Steuerfreie Kursgewinne für Langfristinvestoren, Zusammenführung von staatlicher und privater Vorsorge in einer Pensions-App, mehr Finanzbildung für Jung und Alt: Die neue österreichische Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz hat sich viel vorgenommen, um die Teilhabe der Bürger am Kapitalmarkt zu stärken. In Deutschland passiert genau das Gegenteil. Von Christian W. Röhl

Angeführt von Finanzminister Olaf Scholz fährt die Große Koalition der Sozialkleptokraten eine massive Kampagne gegen Privatanleger und Vorsorgesparer. Die intensivste öffentliche Wahrnehmung erfährt dabei die sogenannte Finanztransaktionsteuer; diese sollte ursprünglich den Hochfrequenzhandel eindämmen und die Profispekulanten an den Kosten der Finanzkrise beteiligen.

In der digitalen Welt mit ihren globalen Kapitalströmen ist das freilich eine komplexe, multilaterale Herausforderung. Auf die hatten Scholz und sein aus der Frankfurter Chefetage von Goldman Sachs ins Ministerium an der Berliner Wilhelmstraße gewechselter Dr. Jörg Kukies keine Lust mehr. Weil man aber Geld für die Grundrente brauchte, wurde – mit Verzwergung kennt sich die SPD ja aus – aus der Finanztransaktionsteuer eine Aktienstrafsteuer.

Devisen und Derivate dürfen, so die bisherige Planung, weiterhin nach Herzenslust „hin- und hergedaddelt“ werden. Doch wehe, ein Privatanleger will eine Allianz, eine Siemens oder eine andere Aktie einer deutschen Firma mit mehr als 1 Mrd. EUR Börsenwert kaufen – dann will der Fiskus zugreifen. Im Gespräch sind für den Anfang 0,2% des Volumens, aber die Erfahrung lehrt: Ist eine Steuer erst mal eingeführt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schraube sukzessive weitergedreht wird.

Symbolbild Steuerbelastung. Quelle: Jakub Jirsák@stock.adobe.com
Steuerbelastung. Quelle: Jakub Jirsák@stock.adobe.com

Zugegeben – bis 1991 hatten wir in Deutschland sogar schon einmal eine 0,25%-ige Börsenumsatzsteuer auf Aktien. Allerdings waren Kursgewinne damals ab einer Haltedauer von mehr als zwölf Monaten steuerfrei und auf Dividenden gab’s eine Körperschaftsteuergutschrift. Solche Incentives für Langfristinvestoren sind heute hierzulande reine Utopie, denn während die Finanztransaktionsteuer heiß diskutiert und vielleicht durch 30 (zur Betonung noch mal in ausgeschriebener Form: dreißig!) EUR „Altersvorsorge-Pauschbetrag“ entschärft wird, hat Scholz – wohlgemerkt ohne Widerstand der Unionsparteien – an anderer Stelle längst Fakten geschaffen.

Erst wurden Kapitalerträge von der Abschaffung des Solidaritätszuschlags ausgenommen. Kurz vor Weihnachten, versteckt in einem Gesetz über grenzüberschreitende Steuergestaltung, wurde dann die Verlustverrechnung aufgedröselt. Verluste aus bestimmten Investitionen dürfen demnach teilweise bereits ab diesem Jahr, auf jeden Fall aber ab 2021 nur noch bis 10.000 EUR angerechnet werden – während Gewinne weiterhin voll der Steuer unterliegen. Für Privatanleger, die etwa ihr Aktienportfolio absichern oder Anleihen insolventer Emittenten halten, kann das bedeuten: Obwohl unter dem Strich Verluste angefallen sind, müssen Steuern abgeführt werden.

Was das noch mit der viel beschworenen Steuergerechtigkeit zu tun hat oder ob dahinter nicht eher das Staatsverständnis mittelalterlicher Wegelagerer steckt, wird womöglich das Bundesverfassungsgericht untersuchen müssen. Olaf Scholz reißt derweil die nächste Baustelle auf und lässt seine Beamten die Abschaffung der erst 2009 eingeführten Abgeltungsteuer prüfen. Ob für den Staat mehr herausspringt, wenn Kapitalerträge zwar mit dem persönlichen Grenzsteuersatz belegt, parallel aber auch wieder alle Werbungskosten angelegt werden, ist zweifelhaft – und gleichzeitig nebensächlich, denn an vorderster Front geht es um die ideologisch motivierte Stigmatisierung jeder Geldanlage jenseits des Nullzinssparbuchs.

Welch ein intellektueller Rückschritt, wenn man bedenkt, wie weitsichtig Sozialdemokraten früher waren. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung ist ein Thesenpapier des Gewerkschaftsführers und SPD-Ministers Georg Leber abrufbar, das nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand – Eine vordringliche Aufgabe unserer Zeit“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins.