Bildnachweis: ©New Africa – stock.adobe.com, Personio, Börse München, Cowen, Athos, Tom Kauth Photos .

„Ausländische Geldgeber investieren mutiger“

Andreas Kinsky, Partner Cowen

Noch größeres Hemmnis aber – auch in diesem Punkt sind sich alle Experten einig – sei die Zurückhaltung der heimischen Investoren. „Ausländische Geldgeber investieren mutiger in neue Geschäftsmodelle“, meint Kinsky. „Wir müssten uns längst fragen, was hierzulande auf Investorenseite nicht stimmt.“ Stattdessen konzentriere man sich in der Politik lieber aufs Verhindern – darauf, ausländische Geldgeber fernzuhalten. „Um hiesige Unternehmen vor den vermeintlich bösen und invasiven Investoren aus dem Ausland zu schützen, werden immer neue Hürden hochgezogen.“ Kinsky betrachtet dieses Verhalten als großen Fehler; vielmehr, so der Experte, sollten die Verantwortlichen sich fragen, warum die vielversprechendsten Start-ups, vor allem die Unicorns, überhaupt in die Verlegenheit kämen, Investoren aus den USA oder China an Bord zu holen: „Nur weil sie in Deutschland keine Geldgeber finden, die mutig genug sind oder bereit, auch hohe Bewertungen zu tragen.“

Feiler stützt diese These: „Die Investoren sind die wichtigsten Beteiligten in dem ganzen Spiel. Wenn am Ende des aufwendigen IPO-Prozesses niemand da ist, der das nötige Kapital bereitstellt, kann der Börsengang nicht funktionieren.“ Der Experte der Börse München stellt sich und dem gesamten Kapitalmarkt die Frage: „Wo liegt die Ursache des Problems: an den fehlenden attraktiven Start-ups mit Wachstumspotenzial oder an dem Mangel an Geldgebern mit Risikoappetit und tiefen Taschen?“

Sieht man sich die Unicorns an, die mit ihren teils noch sehr jungen Geschäftsmodellen bereits Milliardenbewertungen erzielen, drängt sich die Antwort auf. Und tatsächlich ist auch bei den Start-ups, die sich letztlich doch an den Kapitalmarkt wagen, zu beobachten, dass die Investorenbasis zum großen Teil aus dem Ausland stammt: Anfang des Monats hat AUTO1 ein furioses Debüt an der Frankfurter Wertpapierbörse hingelegt. Das Unicorn war vor dem IPO im Prime Standard zuletzt mit 2,9 Mrd. EUR bewertet. Bereits zur Ankündigung des Börsengangs legte die Onlineplattform für Gebrauchtwagen die Preisspanne bei 32 bis 38 EUR pro Aktie fest. Schnell zeichnete sich ab, dass AUTO1 sich vor Anfragen kaum retten konnte – der Ausgabepreis lag schließlich bei 38 EUR je Papier. Das entspricht einer Bewertung von 7,9 Mrd. EUR. Zum ersten Handelstag stieg die Aktie noch einmal um 45% und kostete 55 EUR. Cornerstone-Investoren des IPOs sind die Beteiligungsriesen Sequoia Capital und Lone Pine Capital – beide aus den USA.

„Wenn es um die vielversprechendsten Tech-Start-ups geht, spielt Deutschland nicht oben mit“, sagt Kinsky. Selbst Unternehmen, die zunächst mit heimischem Kapital auskämen, müssten früher oder später ausländische Investoren mit ins Boot nehmen. Oder aber – auch das erweist sich immer wieder als gangbarer Weg – die Start-ups machen direkt den Sprung ins Ausland und holen sich nicht nur Beteiligungsgesellschaften aus Übersee an Bord, sondern wählen gleich eine ausländische Börse für die Erstnotiz – so geschehen bei zahlreichen Biotechs in den letzten Jahren. Auch die deutschen Impfstoffhersteller, die großen internationalen Hoffnungsträger im Kampf gegen die Coronapandemie, haben ein IPO in den USA dem heimischen Kapitalmarkt vorgezogen: BioNTech und CureVac sind an der Nasdaq notiert.

Kinsky kann den Schritt nachvollziehen, er sieht praktisch keine Alternative: „Seit dem Niedergang des Neuen Marktes haben wir keine Techbörse mehr hierzulande. Den zögerlichen Versuch des Entry Standards kann man nur als halb erfolgreich bezeichnen“, erklärt er, „wenn überhaupt.“ Es brauche eigentlich eine Börse wie die Nasdaq, „an der junge Unternehmen auch zu hohen Bewertungen erfolgreich ein IPO realisieren können“. Gerade im Bereich Biotech zeigt sich, was passiert, wenn es keine hiesigen attraktiven Börsen gibt. Unternehmen wie BioNTech wandern für das IPO an den US-Kapitalmarkt.

