Neben den aktuellen Geschäftszahlen, die stark vom Rohöl- und den Destillatepreisen abhängig sind, interessieren sich Investoren überwiegend für die ausgewiesenen Reserven. Der einschlägige Nachweis nimmt in den Berichten der Unternehmen daher breiten Raum ein. Als Shell vor einiger Zeit seine Reserven im Zuge einer Neubewertung stark nach unten korrigierte, wurde der Kurs brutal in Mitleidenschaft gezogen.

Mindestens genauso wichtig wie die Reserven sollten aber auch die aktuellen Fördermengen genommen werden – und da wachsen die Probleme. In Öl-Äquivalenten gemessen vermelden die Gesellschaften ganz überwiegend sinkende Fördermengen. ExxonMobil etwa brachte im 2. Quartal ein Prozent weniger verwertbare Flüssigkeit an die Oberfläche als im Vorjahr, auch bei Total steht für das 1. Quartal ein Minus von 1% zu Buche. OMV berichtete für das 1. Quartal einen Rückgang von 5%, und auch Royal Dutch Shell und BP förderten im 2. Quartal deutlich weniger. Bei BP ging die tägliche Fördermenge von 4,038 Mio. Barrel Öläquivalent auf 3,804 Mio. zurück. Für das Gesamtjahr rechnen die Briten im Schnitt nur noch mit 3,9 Mio. Barrel pro Tag. Bei Shell sank die Produktion im 2. Quartal von 3,253 auf 3,178 Millionen Barrel Öläquivalent pro Tag.

Die Öl-Multis aus dem Westen müssen sich mit zwei Problemen auseinandersetzen. Zum einen haben die heimischen Quellen den Förderhöhepunkt zum Teil bei weitem überschritten. Dies ist zum Beispiel in besonderem Maße bei Statoil in Norwegen der Fall. Ein Umstand, der auch durch den Merger mit Norsk Hydro nicht geändert wird. Zum anderen gibt es immer weniger attraktive Vorkommen, an denen sie sich beteiligen können. Der arabische Raum ist de facto verschlossen, Rußland auch, und Länder wie Brasilien oder Venezuela sind mittlerweile technisch hinreichend gerüstet, selbst anspruchsvolle Offshore-Projekte allein von ihren staatlich kontrollierten Gesellschaften durchführen zu lassen. Bei den verbliebenen attraktiven Feldern, etwa vor Peru, Angola, Vietnam oder mit Abstrichen Kasachstan, steigen die Einstandspreise.

Im Moment deutet wenig darauf hin, dass die integrierten Energiekonzerne westlicher Herkunft ihre Förderung ausweiten können. Vielmehr gilt das Motto: Was von den Quellen übrig blieb. Wachstum ist in erster Linie bei staatlichen Unternehmen zu erwarten, die Zugriff auf attraktive, also kostengünstig auszubeutende Felder besitzen. Höhe Gas- und Rohölpreise können die eine oder andere böse Gewinnüberraschung noch hinauszögern, generell ist aber erhöhte Vorsicht angesagt. Witwen- und Waisenpapiere, das war einmal. Heute gilt es, neben dem Nachhaltigkeits-Koeffizienten vor allem die aktuelle Förderung und die Aussagen für die kommenden Quartale genau zu beobachten.

Stefan Preuß

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