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Am 1. Juli 2021 ist als Reaktion unter anderem auf die Vorfälle bei der Wirecard AG das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) in Kraft getreten. Das Gesetz enthält unter anderem neue Regelungen zur Stärkung und Neuordnung der Bilanzkontrolle, Änderungen zur Abschlussprüfung sowie eine Verschärfung des Bilanzstrafrechts. Es gibt aber auch einige Änderungen bezüglich der Corporate Governance, die Auswirkungen auf die künftige Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder und damit auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats von kapitalmarktorientierten Unternehmen mit sich bringen.

Die neuen Regeln für den Aufsichtsrat finden Anwendung auf „Unternehmen von öffentlichem Interesse“. Gemäß dem neuen § 316 a Satz 2 HGB fallen darunter vor allem kapitalmarktorientierte Unternehmen im Sinne von § 264 d HGB. Außerdem gelten die neuen Vorschriften für den Aufsichtsrat auch für bestimmte Kreditinstitute und für Versicherungsunternehmen.

Stärkung der Finanzexpertise im Aufsichtsrat

Aufsichtsräte von Unternehmen von öffentlichem Interesse müssen künftig zwingend mindestens ein Mitglied im Aufsichtsrat mit Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied im Aufsichtsrat mit Sachverstand auf dem Gebiet der Abschlussprüfung haben. Nach der bisherigen gesetzlichen Vorschrift musste nur ein Mitglied des Aufsichtsrats Kenntnisse alternativ in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung mitbringen (sogenannter Finanzexperte).

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Damit erhöht sich durch die neue gesetzliche Regelung die Finanzexpertise durch einen zweiten Finanzexperten im Aufsichtsrat. Auch künftig ist nicht zwingend vorgeschrieben, dass im Aufsichtsrat ein Vertreter des Berufsstandes der Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten sein muss. Gemäß der Begründung des Gesetzentwurfs kann der erforderliche Sachverstand auch über eine Weiterbildung erworben werden.

Diese neuen Vorschriften werden sinnvollerweise ergänzt durch neue Regelungen zur Stärkung der Informationsrechte des Aufsichtsrats einschließlich der Auskunftsrechte des Prüfungsausschusses sowie einer Konkretisierung der Aufgaben des Prüfungsausschusses (§107 Abs. 3+4 AktG).

Die neue Regelung gilt grundsätzlich bereits ab dem 1. Juli 2021. Sie muss allerdings so lange nicht umgesetzt werden, wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats vor dem 1. Juli 2021 bestellt worden sind, das heißt sie findet erst Anwendung für nach dem 1. Juli 2021 bestellte Aufsichtsratsmitglieder.

Das FISG regelt im Übrigen nicht, wie mit einem Wahlbeschluss umzugehen ist, der gegen das Erfordernis von zwei Finanzexperten im Aufsichtsrat verstößt. Nach der bisherigen Regelung gilt, dass die Wahl einer Person, die selbst kein Finanzexperte ist, in einen Aufsichtsrat ohne einen Finanzexperten in keinem Fall gültig ist. Nach herrschender Lehre ist eine solche Wahl gesetzeswidrig und dürfte daher anfechtbar sein.

Leider hat es der Gesetzgeber versäumt, das Erfordernis der Unabhängigkeit für die Finanzexperten wieder in das Gesetz aufzunehmen. Zumindest verlangt aber der Kodex die doppelte Unabhängigkeit des Prüfungsausschussvorsitzenden, nämlich die Unabhängigkeit von der Gesellschaft einerseits und den Anteilseignern andererseits.

Verpflichtung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses

Gemäß dem neuen § 107 Abs. 4 Satz 1 AktG müssen Unternehmen von öffentlichem Interesse künftig zwingend einen Prüfungsausschuss einrichten. Nach der bisherigen Gesetzeslage stand dies im Ermessen des Aufsichtsrats, über das dieser selbst entscheiden konnte. Der aktuelle Deutsche-Corporate-Governance-Kodex empfiehlt allerdings bereits die Einrichtung eines Prüfungsausschusses.

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Besteht der Aufsichtsrat nur aus drei Personen, ist er künftig zugleich auch Prüfungsausschuss. Dabei muss der Prüfungsausschuss die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen, das heißt, ihm müssen mindestens zwei Finanzexperten angehören. Dem vielfach während der Anhörung geäußerten Wunsch, bei kleineren Unternehmen mit Aufsichtsräten von nur drei Personen hiervon abzusehen, ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen.

