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Obwohl die Pandemie noch nicht überwunden ist, hat der M&A-Markt kräftig Fahrt aufgenommen. Doch mit hohen ­Kaufpreisen wächst auch das Risiko von Konflikten nach der Transaktion – und damit die Bedeutung sogenannter W&I-Versicherungen, mit denen sich Vertragsparteien absichern. Welche Vorteile Policen bieten, worauf es bei der ­Identifikation und Durchsetzung von Ansprüchen ankommt.

Ökonomische Krisen sind in aller Regel ein Treiber von M&A-Konflikten. Das hat sich in der Coronapandemie eindrucksvoll bestätigt: Nach ­deren Ausbruch fürchteten zahlreiche Käufer, dass die zuvor ausgehandelten Preise überhöht sind, weil die Pandemie das Geschäft dauerhaft beeinträchtigt. Sie versuchten deshalb auf breiter Front, Kompensationsmöglichkeiten zu identifizieren und den Kaufpreis nachträglich zu reduzieren.

M&A-Markt: Preise und Risiken steigen

Obwohl inzwischen sämtliche Käufer ­Coronaeffekte einkalkulieren, dürfte sich der Trend zu vermehrten Auseinander­setzungen fortsetzen: Denn Kaufinteressenten müssen derzeit wieder tief in die Tasche greifen, weil sich der M&A-Markt von seiner vorübergehenden Schockstarre schnell erholt hat.

Bewertungen und Kaufpreise haben deshalb vielfach wieder das Vorkrisen­niveau erreicht und liegen in einigen Branchen sogar darüber. Zudem ist die Zahl der Transaktionen laut aktuellen Marktanalysen (1) im ersten Halbjahr deutlich ­gestiegen.

Da die Pandemie noch nicht überall überwunden ist, dürften Unternehmenskäufer in einigen Fällen enttäuscht werden. Wir erwarten deshalb, dass die Zahl der M&A-Konflikte mit COVID-19-Kontext steigt, und beobachten dies auch in der Praxis.

Wachsendes Interesse an W&I-Versicherungen

Mit den Preisen wächst auch das Bedürfnis, sich abzusichern. Immer mehr Entscheider setzen deshalb auf Warranty-&-­Indemnity-(W&I-)Versicherungen, mit denen sich Transaktionsparteien bei M&A-Deals vor den Konsequenzen aus Vertrags­verletzungen schützen können.

Die sogenannten W&I-Policen erfreuten sich bereits vor der Krise wachsender ­Beliebtheit: Der Anteil der Transaktionen, bei denen sie zum Einsatz kamen, ist ­zwischen 2010 und 2019 von 10% auf 19% gestiegen und 2020 nur leicht gesunken, nämlich um zwei Prozentpunkte auf 17%. Allerdings berichten W&I-Insurance-­Broker von einem signifikanten Anstieg ab Ende 2020. Dabei galt: Je höher der Kaufpreis, desto gefragter waren Versicherungen. So setzten Vertragsparteien laut einer CMS-Studie im Coronajahr 2020 bei rund einem Drittel der Transaktionen mit einem Volumen von mehr als 100 Mio. EUR auf W&I-Policen, was fast dem Vorjahres­niveau entsprach.(2)

Die hohen Kaufpreise und unsere Beobachtungen sprechen nun dafür, dass sich auch dieser Trend fortsetzt und die Quote der versicherten Transaktionen weiter steigt. Denn W&I-Policen bieten beiden Parteien erhebliche Vorteile: Unternehmensverkäufer lagern die Risiken aus, die sich aus Vertragsverletzungen ergeben. So springt die Versicherung z.B. ein, wenn sich ein Garantieversprechen als faktisch unrichtig herausstellt. Verkäufer können den Verkaufserlös damit deutlich früher bestimmen und verwenden; die Versicherung ermöglicht einen zeitnahen und ­abschließenden Ausstieg.

Käufer wiederum schützen sich vor ­Garantie- oder Gewährleistungsverletzungen. Zudem ist sichergestellt, dass im Fall der Fälle ein solventer Schuldner bereitsteht: Bei den sogenannten Käuferpolicen, die sich inzwischen am Markt durch­gesetzt haben, können Käufer Ansprüche direkt beim Versicherer anmelden und geltend machen. Das erleichtert die ­Abwicklung erheblich.(3)

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Für W&I-Policen spricht darüber hinaus die Tatsache, dass die Kosten in den ­vergangenen Jahren gesunken sind: Die Versicherungsprämien liegen heute vielfach bei rund 1% des zu versichernden ­Risikos oder sogar darunter. Zudem sind die versicherbaren Beträge gestiegen und die Assekuranzen haben Mitarbeiter mit M&A-Expertise eingestellt. Sie bieten deshalb einen besseren Service als noch vor einigen Jahren und sind in der Lage, auch unter dem hohen Zeitdruck einer Unternehmenstransaktion maßgeschneiderte Policen bereitzustellen (4).

