Von Dr. Max Leitterstorf und Prof. Dr. Sabine Rau, Lehrstuhl für Familienunternehmen, WHU-Otto Beisheim School of Management, Vallendar und Düsseldorf

Es gibt viele Gründe für Familienunternehmen, an die Börse zu gehen. Dass sie dabei jedoch auf einen nicht unerheblichen Teil des Kapitals verzichten, ja sogar mehr des sogenannten „Underpricings“ akzeptieren als Nicht-Familienunternehmen, ist auf Anhieb weniger intuitiv. Eine Studie der WHU-Otto Beisheim School of Management gemeinsam mit PwC zu 153 IPOs (Initial Public Offering) in Deutschland von 2004 bis 2011 zeigt, dass Familienunternehmen bereit sind, ein höheres Underpricing in Kauf zu nehmen, wenn sie dadurch ihren nicht-wirtschaftlichen Nutzen, den sogenannten Socioemotional Wealth (SEW), erhalten können.

Notwendige Erhöhungen des Eigenkapitals oder die Generierung neuer Mittel für Investitionen legen Familienunternehmen nahe, mittels eines IPOs den Weg an die Börse zu gehen. Dem entgegen steht jedoch eine Reihe von Gründen, die Familienunternehmen davon abhalten, ihre Anteile der Öffentlichkeit anzubieten. Neben erzwungener Transparenz und weiteren Verpflichtungen, die gelisteten Unternehmen auferlegt werden, ist es vor allem der Verlust des Einflusses auf die eigene Firma, den Unternehmerfamilien fürchten. Trotzdem machen Familienunternehmen – entgegen der allgemeinen Wahrnehmung – einen signifikanten Anteil der Marktkapitalisierung aus und akzeptieren dabei sogar ein im Durchschnitt um zehn Prozentpunkte höheres Underpricing als Nicht-Familienunternehmen.

IPO-Underpricing

Das IPO-Underpricing ist ein bekanntes Phänomen, das in den 1970er Jahren erstmals dokumentiert wurde. Aktien werden bei Börsengängen immer wieder mit einem Abschlag auf den ermittelten Marktwert verkauft. Da ein IPO grundsätzlich das Ziel hat, möglichst viel Kapital für das Unternehmen bereitzustellen und sowohl Manager wie auch Eigner vor dem Börsengang durchaus in der Lage sind, den Wert ihrer Aktien annährend genau zu bestimmen, klingt es paradox, dieses Underpricing zu akzeptieren. Seit der ersten Dokumentation dieses Phänomens konnte es weder widerlegt noch hinreichend erklärt werden, obwohl mehrere Erklärungsansätze existieren. Die „block-building-theory“ beispielsweise führt Underpricing auf den Anreiz des Emittenten zurück, mit einem niedrigen Angebotspreis die Nachfrage zu erhöhen und somit die Eigentümerstruktur zu zerstückeln, sodass keine Großaktionäre das Unternehmen beherrschen können. Unsere Studie bietet jetzt einen Erklärungsansatz, warum gerade Familienunternehmen bewusst ein hohes Underpricing akzeptieren: zur Erhaltung ihres SEW.

Socioemotional Wealth bei IPOs von Familienunternehmen

Als SEW wird der nicht wirtschaftliche Nutzen, den Unternehmerfamilien aus ihren Firmen ziehen, bezeichnet. Dazu zählen unterschiedliche Aspekte, wie zum Beispiel ein hoher sozialer Status mit guter Reputation, hohe Unabhängigkeit sowie eine enge emotionale Bindung der Familien an ihr Unternehmen. Verschiedene Studien zeigen, dass strategische Entscheidungen von Familienunternehmen das Ziel beinhalten, diesen SEW zu erhalten. Dafür nehmen Unternehmer auch ein erhöhtes finanzielles Risiko in Kauf, was dazu führt, dass sie beispielsweise stärker auf Sozial- und Umweltverträglichkeit achten als andere Unternehmenstypen. Ebenso tendieren sie eher zu Philanthropie, vermeiden Personalkürzungen und verzichten mitunter darauf, ihr Angebots- oder Produktportfolio zu erweitern, wenn eine solche Diversifikation die Besetzung von Schlüssel-positionen mit vertrauten Familienmitgliedern erschweren würde.

Dieser Schutz des SEW erklärt auch ein im Durchschnitt 10% höheres Underpricing bei IPOs von Familienunternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmenstypen. Der „ownership dispersion hypothesis“ zufolge wird IPO-Underpricing vom Emittenten bewusst in Kauf genommen, um für eine Überzeichnung der Aktie zu sorgen. Ist die Nachfrage dann besonders hoch, streuen sich die Anteile breiter, eine Konzentration in den Händen weniger findet nicht statt. Dies bedeutet, dass die Familie weiterhin die Kontrolle ausübt und die Dynastie weiterführen kann. Underpricing reduziert des Weiteren das Risiko von Gerichtsverfahren, die im Zuge des IPOs entstehen können. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur Verfahrenskosten, sondern vor allem auch Reputationskosten, die Familienunternehmen besonders fürchten, vermieden werden. Zudem kann das Risiko eines fehlgeschlagenen IPOs durch Underpricing gesenkt werden. Würden manche Investoren ohne die Aussicht auf Gewinne durch das Underpricing die Aktie nicht zeichnen, so kann sich dieses fehlende Interesse auf andere Investoren auswirken und letztendlich zu einem Fehlschlag des IPOs führen. Dabei beschränken sich die Kosten nicht nur auf monetäre Aspekte, sondern insbesondere bei Familienunternehmen auch auf den Reputationsverlust. Sind die wirtschaftlichen Faktoren dieser Punkte für Familien und Nichtfamilienunternehmen identisch, so ist bei Ersteren aufgrund der Überlappung der Identitäten von Familie und Unternehmen jeglicher Schaden des Unternehmens, wie z.B. ein Reputationsverlust, auch ein Schaden der Familie.

Fazit

Zusammenfassend bedeutet dies: Je niedriger der Ausgabepreis einer Aktie relativ zu ihrem geschätzten Marktwert (d.h. je höher das Underpricing), desto eher gelingt es einer Familie, die Konzentration von Unternehmensanteilen bei externen Dritten zu verhindern, und desto besser kann sie ihre Reputation schützen. Folglich verzichten Familienunternehmen zumindest teilweise (und mehr als Nicht-Familienunternehmen) auf wirtschaftliche Gewinne, um ihren SEW nicht zu gefährden. Diese Analyse ist nicht nur ein Erkenntnisgewinn für Familienunternehmer, die zum Beispiel in Erwägung ziehen, zunächst einen kleinen Teil Aktien an die Börse zu bringen und erst nach erfolgter Preisbildung weitere Aktien auszugeben. Auch für Investoren sind diese Ergebnisse relevant: Die Investition in ein IPO eines Familienunternehmen hat – im Durchschnitt – eine höhere kurzfristige Gewinnchance als das IPO eines Nicht-Familienunternehmens.

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