Möglichkeit des „Passierscheins“

Der Gesetzgeber hat als Reaktion auf die Probleme der Praxis das sogenannte Freigabeverfahren eingeführt. Kapitalmaßnahmen, Verschmelzungen, Squeeze-out – all diese Vorhaben werden erst wirksam, nachdem die zugehörigen Beschlüsse im Handelsregister eingetragen sind. Angefochtene Beschlüsse dürfen seitens des Registergerichts jedoch nicht ins Handelsregister eingetragen werden. Wird also eine Anfechtungsklage erhoben, könnte dies die Eintragung folglich über einen langen Zeitraum blockieren. Daher können Gesellschaften in dieser Situation ein Freigabeverfahren durchführen mit dem Ziel, dass das angerufene Gericht beschließt, dass die Maßnahme trotz laufender Anfechtungsklage eingetragen werden muss. Hierüber hat das zuständige OLG in drei Monaten zu entscheiden. Damit besteht rund fünf Monate nach der Hauptversammlung Rechtssicherheit. Eine solche Freigabe wird per se erteilt, wenn der Anfechtungskläger nicht wenigstens Aktien hält, die nominal EUR 1.000 entsprechen. Das hat in den letzten Jahren zahlreiche, aus der Vergangenheit bekannte „Trittbrettfahrer“ unter den Anfechtungsklägern zu seltenen Gästen in derartigen Verfahren werden lassen. Die „Schwergewichte“ stört das allerdings nicht, entsprechende Beteiligungen sind meistens vorhanden. Daneben ist einem Freigabeantrag auch dann stattzugeben, wenn die Nachteile für die AG und ihre anderen Aktionäre durch die Verzögerung, die ohne Freigabe entsteht, die Nachteile für die Anfechtungskläger überwiegen, es sei denn, es liegt im Zusammenhang mit dem jeweiligen Hauptversammlungsbeschluss ein besonders schwerer Rechtsverstoß vor. Dazu hat das OLG Hamm in einem von uns begleiteten Verfahren festgestellt, dass bei Maßnahmen, für die ein Spruchverfahren eröffnet ist, die Anfechtungskläger i.d.R. kaum erlittene Nachteile in die Waagschale werden werfen können. Denn vermeintliche „Schäden“ können sie im Spruchverfahren oder Schadensersatzklagen geltend machen. Damit verbleibt ihnen faktisch selbst dann kein Nachteil, wenn die Anfechtungsklage berechtigt war. Mit anderen Worten: Die Aussichten im Rahmen der Abwägung zu obsiegen, sind nach unserer Erfahrung – auch aus anderen Fällen – meistens recht gut.

Gründe über Gründe

Oft wird schon während der Hauptversammlung heftig darüber gestritten, ob alles „mit rechten Dingen“ zugeht und dies setzt sich im Anfechtungsverfahren fort. Eine Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn eine „Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“ vorliegt, § 243 AktG. Dies ist zunächst denkbar weit gefasst und ist ein wesentlicher Grund der „Angst vor der Anfechtungsklage“ und der Formalisierung der Hauptversammlung. Aber ist es wirklich so schlimm, wie es klingt? Die Rechtsprechung hat dies dahingehend konkretisiert, dass Verfahrensfehler nur dann beachtlich sind, wenn sie für das Beschlussergebnis relevant sind, d.h. aus Sicht eines objektiven Aktionärs eine Beeinträchtigung seiner Mitgliedschaftsrechte vorliegt. Auch gibt es viele Urteile aus den letzten Jahren, in denen beliebte Rügen von querulatorischen Aktionären für unbeachtlich erklärt worden sind. So stellte der BGH treffend fest, dass nirgendwo im Aktiengesetz steht, dass Vor- und Nebenräume wie Toiletten und Raucherecken beschallt werden müssen. Stellt der Aktionär fest, dass er in Nebenräumen der Versammlung nicht folgen kann, so muss er sich eben entscheiden, ob er in den Versammlungsraum zurückkehrt, um dem Verlauf folgen zu können oder es bevorzugt, im unbeschallten Catering-Bereich zu bleiben. Aktienrecht ist inhaltlich formal und wer sich damit nicht regelmäßig beschäftigt, kann schnell etwas Wesentliches übersehen. Jedoch wird der gesunde Menschenverstand auch von Richtern nicht zu Hause gelassen, zumal aufgrund der Konzentration von Anfechtungsverfahren bei einigen Gerichten sowie durch aufklärende Studien inzwischen meist gerichtlich bekannt ist, welche Kläger regelmäßig auftauchen und auf welche Weise versucht wird, Hauptversammlungen zum Scheitern zu bringen. Die Kultur der Übervorsicht, die oft zu sehr langatmigen Ausführungen mit vielen Doppelungen in den Leitfäden der Versammlungsleiter führt, entspricht nicht mehr in allen Punkten den Anforderungen der Rechtsprechung.

Zu den Autoren:
Dr. Thorsten Kuthe Rechtsanwalt, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln t.kuthe@heuking.de

Madeleine Zipperle Rechtsanwältin, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln m.zipperle@heuking.de