Anspruchsgrundlagen für W&I-Forderungen

Unsere Erfahrungen und aktuelle Marktstudien zeigen, dass es bei 10% bis 20% der M&A-Transaktionen hinterher zu M&A- bzw. W&I-Forderungen kommt. Auch hier gilt: Mit dem Kaufpreis steigt die Quote. Haben Unternehmenskäufe ein Volumen von mehr als 1 Mrd. USD, liegt der Anteil laut einer AIG-Studie sogar bei 21%.(5)

Gerade bei hohen Kaufpreisen und überraschenden Einbrüchen liegt es aus Käufersicht nahe, genau zu prüfen, ob vertragliche Preisanpassungsmechanismen, Garantie- und Gewährleistungsansprüche oder Freistellungsklauseln in M&A-Verträgen eine Anspruchsgrundlage bieten.

So zeigen die Praxiserfahrung und ­diverse Marktanalysen, dass etwa die Hälfte aller Unternehmenskaufverträge Preisanpassungsklauseln oder vergleichbare Mechanismen enthält. Ihnen kam während der Coronakrise besondere ­Bedeutung zu, weil zwischen Signing und Closing oft mehrere Wochen oder gar ­Monate vergehen können – und in dieser Zeit hat die Pandemie die Rahmenbedingungen häufig grundlegend verändert (6).

Enttäuschte Käufer auf der Suche nach Kompensationsmöglichkeiten richten ihren Blick häufig zunächst auf Finanzdaten, Jahresabschlüsse und steuerliche Sachverhalte: Studien zufolge fallen bis zu 60% (7) aller W&I-Claims in diese Kategorie.

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Das verwundert nicht, denn Finanzdaten sind essenziell für die Unternehmens­bewertung und die Kaufpreisfindung, was sich in der Ausgestaltung von M&A-­Verträgen niederschlägt. So fordern ­Käufer in aller Regel eine Zusicherung des Verkäufers, dass die Finanzdaten korrekt sind („Bilanzgarantie“). Bei Verstößen ­gegen Rechnungslegungsvorschriften drohen deshalb schwerwiegende Konsequenzen. So müssen Verkäufer mit signifikanten Schadensersatzansprüchen rechnen, wenn der Käufer trotz Bilanzgarantie z.B. eine nicht-bilanzierte Verbindlichkeit identifiziert.

Zu den weiteren klassischen Anknüpfungspunkten für W&I-Forderungen gehören wesentliche Verträge, Compliance-Themen, geistiges Eigentum, Arbeitsverhältnisse und Umweltaspekte.

Ansprüche identifizieren und durchsetzen

In M&A-Konflikten geht es um hohe Beträge: Die geforderten Kaufpreisreduktionen ­liegen in der Regel im Millionenbereich. Es ist deshalb kein Wunder, dass W&I-­Auseinandersetzungen immer wieder im Rahmen von Schiedsgerichtsverfahren oder gar vor staatlichen Gerichten aus­gefochten werden.

Ansprüche zu identifizieren und durchzusetzen ist jedoch alles andere als ein Kinderspiel – auch und gerade, wenn ­Versicherungen beteiligt sind: Denn die Analyse der rechtlichen und wirtschaft­lichen Anspruchsgrundlagen sowie die anschließende Schadenszumessung sind keineswegs trivial.

Kernproblem ist, dass es sich nicht um eindeutige oder unstrittige Ansprüche handelt. Im Gegenteil: W&I-Claims knüpfen oft an Finanzkennzahlen an, die nach komplexen Rechnungslegungsnormen oder vertragsspezifischen Vorgaben zu ermitteln sind – und gerade Rechnungslegungsnormen enthalten oft stark auslegungs­bedürftige Elemente, wodurch erhebliche Ermessensspielräume bestehen. Im Zusammenspiel mit der unvermeidlichen Subjektivität auf beiden Seiten kommt es deshalb nicht selten zu unterschiedlichen Bilanzierungs- und Bewertungseinschätzungen.

Um Ansprüche erfolgreich geltend zu machen, reicht es deshalb nicht annähernd, etwaige Verstöße bei der Versicherung anzuzeigen: Käufer müssen mögliche Ansprüche systematisch analysieren ­sowie Finanzdaten, Informationen und Sachverhalte detailliert aufarbeiten.

Intensiv abwägen und klug ­kommunizieren

Darüber hinaus gilt es, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Dazu müssen Verantwortliche analysieren, wie wahrscheinlich ein Erfolg ist – und zugleich bedenken, dass es Zeit und Geld kostet, eine W&I-Forderung geltend zu ­machen. Angesichts einer durchschnitt­lichen Regulierungsdauer von sieben ­Monaten, die in Einzelfällen deutlich überschritten werden kann, sollte diesen ­Aspekt niemand unterschätzen.

