Bildnachweis: ©sonyakamoz – stock.adobe.com, Ritzenhoff AG.

Wenn man über ein Unternehmen sagen kann, es sei in aller Munde, dann ist es die Ritzenhoff AG. Die Sauerländer sind hierzulande der größte Hersteller von Gläsern. Dem Endverbraucher durch die Design-Linien bekannt, lebt Ritzenhoff aber von der Massenfertigung für gelabelte Gläser bekannter Brauereien, Kellereien, Mineralbrunnen sowie den Gastro-Großhandel.

Wie sich das für ein Familienunternehmen aus dem Sauerland gehört, verfügt Ritzenhoff über eine jahrhundertealte Tradition, obschon die heutige Eigentümerfamilie erst seit einigen Jahrzehnten dabei ist. Von der gegenwärtigen Pandemie ist man stark getroffen, denn in Zeiten, in denen Restaurants, Bars und die Hotellerie zumindest für Privatgäste europaweit geschlossen sind, stockt natürlich der Absatz. Deshalb herrscht Kurzarbeit – ein Instrument, das in der erprobten deutschen Ausformung nicht viele Konkurrenten nutzen können.

Mehr als 200 Jahre Tradition

Die Wurzeln der heutigen Produktion reichen bis zum Jahr 1800 zurück, als die Fürstenberger Waldglashütte im oberen Aabachtal in Betrieb ging. Mit dem Holz der dichten Wälder schmolzen die ersten Glashütten im Sauerland bereits im 18. Jahrhundert Quarzsand zu Glas. Die Ritzenhoff AG (früher RC Ritzenhoff Cristal AG) geht aus der Fürstenberger Waldglashütte hervor. 1904 erbauten die Kaufleute Julius und Lois Nordheimer eine neue Glashütte in Niedermarsberg. Hierin ging die Fürstenberger Waldglashütte auf. Man nutzte den Vorteil des Fabrikstandorts in der Nähe der Bahn zur wirtschaftlicheren Energieversorgung mit Steinkohle.

Im Dezember 1934 stieg die Familie Ritzenhoff ein, als die Glasfabrik Marsberg mehr Kapital benötigte als ursprünglich erwartet. 1935 übernahm der Driburger Glasgroßhändler Heinrich Ritzenhoff sämtliche Firmenanteile. Seitdem wurde das Unternehmen beständig ausgebaut und weiterentwickelt. Ritzenhoff hat sich als Komplettanbieter am Markt aufgestellt und bietet Kunden somit One-Stop-Shopping. Damit habe man in Europa ein Alleinstellungsmerkmal: „Als einziger Glashersteller in Europa bieten wir alles, was für die Entwicklung und Produktion eines Glases notwendig ist, aus einer Hand an. Dabei fertigen wir unsere Gläser in Deutschland, auf den Anlagen einer der modernsten Glasproduktionsstätten Europas. Flexible Hightech-Maschinen garantieren die außergewöhnliche Ritzenhoff-Qualität und ermöglichen uns, Exklusivformen schon ab einer Auflage von 30.000 Gläsern pro Jahr herzustellen“, heißt es auf der Website.

In Deutschland existiert ein Kristallglaskennzeichnungsgesetz. Um dessen Vorgaben zu erfüllen, und um überhaupt Qualitätsgläser zu produzieren, bedarf es erheblichen Produktionswissens: Der Glasbrei, ein Gemisch aus Quarzsand, kalzinierter Soda, Kalk, Pottasche und Kalisalpeter, wird bei etwa 1.500 Grad Celsius gebrannt. Auf vier parallel laufenden Glasproduktionslinien werden bei Ritzenhoff täglich bis zu 65 Tonnen flüssiges Rohglas zu 140.000 Gläsern verarbeitet. Das flüssige Glas wird in Tropfen portioniert und während des Erkaltungsprozesses in Form gebracht – zu Stielen gepresst, als Kelch geblasen, per Laser geschnitten, zusammengesetzt und verschmolzen.

