ausbildungszeiten ihre globalen Erfahrungen in die Unternehmensstrategien einfließen lässt. Deutlich wurde diese Erkenntnis ganz besonders auf dem von M&A International Inc. veranstalteten Mid-Market Forum im Juni in Berlin.

Die rund 300 Teilnehmer diskutierten unter anderem intensiv über Akquisitionsstrategien deutscher Unternehmer im Ausland. Viele der M&A-Berater aus über 40 Nationen zeigten sich im Verlauf der Veranstaltung von der unerwartet hohen Nachfrage mittelständischer Unternehmen nach Investitionsmöglichkeiten im Ausland überrascht. Über fast alle Branchen hinweg ließ sich eine deutliche Belebung des Interesses gegenüber den Vorjahren feststellen. Im Gegensatz zu früher, als Unternehmensangebote aus dem Ausland auf wenig Nachfrage stießen, werden heute verstärkt Mandate mit dem Ziel vergeben, geeignete Akquisitionen im Ausland zu finden. Der zunehmende Druck, international zu kaufen, belebt den M&A-Markt spürbar. In den kommenden Monaten sind deshalb erhöhte grenzüberschreitende Transaktionszahlen eine realistische Prognose, von deren Eintreten insbesondere M&A-Berater mit globaler Präsenz stark profitieren dürften.

Fazit

Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass der Zeitpunkt für Akquisitionen im Ausland für den deutschen Mittelstand so günstig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung ist. Die Verunsicherung auf Seiten der Zielländer im Hinblick auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sowie das Schielen auf „deutsche Hilfen“ gibt auch in den Verhandlungen bei Übernahmen einen Startvorteil, der jedoch eher psychologischer Natur ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein Verhandlungsbeginn, bei dem der strategische Ansatz aus einer Position der Stärke heraus definiert werden kann, sich final auch in günstigen Verhandlungsergebnissen niederschlägt. Es liegt nun an den Unternehmen, die sich international bietenden Chancen zu nutzen, um so die notwendigen Strategieschritte für eine langfristige internationale Entwicklung zu gehen.

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