Bei Sachanträgen

  • Kann über einen Sachantrag überhaupt abgestimmt werden oder ist er nicht mehr von der bekanntgemachten Tagesordnung gedeckt?
  • Wenn der Sachantrag in der Hauptversammlung behandelt werden kann, ist er vor oder nach dem Verwaltungsvorschlag abzustimmen?
  • Ist eine Aussprache über den Sachantrag erforderlich?
  • Gibt es unter mehreren zu einem Tagesordnungspunkt gestellten Sachanträgen einen inhaltlich weitergehenden und damit sinnvollerweise vorrangig zu behandelnden Sachantrag?
  • Welche Mehrheiten müssen erreicht werden und bestehen Stimmverbote?

Originäre Kompetenzen des Versammlungsleiters in Verfahrensfragen Aktionäre können nicht jedwede Verfahrensfrage zum Gegenstand einer Entscheidung der Hauptversammlung machen. Anerkannt ist vielmehr ein Bereich originärer Leitungs- und Ordnungsbefugnisse des Versammlungsleiters. Anträge von Aktionären, die diesen Bereich betreffen, sind nur als Anregung an den Versammlungsleiter zu verstehen, das Verfahren der Hauptversammlung in einer bestimmten Art und Weise zu gestalten. Als originäre Leitungskompetenzen sind u.a. anerkannt:

  • Festlegung der Reihenfolge der Redner in der Hauptversammlung,
  • Festlegung der Redezeit,
  • Entscheidung über die Führung eines stenografischen Protokolls bzw. der Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen
  • Unterbrechung und Schließung der Hauptversammlung (wobei allerdings zu klären ist, ob entsprechende Verlangen ggf. auf die Vertagung der HV abzielen).

Sofern eine Satzungsregelung bei der Gesellschaft vorhanden ist, die dem Versammlungsleiter die Befugnis verleiht, die Reihenfolge der Verhandlungsgegenstände sowie die Art und Form der Abstimmung zu bestimmen, sind der Entscheidung der Aktionäre zudem entzogen:

  • die Frage der Durchführung von offenen oder geheimen Abstimmungen,
  • die Bestimmung der Reihenfolge der Aussprache über die Tagesordnung und der Abstimmungen,
  • die Entscheidung über gesonderte Abstimmungsvorgänge oder die Durchführung eines einheitlichen Sammelgangs,
  • die Entscheidung über die Wahl des Abstimmungssystems.

Fehlt eine statutarische Regelung, nimmt die vorherrschende Literaturauffassung zu Recht an, dass die Hauptversammlung selbst für die vorgenannten Fragen entscheidungsbefugt ist und der Versammlungsleiter diesbezügliche Anträge zur Abstimmung stellen muss (siehe zu dieser Streitfrage zuletzt: von der Linden, NZG 2012, S. 930 ff.). Dies betrifft insbesondere die Frage, in welcher Form abzustimmen ist, also ob die Abstimmung beispielsweise durch Handaufheben und Zuruf oder durch die Abgabe von Stimmkarten oder im Wege des Televotings durchgeführt werden soll, wobei die Hauptversammlung aber keine Abstimmungsart beschließen kann, für die keine Vorkehrungen getroffen sind oder die auf Grund der Teilnehmerzahl oder aus anderen Gründen praktisch in der betreffenden Hauptversammlung gar nicht umsetzbar sind. Desweiteren wäre die Hauptversammlung zu der Frage, ob das Beschlussergebnis im Wege des Additions- oder des (umgekehrten) Subtraktionsverfahrens zu ermitteln ist, zur Entscheidung berufen. Die Durchführung von Hauptversammlungen erfordert insbesondere bei Publikumsgesellschaften einen erheblichen organisatorischen Aufwand und zeitlichen Vorlauf, der auch die Wahl der Form der Stimmabgabe und des Abstimmungsverfahrens umfasst. Aus diesen Gründen ist zur Vermeidung divergierender Beschlüsse der Hauptversammlung in diesen Fragen jeder Gesellschaft dringend anzuraten, eine Regelung in ihre Statuten aufzunehmen, die dem Versammlungsleiter die unbeschränkte Befugnis verleiht, die Art und Weise der Abstimmungen festzulegen.

