Bildnachweis: Cowen.

International war 2020 ein Jahr voll IPOs und positiver Bewegung am Kapitalmarkt. Deutschland hinkt dieser Entwicklung deutlich hinterher: kaum Neuemissionen, geringes Emissionsvolumen – es lief schon einmal besser. Aber, so sagen viele: 2021 wird alles anders. Die Pipeline der Börsenkandidaten ist gut gefüllt, da wird einiges passieren. Wir haben Andreas Kinsky von der Corporate-Finance-Beratung Cowen gefragt, ob er diese Einschätzung teilt.

GoingPublic: Cowen ist international tätig. Die Kollegen aus den USA hatten 2020 hinsichtlich IPOs bestimmt einiges zu erzählen.

Kinsky: Wir haben die Berichte der Kollegen wehmütig gehört. In den USA haben sich die IPOs besonders im Bereich Biotech oder in der IT ja praktisch überschlagen. Reverse IPOs über SPACs hatten einen extremen Aufwind, die Börsen sind von Rekord zu Rekord geflogen.

Hierzulande sieht es etwas anders aus.

In Deutschland war es ein maues IPO-Jahr, eines der schlechtesten seit langem. Europa und Deutschland spielen nicht ganz oben mit, wenn es um die vielversprechendsten Tech- und IT- oder Biotech-Entwicklungen geht. Selbst Start-ups, die sich zuerst mit heimischen Investoren finanzieren, müssen früher oder später ausländisches Kapital an Bord holen und wandern dann eben ab.

Es mangelt also in erster Linie an den passenden Investoren?

Ausländische Geldgeber investieren mutiger und mit größeren Summen in neue Geschäftskonzepte. Wir müssten uns längst fragen, was hierzulande auf der Investorenseite nicht funktioniert.

Und derweilen ausländischen Geldgebern das Investieren cross-border möglichst schmackhaft machen.

Das sollte man meinen. Stattdessen versucht Europa, sich vor jedem ausländischen Investoreninteresse zu schützen. Es wird einmal mehr der Schluss gezogen, dass Regulierung das Mittel der Wahl ist. Um hiesige Unternehmen vor den vermeintlich bösen und invasiven Investoren aus dem Ausland zu schützen, werden Hürden hochgezogen, statt sich zu fragen, warum die Start-ups und IPO-Kandidaten überhaupt in die Verlegenheit kommen, ausländische Geldgeber zu adressieren. Nämlich weil sie in Deutschland und Europa keine Investoren finden, die mutig genug sind oder bereit, hohe Bewertungen zu bezahlen.

Ich halte es für grundlegend falsch, auf immer mehr Regulierung zu setzen, statt sich zu fragen, wie man den hiesigen Kapitalmarkt attraktiver machen und die Mentalität der heimischen Geldgeber ändern kann.

Was muss passieren?

Kapitalmarktaffinität ist auch eine Bildungsfrage. Die Börsen und ihre Möglichkeiten müssen Einzug in die Ausbildung erhalten. Zudem braucht es steuerliche Erleichterungen. Man darf nicht mit hohen Steuersätzen bestraft werden, wenn man sich zu Investitionen in Hoffnungsträger aus dem Biotech-Bereich oder junge Tech-Start-ups entscheidet. Es braucht Fördermodelle und Anreizsysteme, implementiert durch den Staat.

Was kann der Kapitalmarkt leisten, um die Entwicklung zu stützen?

Die deutschen Börsen selbst kranken auch. Seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes gibt es keine Tech-Börse mehr. Den zögerlichen Versuch des Entry Standards kann man nur als halb erfolgreich bezeichnen – wenn überhaupt. Es braucht eine Börse wie die New Yorker Nasdaq, an der junge Unternehmen zu hohen Bewertungen ein IPO erfolgreich realisieren können.

Der Kapitalmarkt ist ein Kreislauf. Die Investoren kaufen dort, wo sie auch einen Exit sehen – und dieser Exit ist in den USA nun einmal leichter machbar als hierzulande.

Was halten Sie vom zuletzt wieder vermehrt diskutierten Staatsfonds?

Das ist grundsätzlich ein sinnvolles Instrument, um Kapitalmarktkultur zu fördern – aber nur, wenn der Staat in die Entwicklung der finanzierten Unternehmen nicht zu sehr eingreift. Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, die weitere Entwicklung dann aber der freien Wirtschaft überlassen.

Nach der Bundestagswahl sollte der Staatsfonds meiner Meinung nach in den Fokus rücken – trotz der vielen anderen drängenden Themen, die Corona auf die Agenda bringt. Eine Krise ist immer auch eine immense Chance für einen Mentalitätswandel.

Ein Blick in die Glaskugel: Was birgt das IPO-Jahr 2021 für Deutschland?

Vorausgesetzt, Corona schlägt nicht noch weitere Kerben in die Wirtschaft und lässt auch die Börsen fallen, werden wir 2021 mehr IPOs sehen. Etliche Unternehmen arbeiten am Börsengang. Dennoch werden wir international weiter hinterherhinken.

Und wer sind die Unternehmen, die das IPO wagen werden?

AboutYou, SUSE Software, Daimler Trucks, Parship, MisterSpex – das sind nur einige Namen, von denen man hört, dass sie die es versuchen könnten.

Herr Kinsky, vielen Dank für das Gespräch.

Autor/Autorin

GoingPublic Redaktion / iab