GoingPublic: Durch die Schließung des First Quotation Boards sind die Anforderungen einer Börsennotierung in Frankfurt deutlich gestiegen. Was sind die Folgen für Unternehmen und die deutschen Regionalbörsen?

Dr. Mirko Sickinger, LL.M., Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek: Die Schließung des First Quotation Boards in Frankfurt hat gewissen Ausweichbewegungen an deutsche Regionalbörsen, aber auch in das deutschsprachige Ausland zur Folge gehabt. Für den typischen Mittelstands-IPO ergeben sich jedoch praktisch keine Auswirkungen, da die Kandidaten auch die gesteigerten Anforderungen für eine Aufnahme in den Entry Standard erfüllen werden.

Klaus Rainer Kirchhoff, Vorstandsvorsitzender, Kirchhoff Consult AG: Die Schließung des FQB war der richtige Schritt. Denn ohne Transparenz kann sich kein fairer Preis an der Börse bilden. In der Folge wird die Qualität der börsennotierten Unternehmen auch an den Regionalbörsen steigen.

 

GoingPublic: Die rege Emissionstätigkeit bei Anleihen mittelständischer Unternehmen scheint sich auch 2013 fortzusetzen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Florian Weber

Florian Weber, Vorstandsvorsitzender, Schnigge Wertpapierhandelsbank AG: Anleger haben „Mittelstandsanleihen“ mittlerweile trotz der jüngsten Problem- oder gar Ausfälle akzeptiert. Der Markt ist daher etabliert und nur ein kleiner Bestandteil eines schon seit Jahren bestehenden Segments der Corporate Bonds. Viele Unternehmen haben noch mittel- und langfristigen Finanzierungsbedarf und wollen diesen über die Börse decken. Solange das Zinsniveau der öffentlichen Anleihen noch so niedrig ist, werden auch Anleger die vergleichsweise hohen Zinsen zu Anlagen in Mittelstandsbonds nutzen, daher ist von einer Fortsetzung des positiven Trends auch 2013 auszugehen. Erst wenn sich Risikoaufschläge ermäßigen, wird sich die Zahl der erfolgreichen Emissionen sicherlich verringern.

Andreas Wegerich, Vorstand, youmex invest AG: Im Vergleich zum letzten Jahr sehen wir die Emissionstätigkeit eher verhalten. Bis Ende März waren 2012 Emissionen im Gesamtvolumen von fast einer halben Milliarde Euro an den Markt gebracht worden, wovon wir heute (inkl. Forecasts) noch weit entfernt sind. Der Markt scheint auf beiden Seiten, Emittenten wie Anleger, etwas selektiver geworden zu sein, was dem Segment an sich auf Dauer nur gut tun kann.

Fabian Kirchmann, Vorstand, IR.on AG: Das Segment der Mittelstandsanleihen wird sich etablieren, denn die Unternehmensanleihe ist für viele Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung im Finanzierungsmix. Für 2013 rechne ich mit einer Zahl von 15 bis 20 Transaktionen.

Prof. Dr. Michael Nelles, Vorstandsvorsitzender, Conpair AG: Diese Entwicklung ist durchweg positiv. Der Finanzierungsbedarf im Mittelstand ist weiterhin hoch, dies ist deutlich zu merken. Alternative Finanzierungsformen zur klassischen Bankfinanzierung sind weiter auf dem Vormarsch. Dadurch wird ein Unternehmen unabhängiger von Banken und verschafft sich deutlich mehr Flexibilität bei neuen Investitionsvorhaben und steigert die Wachstumspotenziale.

 

GoingPublic: Trotz Insolvenzen und damit verbundenen Quasi-Totalausfällen von Anleihen scheint das Interesse von Privatanlegern an Bond-Emissionen ungebrochen. Inwiefern sehen Sie Nachholbedarf bei der Anlegerinformation?

Prof. Dr. Michael Nelles

Prof. Dr. Michael Nelles, Vorstandsvorsitzender, Conpair AG: Zunächst bleibt festzuhalten, dass Insolvenzen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Trotzdem ist es wichtig, im Vorfeld einer möglichen Anleihe-Emission eine bessere Selektion und Überprüfung der Emittenten vorzunehmen. Sämtliche Risiken werden im Wertpapierprospekt des Emittenten dargelegt. Hier ist der Bankberater deutlich mehr in der Pflicht, den Privatanleger genau auf diese Risiken hinzuweisen, so dass dieser eine risikobewusste Entscheidung treffen kann.

Fabian Kirchmann, Vorstand, IR.on AG: Das Interesse ist nicht nur bei Privatanlegern hoch. Die meisten Emissionen werden zu großen Teilen bei institutionellen Investoren platziert. Ich bin der festen Überzeugung, dass die überwiegende Zahl der Privatanleger das mit den Anleihen verbundene Risiko einschätzen kann. Im Übrigen deckt sich diese Einschätzung mit Befragungen der Börse Stuttgart. Wichtig ist eine offene und ehrliche Kommunikation der Emittenten, denn wer am Kapitalmarkt Vertrauen verspielt, wird es mit künftigen Kapitalmaßnahmen sehr schwer haben.

Florian Weber, Vorstandsvorsitzender, Schnigge Wertpapierhandelsbank AG: Es gibt aus unserer Sicht keinen Nachholbedarf bei der Anlegerinformation – alle relevanten Daten und Informationen liegen bei den Emissionen bereits vor. Leider betrachten aber nicht alle Anleger diese Informationen genau oder verstehen oft nicht, was in Prospekten oder sonstigem Informationsmaterial dargelegt wird. Das Problem ist also eher, dass sich Anleger nicht gerade ausführlich mit den vorliegenden Unterlagen beschäftigen. Wir würden uns über mehr Kenntnisse bei Anlegern und einer grundkritischeren Haltung freuen – ein bekannter Name allein oder hohe Zinsen machen noch keinen guten Emittenten aus.

Andreas Wegerich, Vorstand, youmex invest AG: Einzelne Ausfälle spiegeln nicht die Verfassung des Gesamtmarktes wider. Grundsätzlich sind die Transparenzvorschriften der Börsen ausreichend zur Information der Anleger. Auf den Emissionsportalen der Börsen sind umfangreiche Unterlagen zu jeder Neuemission einzusehen. Beginnend beim Wertpapierprospekt, den letzten Jahresabschlüssen, dem Ratingbericht über Researchberichte von Analysten bis zu Interviews mit den Vorständen und Geschäftsführern ist ausreichend Informationsmaterial abrufbar. Ich sehe auf Seiten der Emittenten keinen Nachholbedarf.