GoingPublic: Einige Medien sehen bereits Parallelen zwischen Mittelstandsanleihen und dem Neuen Markt. Zu Recht oder hinkt der Vergleich?

Andreas Wegerich

Andreas Wegerich, Vorstand, youmex invest AG: Der Vergleich hinkt schon alleine wegen der zu erzielenden Renditen. Damals spekulierten Anleger auf satte Kurssteigerungen, Verdoppler und mehr waren ja anfangs an der Tagesordnung. Bei Anleihen sind solche Zeichnungsgewinne nicht möglich. Es scheint die nach wie vor anhaltende Zinsniedrigphase zu sein, die ein diversifiziertes Anlegen in Mittelstandsanleihen attraktiv macht. Natürlich haben wir gerade bei Markenartiklern schon starke Überzeichnungen gesehen, die auch Spekulanten anlocken. Die Masse der Anleger allerdings hält die Titel wegen der jährlichen Ausschüttungen.

Florian Weber, Vorstandsvorsitzender, Schnigge Wertpapierhandelsbank AG: Der Vergleich hinkt deutlich – im Neuen Markt wurde vielfach heiße Luft zu Geld gemacht, nur wenige Unternehmen haben die Zeit bis heute überlebt. Es bestanden keine tragfähigen Geschäftskonzepte. Bei den Emittenten, die jetzt an den Markt kommen, handelt es sich oftmals um alteingesessene Familienunternehmen oder um Firmen, die mit ihrem Geschäft bereits jahrzehntelang tätig sind. Allerdings gibt es Parallelen hinsichtlich der Akzeptanz – der Neue Markt wurde mit zunehmendem Erfolg geflutet von Emittenten, die die hohen Bewertungen für ein IPO nutzen wollten. Hier sehen wir tatsächlich derzeit eine hohe Nachfrage bei Emittenten, die einen Teil ihrer Finanzierung über Anleihen stemmen wollen, weil Investoren gerade bereit sind, diese Anlageform zu akzeptieren.

Fabian Kirchmann, Vorstand, IR.on AG: Einige Medien wollen nicht den gleichen Fehler zweimal machen und sind deshalb sehr kritisch gegenüber Mittelstandsanleihen eingestellt. Das ist nachvollziehbar. Die Kritik sollte allerdings fundiert sein und nicht alle Emittenten unter Generalverdacht stellen.

Prof. Dr. Michael Nelles, Vorstandsvorsitzender, Conpair AG: Der Vergleicht hinkt. Die Performance des Gesamtmarktes für Mittelstandsanleihen ab 2011 ist positiv; Anleger konnten also sogar Gewinne realisieren. Der Neue Markt bestand fast ausschließlich aus jungen Unternehmen ohne langjährig gewachsene, fundierte Geschäftsmodelle. Im Vergleich dazu finden sich im Mittelstandsanleihen-Segment überwiegend etablierte, wirtschaftlich solide Unternehmen.

 

GoingPublic: Der Großteil der Folgeratings fällt schlechter aus als die Erstratings. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Prof. Dr. Michael Nelles, Vorstandsvorsitzender, Conpair AG: Da beim Erstrating des Unternehmens die Anleihe nicht berücksichtigt wird, ergibt sich demzufolge eine andere Verschuldungssituation, eine andere Eigenkapitalquote und damit eine gänzlich andere Risikosituation und -einschätzung als nach Begebung der Anleihe. In Verbindung mit zukunftsgerichteten, zum Teil ergebnisbelastenden Wachstumsinvestitionen kann es so zunächst zu einer Herabstufung des Ratings kommen. Im Zeitverlauf werden diese Investitionen in der Regel greifen und somit zu einer Verbesserung des Ratings führen.

Andreas Wegerich, Vorstand, youmex invest AG: Eigentlich ein bekanntes Phänomen. Ein wichtiger Bestandteil im Rating ist die Eigenkapitalquote. Durch die Aufnahme von Fremdkapital, die daraus folgenden Investitionen und die daraus folgende Aufblähung der Bilanzsumme bei gleichbleibendem Eigenkapital verringert sich die Quote und führt zwangsläufig zu einem schlechteren Rating. Hier ist eine vorausschauende Betreuung von Seiten eines Corporate-Finance-Teams unabdingbar. So wurde zum Beispiel bei Steilmann Boecker ein Debt Equity Swap der Gesellschafter mit der Anleihe kombiniert, um die EK-Quote nachhaltig zu stärken. Auf Dauer sind die mittelständischen Emittenten nur mit steigenden Zinsen über diesen Markt finanzierbar, was EK-Transaktionen oder andere eigenkapitalstärkende Maßnahmen in der Zukunft unbedingt notwendig macht.