Die Verpflichtung, einen Prüfungsausschuss einzurichten, auch wenn es im Aufsichtsrat nur drei Mitglieder gibt, gilt erstmals ab dem 1. Januar 2022. Allerdings ist bereits ab dem 1. Juli 2021 vorgeschrieben, dass im Prüfungsausschuss zwei Finanzexperten vertreten sein müssen.

Diese neue Vorschrift muss aber erst auf alle nach dem 1. Juli 2021 neu bestellten Mitglieder des Prüfungsausschusses angewandt werden. Es gilt also auch hier wie bei der Verpflichtung zukünftig zwei Finanzexperten im Aufsichtsrat zu haben eine Regelung zum Schutz bestehender Strukturen (sogenanntes Grandfathering).

Auswirkungen auf dreiköpfige Aufsichtsräte

Die neuen Regelungen des FISG, die den Aufsichtsrat betreffen, dürften bei größeren börsennotierten Unternehmen einen eher geringen Anpassungsbedarf hervorrufen.

Bei kleineren Unternehmen, in denen der Aufsichtsrat insbesondere wegen der geringen Zahl seiner Mitglieder bislang auf die Einrichtung eines Prüfungsausschusses verzichtet hat, besteht größerer Handlungsbedarf. Wenn künftig in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat zwei von drei Mitgliedern Finanzexpertise mitbringen sollen, schränkt dies den Spielraum für die Besetzung der dritten Position erheblich ein. Es dürfte nämlich schwerer werden, künftig eine Person zu finden, die allein Expertise etwa auf den Gebieten Strategie, Technik, Digitalisierung und Nachhaltigkeit einbringen kann, damit auch künftig alle notwendigen Spezialkompetenzen im Aufsichtsrat vorhanden sind.

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Eine Alternative wäre die Erweiterung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder über die Zahl drei hinaus. Hierbei sei daran erinnert, dass Aktiengesellschaften, die nicht der Mitbestimmung unterliegen, von der Pflicht zur Dreiteilbarkeit der Zahl ihrer Aufsichtsratsmitglieder ausgenommen sind. Sie können daher die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder oberhalb der Mindestgröße von drei Mitgliedern frei wählen. Es bleibt abzuwarten, ob kleinere Unternehmen ihren Aktionären tatsächlich vorschlagen den Aufsichtsrat zu vergrößern, um auch künftig etwa Branchenexpertise oder besondere Fachkenntnisse im Aufsichtsrat zu haben oder aber auch die Aktionärsstruktur angemessen abbilden zu können.

Darüber hinaus müssen bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats weitere Kriterien erfüllt werden, wie das Erreichen von Gender-Quoten oder aber die Regelungen zur Mitbestimmung.

Umsetzung der neuen Vorschriften des FISG

Das neue FISG ist am 1. Juli 2021 in Kraft getreten. Obwohl einige Vorschriften erst ab dem 1. Januar 2022 gelten oder erst für künftig neu bestellte Aufsichtsratsmitglieder, sollten sich die Aufsichtsräte in Unternehmen von öffentlichem Interesse bereits jetzt mit den geplanten Neuregelungen zur künftigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses sowie gegebenenfalls auch mit der Identifizierung geeigneter Personen befassen. Bei der Suche nach geeigneten Personen ist auch die Einschaltung von externen Dienstleistern, die auf die Vermittlung von Aufsichtsräten spezialisiert sind, empfehlenswert, da diese den Kreis möglicher Kandidaten über das vorhandene persönliche Netzwerk hinaus erweitern können.

Im Übrigen hat auch die Deutsche Börse infolge der Wirecard-Ereignisse ihre Regeln für die DAX-Auswahlindizes umfassend überarbeitet. Künftig müssen alle Unternehmen der DAX-Familie die Empfehlungen des Deutschen-Corporate-Governance-Kodex zum Prüfungsausschuss erfüllen. Sie sind ab September 2022 von den betreffenden Unternehmen zwingend zu beachten und gelten bereits ab März 2021 für die Neuzugänge im DAX.

Zum Autor:
Dr. Klaus Weigel ist seit 2007 Geschäftsführender Gesellschafter der Board Xperts GmbH, Frankfurt am Main. Die Board Xperts GmbH ist spezialisiert auf die Vermittlung qualifizierter Aufsichtsräte und Beiräte. Dr. Weigel war 25 Jahre im Corporate-Finance- und Private-Equity-Geschäft in leitender Funktion und als Mitglied in Beiräten und Aufsichtsräten tätig. Er ist zugleich Mitgründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. (ArMiD).

Autor/Autorin

Dr. Klaus Weigel