Sämtliche Maßnahmen, Wertpapiere bzw. Finanzierungsinstrumente mit starkem Privatanlegerbezug aus der „Schmuddelecke“ des Grauen Marktes zu holen, sind ein wichtiger Ansatz, um den deutschen Kapitalmarkt in seiner Effizienz und in der nachhaltigen Akzeptanz bei Investoren und Anlegern zu fördern. Deshalb ist es nach unserer Überzeugung wichtig, die Vielzahl existierender Finanzierungsinstrumente börsenfähig zu machen. Auf diese Weise gelingt es, den Investoren für ihre Anlageentscheidung die notwendigen Informationen über das Wertpapier und die Emittenten an die Hand zu geben, wie es beispielsweise der Entry Standard vorschreibt. Wir glauben, dass Transparenz für alle Beteiligten – Emittenten wie Investoren – der beste Weg ist. Besser als manch diskutierter Einfall, dem Emittenten weitere und vor allem teurere Gebote aufzubürden oder sogar durch bürokratische Anlegerschutzvorschriften den Privatanleger aus dem Kapitalmarkt zu drängen.

Es ist daher sehr erfreulich, dass jüngst ein mittelständisches Unternehmen den Weg an die Börse mit einem bisher oft nur im Graumarkt platzierten Finanzierungsinstrument geschafft hat. Es handelt sich dabei um den Genussschein, der an den Börsen bisher nur selten zu finden ist und in der Regel von größeren Emittenten emittiert wird (siehe dazu unsere Kolumne 05/2014). Am 27. Mai 2014 startete die Notierungsaufnahme des Genussscheins der SeniVita Sozial gemeinnützige GmbH im Open Market der Frankfurter Börse.

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen
Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

In der rund zweiwöchigen vorherigen Zeichnungsperiode konnten sowohl Privatanleger als auch institutionelle Investoren über verschiedene Platzierungskanäle zeichnen, die auch bei Anleiheemissionen genutzt werden (Privatplatzierung an institutionelle Investoren über Banken, Nutzung der Zeichnungsfunktionalität der Börse (Xetra) sowie ein Online-Zeichnungstool des Emittenten). Das Genussscheinpapier umfasst ein Volumen von bis zu 25 Mio. EUR und sieht eine fixe und variable Verzinsung sowie eine unendliche Laufzeit mit eingebauten Kündigungsfristen sowohl für den Anleger als auch für den Emittenten vor. Diese Struktur wurde deshalb gewählt, um den Genussschein beim Emittenten als Eigenkapital bilanzieren zu können. Bis zu 15 Mio. EUR des Genussscheinvolumens wurden für bestehende Genussrechteinhaber und Gläubiger der bereits börsennotierten Inhaberschuldverschreibung reserviert, die ihre Papiere in den börsennotierten Genussschein umtauschen konnten.

Dieses Umtauschangebot ist insbesondere für die Genussrechteinhaber attraktiv, da diese nun fungible Wertpapiere erhalten. Bis zur Notierungsaufnahme konnten neben dem Wertpapiertausch rund 10 Mio. EUR neues Kapital für die Gesellschaft durch die Zeichnungen von Privatanlegern und institutionellen Investoren eingeworben werden. Dabei beträgt der Privatanlegeranteil rund ein Drittel des Platzierungsvolumens von 10 Mio. EUR, die aus den Zeichnungsfunktionalitäten der Börse und des Emittenten stammen. Inklusive des Wertpapiertauschs beträgt das erzielte Genussscheinvolumen zum heutigen Zeitpunkt bereits rund. 21 Mio. EUR.

Dass dieses Instrument auch am Sekundärmarkt Anklang findet, zeigt die positive Kursperformance des Genussscheins nach der Notierungsaufnahme mit Kursen deutlich über pari. An den ersten Handelstagen fand ein reger Börsenhandel mit vergleichsweise hohen Umsätzen statt. Er trug dazu bei, dass der Genussschein auch in den Handel der Stuttgarter Börse eingeführt wurde.

Wir wünschen dem deutschen Kapitalmarkt, dass SeniVita nicht der einzige Emittent eines börsennotierten Genussscheins bleibt und viele mittelständische Unternehmen die Vorteile dieses eigenkapitalnahen, aber stimmrechtslosen Finanzierungsinstruments erkennen. Zugleich sollte diese erfolgreiche Emission auch Anstoß für die Börsen sein, ein eigenständiges Segment für diese Finanzierungsalternative bereitzustellen. Die Anforderungen des Entry Standards können dafür durchaus als Blaupause dienen und wurden von SeniVita freiwillig gewählt.

Vorab Veröffentlichung aus dem GoingPublic Magazin 7-8/2014

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