Erstaunlich aus unserer Sicht: Während Unternehmen bei M&A-Transaktionen äußerst professionell an die Schritte bis zur Unterzeichnung des Kaufvertrags herangehen, fehlt oftmals ein ähnlich ­professionell gestalteter Rahmen für die Zeit nach dessen Abschluss. Eine gezielte Post-Signing-/Closing-Analyse findet in der Praxis vielfach kaum statt. Die Identi­fikation materieller Ansprüche wird dadurch oft vernachlässigt und letztlich dem Zufall überlassen.

Fazit

Auf W&I-Auseinandersetzungen spezialisierte Experten können diese Schwächen beheben – und auf Basis ihrer Erfahrung belastbare Einschätzungen zur Höhe von Ansprüchen sowie zu den Erfolgsaussichten geben. Zudem können sie Käufer bzw. Versicherungen bei der Analyse ­sowie bei der Aufarbeitung und Darstellung des Sachverhalts unterstützen.

Besonders wichtig ist dabei eine klare und umsichtige Kommunikation: Wer ­Stellungnahmen klar strukturiert, nachvollziehbare Argumentationslinien aufbaut und mit schlüssigen Nachweisen ­untermauert, erhöht die Erfolgschancen deutlich – und legt zugleich die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kunde und ­Versicherung.

Zu den Autoren
Ingo Schleis ist Wirtschaftsprüfer, Steuer­berater und Direktor bei KPMG AG Wirt­schaftsprüfungsgesellschaft im Bereich Deal Advisory. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der umfassenden Betreuung von Mandanten, die sich im Nachgang einer Unter­neh­menstransaktion in einem M&A-Disput befinden. Neben der Identifizierung und Durch­setzung bzw. Abwehr von Ansprüchen aus Unternehmenskaufverträgen ist er auch selbst schlichtend als neutraler Schiedsgutachter (Independent Expert) aktiv. In nationalen und internationalen Schiedsgerichtsverfahren unter­stützt er die Parteien als Parteigutachter bzw. Expert Witness. Kontakt: ingoschleis@kpmg.com
Christoph Schmitt ist Wirtschaftsprüfer, Steuer­berater und Manager bei KPMG Deal Advisory. Er unterstützt Mandanten bei der Analyse von Closing Accounts sowie der Identifizierung von möglichen Kauf­preis­anpassungen. Darüber hinaus berät er Industrieunternehmen und Private-Equity-Kunden bei der Lösung komplexer
Fragestellungen im Rahmen von M&A-Streitig­keiten. In nationalen und internationalen Schieds­gerichtsverfahren unterstützt er die Parteien als Parteigutachter bzw. Expert Witness. Kontakt: christophschmitt@kpmg.com

1) FAZ (2021): „M&A-Markt im Aufwind – Investoren und Strategen kaufen wie wild Unternehmen“, www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/investoren-und-strategen-kaufen-wie-wild-unternehmen-17441459.html
2) CMS (2021): CMS European M&A Study 2021 – Executive Summary. In: https://cms.law/en/int/publication/cms-european-m-a-study, S. 5 f., abgerufen am 21.08.2021
3) CMS (2021): CMS European M&A Study 2021 – Executive Summary. In: https://cms.law/en/int/publication/cms-european-m-a-study, S. 12, abgerufen am 21.08.2021
4) Fromholzer (2016): Gewährleistungsversicherungen beim Unternehmenskauf sind in der Praxis angekommen. In: DER BETRIEB, 69(48), S. M5
5) AIG (2020): AIG M&A Insurance – The new normal?
In: www.aig.com/content/dam/aig/america-canada/us/documents/business/management-liability/aig-manda-2020-w-and-i.pdf, S. 3, abgerufen am 21.08.2021
6) Schleis/Müller/Kaiser (2020): „Die Corona-Krise als Treiber von M&A-Konflikten“. In: M&A-Review, 5/2020, S. 152 ff.
7) SRS Aquiom (2020): 2020 SRS Acquiom M&A-Claims Insights Report. In: https://www.srsacquiom.com/resources/ma-claims-report/, S. 9, abgerufen am 21.08.2021

Autor/Autorin

Ingo Schleis

Ingo Schleis ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner bei PwC Deutschland im Bereich Deals. Seine Schwerpunkte liegen u.a. in der Optimierung von Unternehmenskaufverträgen aus Finance-Sicht. Er ist Experte für die Identifizierung und Durchsetzung bzw. Abwehr von Ansprüchen.

Christoph Schmitt