Florian Weber, Vorstandsvorsitzender, Schnigge Wertpapierhandelsbank AG: Oftmals sind die Planungen und Erwartungen von Unternehmen, die ja in Ratings einfließen, besser, als sich die Realität im Jahr nach der Emission darstellt. Vielfach entwickeln sich die Maßnahmen, die mit der Mittelaufnahme via Bond finanziert werden, erst mit einer Zeitverzögerung. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass das ein oder andere Rating schlechter wird. Allerdings – die Verschlechterungen sind nicht so signifikant ausgefallen, dass man deshalb an der generellen Qualität des Emittenten zweifeln müsste – letztlich müssen Anleihen ja auch nicht „sexy“ sein, sondern eine sichere Zins- und Tilgung versprechen. Da darf ein Rating durchaus temporär schlechter ausfallen.

Fabian Kirchmann, Vorstand, IR.on AG: Bei einigen Emittenten haben sich die Geschäfte im letzten Jahr schlicht und einfach schwächer entwickelt als erwartet. Bei anderen hat sich das Branchenumfeld drastisch verschlechtert, wie im Solarsektor.

 

Ist die Mittelstandsanleihe tatsächlich so eine wichtige Finanzierungsform, wie ihr gerne zugeschrieben wird, oder sind die Emittenten – eventuell teilweise – solche, die anderweitig keine adäquaten Mittel auftreiben konnten?

Fabian Kirchmann

Fabian Kirchmann, Vorstand, IR.on AG: Ja, die Unternehmensanleihe ist aus unserer Sicht eine sehr gute Alternative für Mittelständler, die ihre Fremdfinanzierung auf eine breitere Basis stellen wollen. Unternehmen, die von ihrer Bank keinen Kredit mehr erhalten, werden auch mit einer Anleiheemission am Kapitalmarkt keinen Erfolg haben.

Prof. Dr. Michael Nelles, Vorstandsvorsitzender, Conpair AG: Grundvoraussetzung für eine

erfolgreiche Emission ist die Solidität eines Unternehmens und die damit im Zusammenhang stehende positive wirtschaftliche Situation oder das Vorhandensein einer Marke als wichtiges Asset. Daher können Mittelstandsanleihen nicht die Funktion einer kurzfristigen Refinanzierung notleidender Unternehmen übernehmen. Dies wird sich mit der weiteren Professionalisierung des Segments deutlich herauskristallisieren. Qualitätsunternehmen werden zukünftig den Kern des Marktes für Mittelstandsanleihen bilden.

Florian Weber, Vorstandsvorsitzender, Schnigge Wertpapierhandelsbank AG: Beides

können Beweggründe für einen Emittenten sein! Der Grundsatz bleibt: Eine Unternehmensanleihe bietet dem Emittenten die Möglichkeit einer langfristigen Planung zu festgelegten Zinssätzen, unabhängig von Bankenproblemen und Bankeinflussnahme auf die Unternehmensführung. Planungssicherheit und Selbstbestimmung sind die Hauptgründe für Emissionen – selbst wenn dies mit Prämien gegenüber einer Bankfinanzierung erkauft wird. Aber diese Prämien sind eben gar nicht so hoch, wie man gemeinhin denkt. Vielfach sind auch die Bankkreditsätze sogar noch höher als die Anleihezinsen, die der Anleger erhält. Es wird auch den einen oder anderen Emittenten geben, der die Anleiheemission als letzte Chance sieht, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Diese Kandidaten zu filtern und abzulehnen, muss vordringliche Aufgabe eines Emissionsbegleiters sein. Daher werden es zukünftig auch Eigenemissionen schwerer haben, zu einem Erfolg zu kommen – denn die neutrale Kontrollinstanz könnte fehlen.

Andreas Wegerich, Vorstand, youmex invest AG: Die bankenalternative Finanzierung an sich wird mit Einführung von Basel III stetig an Bedeutung gewinnen. Hier spielen die Segmente für Mittelstandsanleihen eine wichtige Rolle, sollten aber lediglich als Einstiegssegment in den öffentlichen Kapitalmarkt gesehen werden. Die Unternehmen, die die Spielregeln dieses Kapitalmarktes verstehen und den Markt für sich zu nutzen wissen, werden sich von der Bankfinanzierung unabhängig machen.

 

Die Umfrage ist erschienen im Corporate Finance & Private Equity Guide 2013.

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