Dr. Axel Goetz (links) und Dr. Stephen Lampert

Von Dr. Axel Goetz, Partner, Dr. Stephen Lampert, Partner, Beiten Burkhardt

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 11. Juli 2012 wichtige Aussagen zum Börsenrückzug (Delisting) getroffen. Vorangegangen waren zwei Verfassungsbeschwerden, über die das Bundesverfassungsgericht im Januar 2012 mündlich verhandelt hatte. Damit stand zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine gesellschaftsrechtliche Frage im Mittelpunkt eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens.

„Macrotron“ auf dem Prüfstand

Auslöser war die sogenannte „Macrotron-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2002. Danach unterlag der Rückzug aus dem regulierten Markt drei Voraussetzungen („Macrotron-Trias“): Hauptversammlungsbeschluss, Kaufangebot an die Aktionäre und Überprüfbarkeit dieses Kaufangebots in einem Spruchverfahren.

Problematisch an dieser Entscheidung des BGH war und ist, dass die drei Elemente der Macrotron-Trias nicht unmittelbar im Gesetz verankert sind. Der BGH hatte im Jahre 2002 also Rechtsfortbildung betrieben und diese Rechtsfortbildung wesentlich darauf gestützt, dass der Börsenrückzug die Eigentumsrechte der Aktionäre (Art. 14 GG) verletzen könne.

Die in der Fachliteratur umstrittene Rechtsfortbildung des BGH hat seit dem Jahre 2002 das Recht des Börsenrückzugs bestimmt. Die Rechtsfortbildung hat das Delisting im Ergebnis erheblich erschwert. Abschreckend wirkten insbesondere das Pflichtangebot – mit Entschädigung der Aktionäre zum vollen Verkehrswert – sowie die Überprüfbarkeit dieses Pflichtangebots in Spruchverfahren, die sich typischerweise über mehrere Jahre hinziehen.

Gegenläufige Verfassungsbeschwerden

Die beiden Verfassungsbeschwerden hatten die Macrotron-Rechtsprechung des BGH nun unter entgegengesetzten Blickwinkeln aufgegriffen.

Die Verfassungsbeschwerde 1BvR 3142 /07 – vom Unterzeichner betreut – hatte ein Hauptaktionär eingelegt, der im Jahre 2004 mit Hilfe eines – aus seiner Sicht freiwilligen – Kaufangebots an die Minderheitsaktionäre erfolgreich einen vollständigen Börsenrückzug umgesetzt hatte, sich aber nun – ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage – einem Spruchverfahren zur Erhöhung des Kaufpreises ausgesetzt war. Der Hauptaktionär war hier insbesondere der Auffassung, dass ein Börsenrückzug nicht die Grundrechte der Minderheitsaktionäre berühre, insbesondere nicht das Eigentumsgrundrecht. Die Rechtsfortbildung des BGH sei weder mit einer Grundrechtsverletzung noch in sonstiger Weise angemessen begründbar.

Die gegenläufige Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1569 /08 – eingelegt von Seiten eines Minderheitsaktionärs – betraf einen anderen Fall, in dem sich die Gesellschaft – ohne dass ein Kaufangebot an die Aktionäre ergangen wäre – sich mit einem nur partiellen Börsenrückzug (Downgrading) begnügt hatte, also einer Rückstufung in den qualifizierten Freiverkehr wie der Münchner m:access oder der Frankfurter Entry Standard. Der Minderheitsaktionär argumentierte, dass die Rechtsfortbildung des BGH – also die volle Macrotron-Trias – auch in diesem Falle Anwendung finden müsse, insbesondere deswegen, weil schon das bloße Downgrading auf Seiten der Minderheitsaktionäre eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG) darstelle.

Urteil: Keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts

Das Bundesverfassungsgericht hat nun am 11. Juli 2012 entschieden, dass der Börsenrückzug – sei er nun vollständig oder nur partiell, wie im Falle des bloßen Downgrading – nicht das Eigentumsgrundrecht verletzt. Die durch die Börsenzulassung erhöhte Verkehrsfähigkeit der Aktien (Fungibilität) sei letztlich ein bloßer wertbildender Faktor, der die rechtliche Veräußerungsfähigkeit unberührt lasse. Nur die rechtliche Veräußerungsfähigkeit sei grundrechtlich geschützt, nicht die durch Börsenzulassung tatsächlich erhöhte Fungibilität. Ebenso wenig wie ein Aktionär Anspruch auf erstmalige Zulassung der Aktien zur Börse habe, könne er einen Börsenrückzug unter Rekurs auf Art. 14 GG verhindern. Die faktischen Veräußerungschancen am Markt fielen nicht in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts.

Das Bundesverfassungsgericht widerspricht zunächst Motiven und Grundannahmen des BGH – es gebe nämlich aus rein verfassungsrechtlicher Sicht bei einem Delisting keine Pflicht zum Kaufangebot an die Aktionäre. Die Rechtsfortbildung des BGH sei verfassungsrechtlich nicht geboten.

Andererseits sieht das Bundesverfassungsgericht aber – wiederum aus rein verfassungsrechtlicher Perspektive – keinen Grund zum unmittelbaren Einschreiten: Das Bundesverfassungsgerichts kann keinen „krassen Widerspruch“ zur Rechtsordnung feststellen und sieht auch „keine Lösung vom Recht im Sinne richterlicher Eigenmacht“.

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