Wie lassen sich Fragen authentisch beantworten?
Nicht alle Fragen müssen immer vollständig ausformuliert aus dem Backoffice geliefert und vom Vorstand 1:1 vom Blatt abgelesen werden. Falls es ein Ziel der Hauptversammlungsvorbereitung ist, die Generaldebatte interessanter zu gestalten und dem Vorwurf entgegen zu treten, der Vorstand würde ferngesteuert aus seinem Backoffice „als Tagesschausprecher“ agieren, bieten sich dazu auch Alternativen an.

Denkbar wäre dabei z.B. die Eingruppierung der Fragen in drei Kategorien:

  1. Direkte Beantwortung durch den Vorstand, da kein Input durch das Backoffice notwendig

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  1. Freie Beantwortung durch den Vorstand mit kleinem, inhaltlichen Input aus dem Backoffice durch ein paar konkrete Zahlen und

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  1. Komplette Wiedergabe des vom Backoffice erarbeiteten Textes durch den Vorstand nach inhaltlichem Input durch eine Fachabteilung und juristischer Prüfung.

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In jedem Fall gilt es zu vermeiden, dass der Vorstand mit dem fragenden Aktionär in einen direkten Dialog tritt, da dies regelmäßig nicht mehr dem zuvor erklärten Prozedere des Versammlungsleiters in Bezug auf die Wortmeldungen entspricht. Der Versammlungsleiter muss also gegebenenfalls auch in der Antwortrunde durch den Vorstand regulierend eingreifen. Eine lebendige und individuelle Antwort eines professionellen Vorstands schließt dies jedoch nicht aus.

Falls der Vorstand wieder einmal zur Strategie in China befragt wird oder zur Besonderheit eines neuen Produkts, könnte er diese Frage auch ohne die Unterstützung des Backoffices beantworten. Dies würde ihm die Chance eröffnen, die Hauptversammlung als Publikumsveranstaltung anzusprechen, bei der nicht nur institutionelle Anleger anwesend sind, sondern auch eine breite Masse interessierter Kleinanleger.

Da die freie Beantwortung von Fragen der Aktionäre bei manchen HV-Verantwortlichen und Juristen Bauchschmerzen auslösen könnte, ist eine vorherige Absprache selbstverständlich. Außerdem muss im Backoffice eine Entscheidung getroffen werden, ob eine Frage für eine freie Beantwortung geeignet ist oder der Vorstand dabei unterstützt werden sollte. Durch den Ausgangskoordinator wird diese Entscheidung dann noch einmal gegengeprüft und bestätigt. Ausgenommen von diesem Weg, hin zu einer authentischeren Beantwortung durch den Vorstand, sind diejenigen Fragen, die sich auf juristisch problematischere Felder zu bewegen. Dies könnten z.B. Fragen zu laufenden Gerichtsverfahren sein. In diesen Fällen wird an einer vollständig zu verlesenden Antwort, die nach Abstimmung mit dem Backoffice erarbeitet wurde, kein Weg vorbei führen, um die Rechtssicherheit der Generaldebatte und der Hauptversammlung nicht zu gefährden.

Um die Generaldebatte zu schließen, muss sich der Versammlungsleiter vergewissern, dass alle Aktionäre die Gelegenheit hatten, sich zu Wort zu melden, und ob alle Fragen der Aktionäre beantwortet wurden. Falls dies der Fall ist, sollte sich der Versammlungsleiter für die Redebeiträge im Ganzen bedanken und kann nun zur Abstimmung überleiten.

Fazit
Auch wenn die Generaldebatte in ein enges Korsett an rechtlichen Vorgaben geschnürt ist, stehen sowohl dem Versammlungsleiter als auch dem Vorstand Möglichkeiten zur Verfügung, sich innerhalb dieser Grenzen frei zu bewegen. Gerade eine eigenständige Beantwortung von unkritischen Standardfragen interessierter Aktionäre kann eine gute Gelegenheit bieten, die eigene Generaldebatte unterhaltsam und lebendig zu gestalten. Eine begeisterte Antwort eines Vorstands auf eine Frage, die sein Fachgebiet betrifft, kann das Aktionariat anspornen, nimmt hinlänglich bekannten Aktionären den Wind aus den Segeln und macht die eigene Hauptversammlung von der reinen Pflichtveranstaltung zum interessanten Pflichttermin für die eigenen Aktionäre.

Autor:

Johannes Müller ist Vorstandsassistent und Senior Berater der HCE Haubrok AG. Der Artikel erschien zuerst in der Sonderausgabe „HV-Magazin Recht 2016“.

jm@hce.de

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