Zusammenarbeit mit Designern

Das fertige Glas, das innerhalb von Minuten in zahlreichen Arbeitsgängen aus dem glühenden Glastropfen geformt und bearbeitet wird, muss die Vorgaben bis auf den Zehntel Millimeter treffen. Das heißt: Es bestehen erhebliche Markteintrittsbarrieren, zumal sich Ritzenhoff im gehobenen Marktsegment bewegt. Techniken wie etwa die Mundrandbearbeitung durch Laser oder durch das traditionellere „Sprengen und Schleifen“ komplettieren die Leistungen der automatischen Produktion.

Die verlässliche Qualitätssicherung ist in diesen Prozess integriert. So muss das Füllvolumen von Schankgläsern, ausgewiesen durch die Eichmarke, mit maximal dreiprozentiger Abweichung exakt sein. Steht die Produktion und Veredelung von Trinkgläsern für die Getränkeindustrie im Vordergrund, hat sich der Vertrieb von Produkten mit dem Markennamen Ritzenhoff an den Facheinzelhandel als zweites Standbein der AG etabliert. In diesem Bereich werden Produkte unter dem Markennamen weltweit in mehr als 100 Ländern vertrieben. Das Unter nehmen arbeitet eng mit vielzähligen international renommierten Designern zusammen.

Diese Marke existiert bereits seit 1992. Den Durchbruch auf dem Designmarkt erzielte die „Jahrhundertidee“ des Milchglases. Hier erwuchsen völlig neue Erfolgsstrategien in einem Marktbereich, der von Ritzenhoff dominiert wird. Designgläser sind Liebhaber- und Sammlerobjekte, und gerade „Sammlermarken“ sind ein wichtiges Asset und Kennzeichen erfolgreicher Hidden Champions. Auf die Milchgläser folgten farbig dekorierte Bierkelche, Weizenbiergläser, Bierseidel, Schnaps-, Champagner-, Wein- und Wassergläser. Allesamt eignen sie sich vorzüglich als Geschenke.

Marktführer bei Stilgläsern

Im Bereich der Stilgläser (Exklusivgläser) für die Getränkeindustrie hat die Ritzenhoff AG ihre Stellung als Marktführer seit Jahren behauptet. Der Marktanteil dürfte hier nach Unternehmensschätzung bei deutlich über 50% in Deutschland liegen. Das Unternehmen versucht, unter dem Motto „der exklusiv gedeckte Tisch“ in angrenzende Märkte zu expandieren. Über die Tochter Designer Homeware Distribution GmbH wird seit 2005 die Marke „Maxwell & Williams“ vertrieben, die chinesisches Porzellan anbietet.

Ein weiteres Standbein stellen die Promotions- und B2B-Geschäfte dar, die von einem eigenen Vertriebsteam betreut werden und kundenindividuelle Wünsche umsetzen – auch dies im One-Stop-Shopping von der Produktfindung, über die Produktgestaltung samt Verpackungsentwicklung bis hin zur Warenauslieferung. Das alles übersetzt sich in einen Jahresumsatz (2018) von 67 Mio. EUR. Die Eigenkapitalquote des Unternehmens belief sich am Jahresende 2018 auf 55,6% (Vorjahr 53,5%). Das Eigenkapital konnte das Anlagevermögen zu 98,3% abdecken. Die Eigenkapitalrentabilität (nach Steuern) belief sich auf 0,9%. Fragen zur bisherigen Finanzierung oder etwaigen Plänen, den Kapitalmarkt zum Beispiel über eine Anleihe zu adressieren, ließ das Unternehmen unbeantwortet.

Fazit

Ritzenhoff ist eine starke Marke mit eigenem Sammlermarkt, die Einnahmen kommen aber überwiegend aus dem B2B-Geschäft. Die hohe technologische Kompetenz, die Verbindung zu bekannten Designern und die hohen Markteintrittsbarrieren für Nachahmer determinieren ein attraktives Geschäftsmodell. Kurzfristig leidet das Unternehmen durch die Schließung der Gastronomie unter der Pandemie – langfristig ist es aber aussichtsreich positioniert.

Autor/Autorin

Stefan Preuss

Stefan Preuß ist Mitglied der GoingPublic Redaktion.