Helmut Jeggle, Geschäftsführer Athos

Dazu Helmut Jeggle, Geschäftsführer des Family Office der Familie Strüngmann und Aufsichtsratsvorsitzender des Biotechs: „BioNTech war zum Zeitpunkt des Börsengangs an die amerikanische Nasdaq mehrheitlich in den Händen des wissenschaftlichen Gründers Ugur Sahin und der Familie Strüngmann als Finanzinvestor und Mitgründer. Um die Vision eines vollintegrierten biotechnologischen Unternehmens umzusetzen, benötigte es signifikant Kapital – dies wäre mit internen Mitteln aus dem Gesellschafterkreis oder mit einer europäischen Listung nicht möglich gewesen.“ Mittelfristig, so Jeggle weiter, könne er sich allerdings durchaus ein zweites Listing des Mainzer Biotechs in Europa vorstellen – BioNTech könne langfristig durchaus zur „Volksaktie“ werden.

Steueranreize schaffen breitere Investorenbasis

Der mangelnde Investorenappetit sowie das Fehlen attraktiver Börsen sind auch in den Rahmenbedingungen begründet, die hierzulande herrschen. Hinz fordert: „Aktiensparen muss steuerlich begünstigt werden. Der Gesetzgeber muss die Anlageklasse attraktiv machen, statt sie prohibitiv durch Regularien völlig uninteressant zu gestalten.“ Investitionen in der Europäischen Union stammten auch aus gezielten Fördermaßnahmen für nationale Wirtschaftsunternehmen, insbesondere Programmen zur Altersvorsorge mittels Aktiensparen. „Wer in Frankreich oder Schweden eine Investition in ein Unternehmen tätigt, der erhält einen Steuerbonus. Bei uns hingegen gibt es keinerlei Anreize, Mitarbeiter und Privatpersonen am Kapitalmarkt zu beteiligen.“

Kinsky ergänzt: „Man darf nicht mit hohen Steuersätzen bestraft werden, wenn man in Hoffnungsträger aus der Techbranche oder dem Biotechbereich investiert.“ Feiler sieht ebenfalls die Regierenden in der Pflicht: „Es ist eine politische Entscheidung, Unternehmen zu fördern, die sich über den Kapitalmarkt finanzieren wollen.“ Im Moment aber, so der Experte, sehe es nicht nach steuer lichen Begünstigungen aus. Vielmehr sei infolge der Coronakrise mit neuen Belastungen zu rechnen.

„Überschuldete Firmen haben wir genug“

Holger Clemens Hinz, Leiter Corporate Finance Quirin Privatbank

Hinz wird noch deutlicher: „Wir haben in der Mehrzahl Berufspolitiker, die am realen Wirtschaftsleben nie selbst teilgenommen haben“, stellt er klar. Finanzminister Olaf Scholz beispielsweise, so der Experte der Quirin Privatbank, gebe selbst zu, in seinem ganzen Leben noch nie in eine Aktie investiert zu haben. „Es ist vonseiten der Politik keinerlei Wille zu erkennen, den Kapitalmarkt als förderungswürdig zu bewerten“, sagt Hinz. „Stattdessen konzentriert man sich auf Anlegerschutz und eine noch weitreichendere Regulierung, die zur faktischen Entmündigung des Privatanlegers führt.“

Die Angst vor Reputationsschäden sei seit dem Zusammenbruch des Neuen Markts größer als das Interesse am Wohl der heimischen Industrie, die man längst über Eigenkapitalrekrutierung fit für die Zukunft machen müsste. „Wir brauchen nicht noch mehr Fremdkapital“, erklärt Hinz. „Wir brauchen Eigenkapital.“ Mit den aktuell geltenden Regularien und unter den in der Bundesrepublik herrschenden Rahmenbedingungen, so Hinz, sei es auch im Vergleich zu den Vereinigten Staaten zu aufwendig, wenn ein mittelständisches Unternehmen versuche, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren. „Der Staat ist kein Unternehmer“, konstatiert Hinz, „er ist dazu da, volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, versteht aber nicht, wie betriebswirtschaftliche Zusammenhänge funktionieren.“ Man merke, „dass die Politik es gewohnt ist, Geld auszugeben, das sie nie verdient hat“.

Ein Schritt in die richtige Richtung könnte laut dem Banker neben steuerlichen Anreizen auch die Implementierung eines Staatsfonds nach skandinavischem Vorbild sein. Auch Kinsky von Cowen bewertet den Staatsfonds als „sinnvolles Instrument“, um die hiesige Kapitalmarktkultur zu fördern: „Nach der Bundestagswahl sollte der Staatsfonds meiner Meinung nach in den Fokus rücken – trotz der vielen anderen drängenden Themen, die Corona auf die Agenda bringt.“ Kinsky sieht gerade nach der Pandemie eine beinahe einmalige Gelegenheit gekommen: „Eine Krise ist immer auch eine immense Chance für einen Mentalitätswechsel.“