Die Entscheidung über ein Verlangen, der Notar möge bestimmte Vorgänge oder Aussagen in der Niederschrift vermerken, greift wiederum in den originären Aufgabenbereich des Notars ein. Die Protokollierung ist grundsätzlich auf die wesentlichen Vorgänge zu beschränken. Insbesondere dient die Protokollierung nicht dazu, jedweden von Aktionären behaupteten Leitungsmangel oder aus Sicht der Aktionäre falsche Auskünfte der Verwaltung aktenkundig zu machen. Daher ist es von Vorteil, wenn auch der Notar über Erfahrungen in kritischen HVs verfügt. Keinesfalls sollte der Versammlungsleiter den Eindruck erwecken, er versuche, auf Protokollierungsverlangen generell ablehnend Einfluss zu nehmen. So hat das OLG Bremen in der Aufforderung des Versammlungsleiters an die Aktionäre, den Notar „in Ruhe zu lassen“ einen Grund erkannt, der die Abwahl des Versammlungsleiters rechtfertigen könne (OLG Bremen, Urteil vom 13.11.2009, Az. 2 U 57/09, AG 2010, S. 256, 257).

Beschränkung des Rechts der Aktionäre zur Stellung von Sachanträgen und zur Unterbreitung von Wahlvorschlägen
Die Möglichkeiten der Hauptversammlung, auf den Inhalt von Sachbeschlüssen Einfluss zu nehmen, sind beschränkt. Dies folgt aus § 124 Abs. 4 S. 1 AktG, wonach die Hauptversammlung über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht sind, keine Beschlüsse fassen darf. Das bedeutet, dass Aktionäre in der Hauptversammlung keine völlig neuen Beschlussgegenstände zum Gegenstand der Tagesordnung machen können.

Hingegen ist es Aktionären gestattet, sog. Gegenanträge zu bekannt gemachten Punkten der Tagesordnung zu stellen. Gegenanträge können sich auf die Ablehnung der Beschlussvorschläge der Verwaltung beschränken oder aber die Beschlussfassung zu einem Tagesordnungspunkt mit einem anderen Inhalt als von der Verwaltung vorgeschlagen – beispielsweise bei einem Gewinnverwendungsbeschluss eine abweichende Dividendenhöhe – zum Gegenstand haben. Eigenständige Bedeutung erlangen in der Hauptversammlung nur die letztgenannten Gegenanträge. Nur in diesen Fällen stellt sich dem Versammlungsleiter die Frage, in welcher Reihenfolge er die Anträge zur Abstimmung stellt und ob er nach der Annahme bzw. Ablehnung des Verwaltungsvorschlags noch über den Aktionärsvorschlag Beschluss fassen lassen muss.

Bei Wahlen zum Aufsichtsrat und des Abschlussprüfers können Aktionäre von den Vorschlägen des Aufsichtsrats abweichende Vorschläge unterbreiten. Zulässig sind zudem sog. Annexanträge zu bekanntgemachten Punkten der Tagesordnung. Diese betreffen eng mit den bekannt gemachten Tagesordnungspunkten zusammenhängende Sachfragen. Paradigmatisch hierfür ist die Beschlussfassung über eine Sonderprüfung anlässlich der Entscheidung der Hauptversammlung über die Entlastung von Verwaltungsmitgliedern, soweit sich die Sonderprüfung auf den Zeitraum bezieht, der auch Gegenstand der Entlastung ist. Richtiger Ansicht nach wird man ferner anlässlich der Entscheidung über die Entlastung des Vorstands einen Annexantrag gerichtet auf eine Entscheidung nach § 84 Abs. 3 S. 2 AktG über den Entzug des Vertrauens der Hauptversammlung für den Vorstand als zulässig ansehen müssen.

Übersicht über die wichtigsten Aktionärsanträge in der Hauptversammlung und ihre Behandlung durch den Versammlungsleiter