.MiFID II ist ein regulatorischer Treiber für die Desintermediation von Investment Research, aber bei weitem nicht der einzige. Die Digitalisierung schreitet fort, und es dauert nicht mehr lange, dann produzieren Algorithmen mehr als nur ein paar Zahlen auf Basis einiger wenige Kennzahlen oder Ratios. Das ist der zweite Treiber der Desintermediation. Der dritte ist für viele in der Branche vermutlich am schwersten zu schlucken: der Trend vom diskretionären Investieren (z.b. Stock-picking) hin zu systematisch-strukturellen Ansätzen. Es ist in der Wissenschaft seit mehr als 30 Jahren bekannt, dass mechanistische Ansätze Menschen oft überlegen sind, auch – und das ist das Erstaunliche –, wenn sie Ansätze auf identischen Kriterien fahren.

Noch einmal und zum Mitschreiben: Man füttert einen Algorithmus mit, sagen wir mal, 20 Kennzahlen, die eine ausreichend hohe Probabilität für die Abschätzung des Erfolgs einer Aktie haben. Diese Kennzahlen gewinnt man durch eine Befragung von menschlichen Investoren. Dann lässt man den Algorithmus diese Zahlen rechnen, und den Menschen nebendran auf Basis ein- und derselben Zahlen. Der Algorithmus outperformt den Menschen in 99% aller Fälle. Wie erklärt man das? Menschen lassen sich ablenken, konsumieren und produzieren Noise, lassen Kreativität walten, wo sie nicht hingehört usw.

Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass sich die Investment Research-Branche damit auseinandersetzen muss, wie sie Mehrwerte für Anleger generiert. Da reden wir nicht über schöne und elegante Modelle. Wir reden über die Expertise im Umgang von Finanz- und eben zunehmend auch alternativen Daten, wie man sie auf intelligente Art und Weise in eine Modellierung überführt, die Noise systematisch herausfiltert. Alles andere ist l’art pour l’art, wird nicht mehr bezahlt, und wenn, dann für Preise, bei denen Broker früher nicht den Griffel gehoben hätten.

Fazit
Gut, nun habe ich auch keine Kristallkugel. So apodiktisch, wie ich es darstelle, mag es vielleicht nicht kommen, und wir werden immer eine Gruppe von Anlegern im Markt haben, die fundamentales Research schätzt, und dafür zu zahlen bereit ist, und die von einer hartgesottenen und eingefleischten Gruppe von Finanzanalysten mit Investment Research bedient wird. Kann sein – oder auch nicht. Wenn man sich Entwicklungen in anderen Dienstleistungsindustrien anschaut wie z.B. Wirtschaftsprüfung, oder rechtliche Beratung, dann sieht man auch dort, dass sich die Frage nach der Rolle der menschlichen Urteilskraft stellt, und welche Rolle sie zukünftig noch im Wettbewerb mit Maschinen spielen kann. Es ist an der Zeit, Investment Research wirklich neu zu denken. Dabei wird es Gewinner und Verlierer geben. Die, die sich anpassen werden, weil sie ihre Herangehensweise entsprechend neu ausrichten, weil sie sich neue Fertigkeiten und Kenntnisse angedeihen lassen, weil sie bereit sind, sich einer Arbeitsteilung zu stellen, haben gute Chancen. Wer das nicht will, gehört dann irgendwann in eine Schublade, in der wir den Gaslaternenanzünder, den Sänftenträger, oder das Fräulein vom Amt finden. Spannende Berufe. Gestern.

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